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Der russische Präsident Wladimir Putin spricht während einer Plenarsitzung des Internationalen Wirtschaftsforums St. Petersburg (SPIEF).

© REUTERS/ANTON VAGANOV

Update

„Das dürfen wir nicht zulassen“: Putin warnt vor Rezession der russischen Wirtschaft

Russlands Wirtschaftswachstum schwächt sich deutlich ab. Präsident Putin warnt vor einer möglichen Rezession und fordert Gegenmaßnahmen.

Stand:

Russlands Präsident Wladimir Putin hat vor einer Rezession der russischen Wirtschaft gewarnt. „Einige Fachleute und Experten weisen auf die Risiken einer Stagnation oder sogar einer Rezession hin“, sagte Putin am Freitag beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg. „Das dürfen wir unter keinen Umständen zulassen.“

Russlands Wirtschaft hatte sich in den Jahren 2023 und 2024 trotz der westlichen Sanktionen überraschend widerstandsfähig gezeigt. Vor allem wegen der hohen Rüstungsausgaben verzeichnete sie ein deutliches Wachstum, im vergangenen Jahr nach offiziellen Angaben von 4,1 Prozent. In den vergangenen Monaten drehte sich jedoch der Wind. Im ersten Quartal dieses Jahres legte das Bruttoinlandsprodukt Russlands nur noch um 1,4 Prozent zu.

Der Putin-Vertraute Sergej Tschemesow, der die Rüstungsindustrie leitet, brüstete sich zuletzt mit einer Steigerung bei Munition und Waffen um das „Zigfache gegenüber 2021“.

Die Bedeutung der Militärausgaben sei nicht so groß, „wie einige glauben“, betonte Putin nun. „Ja, natürlich hat der militärisch-industrielle Komplex hier seine Rolle gespielt, aber wir müssen die Struktur dieses Wachstums weiterhin genau beobachten.“ Landwirtschaft, andere Industriezweige, Dienstleistungen und andere Branchen hätten ebenfalls zum starken Wachstum der Vorjahre beigetragen.

Hohe Inflation drückt Lebensstandard der Russen

Doch auch in der Landwirtschaft läuft es nicht gut: In Russland, dem Staat mit der potenziell größten Anbaufläche, sind Kartoffeln und Zwiebeln ausgegangen. Das Defizit hat sogar Putin bemerkt. „Es hat sich herausgestellt, dass uns Kartoffeln fehlen“, klagte der Kremlchef vor wenigen Wochen. Auch bei Zuckerrüben und einigen Gemüsesorten gebe es Engpässe, räumte er ein.

Zuvor waren die Preise für Kartoffeln in den russischen Geschäften durch die Decke gegangen. Innerhalb des letzten Jahres haben sie sich offiziellen Angaben nach fast verdreifacht, der Preis für Zwiebeln verdoppelt. Kohl kostet über 50 Prozent mehr als vor einem Jahr, hat die Statistikbehörde Rosstat ausgerechnet. Gefühlt ist der Anstieg noch höher.

Etwas mehr als einen Euro mussten die Russen im Juni für ein Kilo Kartoffeln ausgeben. Bei Durchschnittseinkommen von laut Rosstat knapp 1000 Euro vor Steuern und bei Renten von etwas mehr als 200 Euro ist das nicht wenig. Die anziehenden Lebensmittelpreise sind einer der Haupttreiber der Inflation in Russland. Derzeit liegt die laut Wirtschaftsministerium bei 9,6 Prozent.

Russischer Wirtschaftsminister macht Zentralbank verantwortlich

Die Zentralbank versucht, die Inflation mit einem hohen Leitzins unter Kontrolle zu bekommen – derzeit sind es 20 Prozent. Das Kalkül dahinter: Wird es wegen der hohen Zinsen schwerer, Kredite aufzunehmen, sinkt die Geldmenge, die im Umlauf ist. Weniger Geld bedeutet weniger Nachfrage und sinkende Inflation. Analysten führen jedoch an, dass hohe Zinsen angesichts des hohen Niveaus der Staatsausgaben möglicherweise kein wirksames Mittel gegen die Inflation sind.

Den Zahlen nach haben wir eine Abkühlung, den aktuellen Empfindungen der Unternehmer nach sind wir schon an der Grenze zum Übergang in eine Rezession.

Russlands Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow

Bei der Frage, wie die Wirtschaft nun wieder in Schwung gebracht werden soll, gibt es in den russischen Führungsebenen offenbar Meinungsverschiedenheiten. Russland stehe „am Rande der Rezession“, sagte Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow in St. Petersburg. Er machte vor allem die hohen Zinsen und damit die Zentralbank für finanzielle Schwierigkeiten vieler Unternehmen verantwortlich.

Der russische Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow nimmt am Internationalen Wirtschaftsforum St. Petersburg (SPIEF) teil.

© REUTERS/ANTON VAGANOV

Auf Putins großer Schaubühne warnte Reschetnikow ungewöhnlich deutlich vor Problemen für die einheimische Wirtschaft: „Den Zahlen nach haben wir eine Abkühlung, den aktuellen Empfindungen der Unternehmer nach sind wir schon an der Grenze zum Übergang in eine Rezession.“

Das derzeitige Zinsniveau demotiviere Unternehmer zu investieren, sagte Reschetnikow. Im dritten und vierten Quartal könnten die Investitionen nach Schätzung des Ministers unter dem Vorjahresniveau liegen.

Zentralbankchefin wehrt sich gegen Vorwurf

Zentralbankchefin Elvira Nabiullina wehrte sich gegen den Vorwurf einer falschen Geldpolitik, aber auch sie prognostizierte Schwierigkeiten. Russlands Wirtschaft sei zwei Jahre lang trotz der Sanktionen durch Programme zur Importverdrängung gewachsen – dank Geldern aus dem Wohlstandsfonds und bestehenden Kapitalreserven des Bankensystems.

Elwira Nabiullina leitet seit 2013 die russische Zentralbank.

© imago images/SNA/via www.imago-images.de

„Wir müssen verstehen, dass viele dieser Ressourcen tatsächlich aufgebraucht sind, und wir müssen über ein neues Wachstumsmodell nachdenken“, sagte die Chefin der russischen Zentralbank.

Rüstung boomt, viele zivile Sektoren kränkeln

Kritiker bemängeln, dass die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Russland nicht das Potenzial der Wirtschaft widerspiegele, neue Waren für die Bürger herzustellen – oder deren wachsenden Lebensstandard. Vielmehr zeige es nur an, dass die von Haushaltsgeldern finanzierte Rüstungswirtschaft immer mehr Drohnen, Raketen und Panzer produziere.

Zivile Sektoren hingegen kränkeln seit geraumer Zeit. Sie kämpfen mit hohen Kosten, Personalmangel und technologischem Rückstand, der sich durch die Sanktionen nur noch manifestiert. Der Bau- und Immobiliensektor etwa ist stark in der Krise. Auch der Autobau stockt, seitdem westliche Produzenten und Zulieferer Russland den Rücken zugewendet haben. China verkauft zwar vermehrt Autos in Russland, produziert aber vor Ort nicht selbst.

Stillstand bei Automobilen

Der zum Tschemesow-Imperium gehörende Lada-Produzent Avtovaz konnte die von westlichen Autobauern hinterlassene Lücke nicht füllen. Auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg stellte der Konzern zwar sein neuestes Modell, den Lada Azimut, vor, der ab kommendem Jahr in Serienproduktion gehen soll. Doch in den Lagern stapeln sich noch die Vorgängermodelle wegen fehlender Nachfrage.

Die Neuwagenkäufe sind in Russland nach einem Zwischenhoch 2024 erneut eingebrochen. In den ersten fünf Monaten wurden insgesamt nur rund 450.000 Fahrzeuge abgesetzt, ein Minus von 26 Prozent. Avtovaz prognostiziert auch für das Gesamtjahr einen Markteinbruch von 25 Prozent.

Besucher betrachten den neuen Lada Azimut auf dem Internationalen Wirtschaftsforum St. Petersburg (SPIEF).

© REUTERS/ANTON VAGANOV

Krise auch beim Landmaschinenbauer Rostselmasch: Der Produzent von Mähdreschern und Traktoren hat gerade mehr als 15.000 Mitarbeiter in Zwangsurlaub geschickt. Für die Belegschaft bedeutet das keine Erholung, sondern Stress; denn ob es danach weitergeht, ist unklar. Schon im März wurde Kurzarbeit in der Fabrik angesetzt, im April wurden 2000 Arbeiter entlassen.

157 Mio.
Tonnen Getreide wurden im ersten Kriegsjahr in Russland geerntet.

Paradox: Auch Rostselmasch kann nicht vom weitgehenden Rückzug der westlichen Konkurrenz profitieren. Der Absatz bei Mähdreschern stockt: Dem Markteinbruch von 20 Prozent im vergangenen Jahr folgte ein Minus von 10 bis 15 Prozent in diesem Jahr bisher. Im Lager von Rostselmasch stauen sich 40 Prozent der Jahresproduktion. Den Bauern fehlt das Geld für neue Technik. Hohe Kreditzinsen und steigende Produktionskosten machen ihnen zu schaffen.

Bauern haben von Rekordernte nicht profitiert

Und das hat Auswirkungen auf die Ernte. Im ersten Kriegsjahr 2022 hatte Putin noch stolz von einer Rekordernte beim Getreide – 157 Millionen Tonnen – berichtet. In den vergangenen beiden Jahren sanken die Erträge jeweils.

Zwar hat der Kremlchef angeordnet, bis 2030 die Getreideernte auf 170 Millionen Tonnen und den Export auf 80 Millionen Tonnen hochzufahren. „Aber ausgehend von den jüngsten Tendenzen geht die Bewegung bei uns in die entgegengesetzte Richtung“, warnte der für den Agrarsektor verantwortliche Vizepremier Dmitri Patruschew. Dies müsse schnell korrigiert werden.

Immerhin hofft die Regierung auf eine bessere Ernte als im Vorjahr. Die Kartoffeln sollen dabei schon ab kommender Woche gerodet werden. Durch das steigende Angebot könnten die Preise vorläufig wieder fallen.

Ansonsten muss Putin auf das Rezept seines langjährigen Verbündeten zurückgreifen, des als „Kartoffeldiktator“ verschrienen Machthabers von Belarus, Alexander Lukaschenko. Der hatte seinen Untertanen vor ein paar Tagen empfohlen, Kartoffeln nur noch ein- oder maximal zweimal pro Woche zu essen. Ansonsten würden sie zu dick, sagte Lukaschenko, der selbst nicht als Leichtgewicht gilt. (dpa/AFP)

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