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Bürgermeister Imamoglu inhaftiert: Hunderttausende Menschen protestieren in Istanbul gegen Erdogan
Die Proteste gegen die Inhaftierung des wichtigsten Erdogan-Rivalen reißen nicht ab – ebenso wie die Festnahmen von Regierungskritikern und Journalisten. Imamoglu dankt seinen Unterstützern.
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In der Türkei haben sich am Samstag zu den Protesten der Opposition in Istanbul gegen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan hunderttausende Menschen versammelt. Die Menschen kamen auf der asiatischen Seite der Bosporus-Metropole zusammen, um nach der Inhaftierung des Bürgermeisters Ekrem Imamoglu am 19. März für den Erhalt der Demokratie in der Türkei zu demonstrieren, wie AFP-Reporter berichteten.
Die Demonstranten schwenkten türkische Flaggen und Transparente bei der Kundgebung am Meer im Stadtteil Maltepe. Unter ihrem Jubel wurde ein Brief von Imamoglu vorgelesen. „Ich habe keine Angst, ihr steht hinter mir und an meiner Seite“, hieß es darin. „Ich habe keine Angst, weil die Nation vereint ist. Die Nation ist vereint gegen den Unterdrücker.“
Die Kundgebung unter dem Motto „Freiheit für Imamoglu“ wurde von der wichtigsten Oppositionspartei CHP organisiert. Deren Vorsitzender Özgur Özel erklärte, Millionen von Türken forderten inzwischen Imamoglus Freilassung und Wahlen. Die Vorwürfe gegen den Bürgermeister seien haltlos und politisch motiviert. Imamoglu sei verhaftet worden, weil er sich dem „Diktator“ widersetzt habe, so Özel. Die CHP rief zum Boykott von Medien, Marken und Geschäften auf, die sie als Unterstützer von Erdogan einstuft.
An der friedlichen Demonstration am Vorabend des muslimischen Zuckerfests nahmen neben Imamoglus Familie auch die Familien von im Zuge der Proteste Verhafteten teil.
Imamoglu sitzt in U-Haft
Imamoglu war am 19. März festgenommen worden, am Sonntag hatte ein Gericht wegen Korruptionsvorwürfen Untersuchungshaft gegen ihn angeordnet, wenig später wurde er als Bürgermeister von Istanbul suspendiert. Der beliebte Oppositionspolitiker gilt als wichtigster Rivale Erdogans. Seine linksnationalistische CHP kürte ihn trotz seiner Inhaftierung am Montag zum Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2028.
Die CHP hatte seit Dienstag nicht mehr zu Protesten aufgerufen, die Demonstrationen war vor allem von Studierenden fortgesetzt worden. Özel sagte der französischen Zeitung „Le Monde“ vom Samstag jedoch, dass es jetzt regelmäßige Proteste geben solle. „Jeden Samstag in einer türkischen Stadt“ und jeden Mittwoch in Istanbul.

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Er rechne damit, dass die Zahl der Festnahmen zurückgehen werde, sagte der CHP-Chef weiter. Wenn es sein muss, sei er aber bereit „acht, zehn Jahre im Gefängnis zu verbringen“. Denn sollten die Proteste jetzt nicht fortgesetzt werden, werde es bald keine Wahlen mehr in der Türkei geben, warnte Özel.
Imamoglu bedankt sich bei Unterstützern
Imamoglu selbst schrieb in einem Gastbeitrag für die „New York Times“, unter Erdogan habe sich die Türkei in eine „Republik der Angst“ verwandelt. Doch trotz – oder gerade wegen – der Repressionen gegen Regierungskritiker leisteten die Menschen auf den Straßen beharrlich Widerstand. In einer Botschaft auf der Plattform X bedankte er sich bei ihnen und schrieb: „Ich bin auf der Seite unserer jungen Leute und bewundere ihren Mut. Sie sind im Begriff, Geschichte zu schreiben.“
Die Führung der sozialdemokratischen CHP will die Proteste so lange fortsetzen, bis eine vorgezogene Präsidentschaftswahl angesetzt wird oder Imamoglu freikommt. Am Freitag gab es bereits den zehnten Abend in Folge Demonstrationen in etlichen Städten. Protestiert wurde auch in Istanbul – wo es erneut mehrere Festnahmen gab.
Imamoglus Festnahme hatte die größten Demonstrationen seit den Gezi-Protesten von 2013 ausgelöst. Die Behörden sprachen Versammlungsverbote aus und gehen mit zunehmender Härte gegen die Demonstrationen und Medien vor. Nach Angaben des Innenministeriums wurden inzwischen fast 2000 Menschen festgenommen.
Anwalt Imamoglus festgenommen
Während die Demonstrationen vielerorts verboten sind, ließ das Gouverneursamt in Istanbul dieses Protestverbot inzwischen auslaufen. Festnahmen gibt es allerdings weiterhin. Am Freitag wurde einer von Imamoglus Anwälten wegen angeblicher Geldwäsche zeitweise in Gewahrsam genommen. Unter Auflage einer Ausreisesperre kam er später wieder frei, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete.
Unter den Festgenommenen befinden sich zunehmend auch Journalisten. Am Donnerstag wurde ein BBC-Reporter festgenommen und aus der Türkei abgeschoben, der sich nach Angaben des britischen Senders mehrere Tage im Land aufgehalten hatte, um über die Proteste zu berichten.
Dass auch innerhalb des Polizeiapparats nicht alle Beamten auf Erdogans Linie sind, zeigen die Schilderungen des Journalisten: Während seiner sieben Stunden im Polizeihauptquartier hätten ihm mehrere Beamte gesagt, sie seien mit dem Vorgehen der Behörden nicht einverstanden. Einer habe ihn gar umarmt und ihm Freiheit gewünscht, schrieb Reporter Mark Lowen auf der BBC-Webseite.
Ebenfalls am Donnerstag wurde ein Journalist der schwedischen Zeitung „Dagens ETC“ laut deren Angaben nach der Landung in Istanbul zum Verhör abgeführt. Wegen Terrorvorwürfen ist er mittlerweile festgenommen worden. Die Behörden beschuldigen ihn der Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Organisation sowie der Beleidigung von Staatspräsident Erdogan. Das berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu.
Auch zwei türkische Journalistinnen wurden im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen, wie die Tageszeitung „Evrensel“ am Freitag berichtete. (AFP, Reuters, dpa)
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