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Ein Porträt Assads im verwüsteten Präsidentenpalast.

© REUTERS/AMR ABDALLAH DALSH

„Der Palast war fast leer, wir waren verwirrt“: So erlebte Assads Umfeld seine Flucht aus Damaskus

Assad geht nicht mehr ans Telefon, der Palast ist verwaist, Soldaten bekommen eigenartige Befehle. Wie Berater des syrischen Ex-Diktator Assad seine Flucht erlebten.

Von Maher al-Mounes, AFP

Stand:

Die Einnahme von Damaskus durch Islamisten am 8. Dezember hat Syriens damaligen Machthaber Baschar-al-Assad kalt erwischt. Nur wenige Stunden vor dem Fall der Hauptstadt ergriff er in einer Nacht- und Nebelaktion die Flucht - selbst Familienmitgliedern und seinen engsten Mitarbeitern sagte er nichts, wie die Nachrichtenagentur AFP von mehreren hochrangigen syrischen Beamten erfuhr.

Am Abend des 7. Dezember hatte Assad noch seine Presseberaterin angerufen und sie gebeten, eine Rede für ihn vorzubereiten. Doch schon wenige Stunden später steigt er in ein Flugzeug, das ihn zum russischen Militärstützpunkt Hmeimim im Westen Syriens bringt. Von dort aus habe ihn ein Flugzeug nach Moskau gebracht, wo ihm sein Verbündeter, Präsident Wladimir Putin, Asyl gewährte, erklärt ein Berater Assads.

Assads Bruder Maher, Kommandeur der gefürchteten vierten Brigade der syrischen Armee, erfährt nur durch Zufall von der Flucht des Machthabers, während er mit seinen Truppen noch Damaskus verteidigt. Daraufhin beschließt er, einen Hubschrauber zu nehmen - vermutlich um damit nach Bagdad zu fliehen.

Eine Drohnenaufnahme zeigt den riesigen Präsidentenpalast in Damaskus.

© REUTERS/YOSRI ALJAMAL

Hochrangige Beamte und andere Quellen berichteten AFP unter Bedingung der Anonymität, was sich in den letzten Tagen und Stunden vor dem Ende von Assads Herrschaft im Präsidentenpalast in Damaskus abspielte.

Als die islamistische HTS-Miliz und mit ihr verbündete Gruppierungen am 27. November im Norden Syriens ihre Großoffensive starten, hält sich Assad gerade in Moskau auf, wo seine Frau Asma wegen einer Krebserkrankung behandelt wird. Zur Verteidigung der Doktorarbeit seines Sohnes Hafis zwei Tage später erscheint die gesamte Familie - nur Assad fehlt, wie ein Beamter des Präsidialamtes berichtet.

Schon seit dem Fall Aleppos haben wir ihn nicht mehr gesehen, was sehr seltsam war.

Ein Berater Assads, der anonym bleiben möchte.

Als der Präsident am 30. November aus Moskau zurückkehrt, ist die zweitgrößte Stadt Syriens, Aleppo, bereits in der Hand der Milizen. In den darauffolgenden Tagen nehmen die Islamisten Hama und Homs ein, bevor sie eine Woche später in Damaskus stehen.

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Am Samstag, den 7. Dezember „hat Assad sich nicht mit uns getroffen“, erklärt ein Berater des Präsidentenpalastes. „Wir wussten, dass er da war, aber wir hatten kein Treffen mit ihm.“ Das Nichterscheinen des Präsidenten ohne jede Erklärung habe in seinem Umfeld für große Verwirrung gesorgt.

Ein Rebellenkämpfer hat es sich im Garten des Präsidentenpalastes bequem gemacht.

© IMAGO/SOPA Images/IMAGO/Sally Hayden / SOPA Images

„Schon seit dem Fall Aleppos haben wir ihn nicht mehr gesehen, was sehr seltsam war“, schildert der Beamte. Noch Mitte der Woche habe Assad ein Treffen mit den Leitern der Geheimdienste einberufen, sei dann jedoch nicht zu dem Termin aufgetaucht.

Am Donnerstag fällt die strategisch wichtige Stadt Hama. „Ich habe um 11.30 Uhr mit Soldaten in Hama gesprochen, die mir versicherten, dass die Stadt abgeriegelt sei und nicht einmal eine Maus hinein gelangen könne“, schildert ein Oberst.

Zwei Stunden später erhalten die Soldaten demnach den Befehl, nicht mehr zu kämpfen, sondern sich nach Homs weiter südlich zurückzuziehen. Sie „sind ratlos, legen ihre Uniformen und Waffen ab und versuchen, nach Hause zu kommen“, berichtet der Oberst. „Wer hat diesen Befehl erteilt? Wir wissen es nicht.“

Am Samstagmorgen wird eine Rede Assads an das Volk geplant. „Wir begannen mit dem Aufbau der Ausrüstung. Alles war bereit“, sagt ein ranghoher früherer Beamter des Präsidentenpalasts. „Später erfuhren wir zu unserer Überraschung, dass die Rede verschoben wurde, vielleicht auf Sonntagmorgen“, fügt er hinzu. Keiner der Regierungsbeamten habe gewusst, dass die Armee zu dem Zeitpunkt bereits begonnen hatte, ihre Archive zu verbrennen, ergänzt er.

Um 21.00 Uhr Ortszeit „rief der Präsident seine politische Beraterin Bouthaina Schaaban an und bat sie, eine Rede für ihn vorzubereiten und diese dem politischen Komitee vorzulegen, das am Sonntagmorgen zusammentreten sollte, sagt ein weiterer Beamter.

Der Palast war fast leer und wir waren sehr verwirrt.

Ein Palastberater, der ebenfalls anonym bleiben will.

Um 22.00 Uhr ruft Schaaban ihn den Schilderungen zufolge zurück, aber Assad nimmt den Hörer nicht mehr ab. Am Abend sagt Assads Mediendirektor Kamel Sakr Journalisten, der Präsident werde „sehr bald eine Erklärung abgeben“. Doch dann geht auch Sakr nicht mehr ans Telefon, ebenso wenig wie Innenminister Mohammed al-Rahmun.

Gegen Mitternacht wird dem ranghohen Palastbeamten mitgeteilt, dass der Präsident einen Kameramann für eine Veranstaltung am Morgen benötige. „Das hat uns das Gefühl gegeben, dass er noch da war“, schildert der Beamte. Gegen 02.00 Uhr morgens habe ihn dann ein Geheimdienstoffizier angerufen und ihm mitgeteilt, dass alle Regierungsvertreter ihre Büros verlassen hätten.

„Ich war schockiert. Wir waren nur noch zu zweit im Büro“, schildert er. „Der Palast war fast leer und wir waren sehr verwirrt“. Daraufhin verließ um 02.30 Uhr auch er den Präsidentenpalast.

„Als wir auf den Umajjaden-Platz kamen, waren dort viele Soldaten auf der Flucht, die nach Transportmöglichkeiten suchten.“ Der Anblick sei „erschreckend“ gewesen: Zehntausende Autos verließen Damaskus, noch mehr Menschen seien zu Fuß auf der Flucht gewesen. „In diesem Moment wurde mir klar, dass alles verloren und Damaskus gefallen war“.

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