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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Polens Präsident Andrzej Duda

© Foto: IMAGO/Christian Spicker

Deutsch-polnisches Verhältnis: Gemeinsames Schulbuch vor dem Aus?

Ein gemeinsames Schulprojekt sollte die Nachbarstaaten von Klischees befreien. Der letzte Band ist seit einigen Jahren fertig, doch Warschau verweigert bisher die Zulassung. Ist das das Ende für das Projekt – und die deutsch-polnische Freundschaft? Ein Gastbeitrag.

Das angespannte deutsch-polnische Verhältnis wirft weite Schatten. Einst als ehrgeiziges Vorhaben gefeiert, sollte ein gemeinsames Schulbuchprojekt Schüler:innen in beiden Ländern helfen, einen gemeinsamen Blick auf die Vergangenheit der Nachbarstaaten zu werfen.

Die vierbändige Reihe „Europa – unsere Geschichte“ wurde von polnischen und deutschen Historikern entwickelt, sollte nicht nur gesicherte historische Fakten bieten, sondern Lernenden auch und vor allem in die Lage versetzen, sich selbständig mit unterschiedlichen Deutungen der Geschichte auseinandersetzen. Jetzt steht das deutsch-polnische Geschichtsbuch womöglich vor dem Aus.

Denn seit Fertigstellung des vierten Bands 2020 vollzog die polnische Seite eine fundamentale Kehrtwende. Das verantwortliche Ministerium für Bildung und Wissenschaft (MEiN) verzögerte das Zulassungsverfahren für diesen Band und machte im Sommer 2021 gezielt negative Gutachten zu dem Band öffentlich. Als Folge musste der polnische Schulbuchverlag seinen Zulassungsantrag zurückziehen.

Polnische Regierung boykottierte Buchpräsentation

Im Dezember 2021 erklärte das Ministerium die Projektarbeit einseitig für beendet und verweigerte auch seine Mitwirkung an der Organisation einer öffentlichen Präsentation des Gesamtwerks. Die Jubiläumskonferenz der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission im Sommer 2022, bei der auch das abgeschlossene Schulbuch präsentiert wurde, boykottierte die polnische Regierung ostentativ.

Dabei begann das gemeinsame Projekt eindrucksvoll. In Deutschland wurde der vierte Band des Schulbuchs mit dem Preis für das beste Schulbuch des Jahres 2021 im Bereich Gesellschaft ausgezeichnet. Auch das internationale Echo war groß. Lob kam besonders aus Frankreich, aber auch aus Ostasien, wo die deutsch-polnische Schulbucharbeit seit Langem als Vorbild für die Bemühungen um die Verständigung zwischen Japan, Korea und China gilt.

Nur die polnische und die deutsche Regierung, die vor Jahren gemeinsam den politischen Anstoß für das bilaterale Schulbuchprojekt gegeben hatte, übergingen dessen erfolgreichen Abschluss mit Schweigen.

Gebrauch des Schulbuchs ist in Polen nicht „verboten“

Tatsächlich waren es die damaligen Außenminister Frank-Walter-Steinmeier und Radoslaw Sikorski, die 2008 das Startsignal gaben. Sie sicherten dem Projekt großzügige finanzielle Unterstützung und die Regierungen verpflichteten sich dazu, sich für die Einführung des Schulbuchs in beiden Ländern einzusetzen.

Nachdem die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission der Historiker und Geographen 2010 ein detailliertes Konzept für das Schulbuch vorgelegt hatte, begannen 2012 die Arbeiten eines deutsch-polnischen Verlagstandems an den einzelnen Bänden.

Den ersten Band von „Europa – unsere Geschichte“ stellten die Außenminister beider Länder 2016 öffentlich vor. Die Bände zwei und drei wurden 2017 und 2018 fertiggestellt, in den meisten deutschen Bundesländern sowie in Polen zugelassen und öffentlich präsentiert.

Auch heute ist der Gebrauch des Schulbuchs in Polen nicht „verboten“. Doch hat die negative Haltung von Regierung und Ministerium dafür gesorgt, dass das Schulbuch den polnischen Lehrerinnen und Lehrern praktisch unbekannt und auch weitgehend unzugänglich geblieben ist. Von deutscher Seite gab bisher es keine Anstrengungen, diese Blockade aufzulösen.

Ob sich die polnische Regierung ohne deutsche Bemühungen in ihrer Blockadehaltung aber umstimmen lässt, bleibt fraglich. Die Zulassung des letzten Bands wird daher zum Lackmustest für das Geschichtsverständnis der nationalkonservativen PiS-Regierung in Warschau – und für das deutsch-polnische Verhältnis.

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