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Eine Deutschlandfahne haengt in einem Baum. Katibougou, Mali.

© imago/photothek/Thomas Trutschel/photothek.net

Deutschlands Strategie: Entwicklungszusammenarbeit muss Teil von Wirtschaftspolitik sein

Früher war es Ausdruck globaler Verantwortung, heute wird an der Entwicklungszusammenarbeit gespart. Ein strategischer Fehler, analysiert Wirtschaftsexperte Lars-Hendrik Röller.

Lars-Hendrik Röller
Ein Gastbeitrag von Lars-Hendrik Röller

Stand:

Kürzungsdebatten dominieren derzeit die Schlagzeilen zur Entwicklungszusammenarbeit. Was einst Ausdruck globaler Verantwortung war, wird zunehmend zur fiskalpolitischen Verfügungsmasse. Das ist nicht in unserem Interesse als Exportnation.

In Europa und den USA sinken die Budgets für Entwicklungszusammenarbeit teils drastisch – trotz der international vereinbarten Quote von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Die Niederlande planen ab 2027 Kürzungen von 2,4 Milliarden Euro; Großbritannien will seine Quote auf 0,3 Prozent reduzieren, um mehr in Verteidigung zu investieren; die USA schließen bis Ende September alle USAID-Auslandsstellen; in Deutschland fiel die Quote 2024 mit 0,67 Prozent erstmals seit 2020 unter die 0,7-Prozent-Marke – die 900 Millionen Euro, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) jetzt einsparen soll, noch nicht mitgerechnet. Nach den aktuellen Haushaltsplanungen könnte der Anteil bereits 2026 auf rund 0,52 % und im Jahr darauf auf 0,39 Prozent sinken.

Als Gründe für diese Kürzungen lassen sich die veränderten Prioritäten aufgrund von wirtschaftlicher Unsicherheit, steigenden Sicherheits- und Verteidigungsausgaben und erhöhten Kosten bei den sozialen Ausgaben anführen. Dies ist alles nachvollziehbar, unterschätzt aber, dass der globale Handlungsbedarf in der Entwicklungszusammenarbeit eher steigt. Der Klimawandel oder Gesundheitskrisen machen nicht an Grenzen halt.

Vor allem aber ist Entwicklungszusammenarbeit kein Nullsummenspiel, bei dem Einsparungen automatisch den Haushalt entlasten. Jeder Euro für Entwicklung kann laut dem Kiel Institut für Weltwirtschaft bis zu zwei Euro an privaten Direktinvestitionen mobilisieren. Gut investiert ist sie somit ein Multiplikator für Wachstum und Stabilität, sichert Zugang zu Zukunftsmärkten sowie Ressourcen und stärkt mittelbar auch die Staatseinnahmen.

Eine Investition in Resilienz

Gerade in Zeiten, wo sich die geopolitische Lage neu ordnet, ist Investieren sinnvoll. Anstatt hier zu sparen, sollten wir Entwicklungszusammenarbeit als strategische Anlage in die eigene Resilienz, Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit begreifen und entsprechend priorisieren.

Der Blick nach Asien zeigt: Länder wie Japan und Südkorea kommen zwar historisch von einem niedrigeren Niveau, nutzen Entwicklungszusammenarbeit aber inzwischen als strategisches Instrument, um in einem geopolitisch herausfordernden Umfeld internationale Partnerschaften zu stärken und langfristig wirtschaftliche Interessen abzusichern – auch in fiskalisch angespannten Zeiten.

Japan steigerte seine Entwicklungsausgaben trotz eigener fiskalpolitischer Belastung und schwachem Yen um über 50 % in den letzten fünf Jahren, um sich angesichts einer alternden Bevölkerung Zugang zu Märkten, Technologie und Fachkräften zu sichern. Auch das ehemalige Empfängerland Südkorea investiert auf nie gesehenem Niveau und plant weitere Erhöhungen.

Alte Allianzen brechen, es braucht neue

Deutschland sollte sich daran ein Beispiel nehmen. Angesichts des demografischen Wandels, einer anhaltenden Wachstumsflaute und wachsender globaler Abhängigkeiten bei gleichzeitig weniger zuverlässigen Allianzen können wir es uns nicht leisten, Entwicklungszusammenarbeit zu vernachlässigen. Wer früh in die Märkte der Zukunft investiert und ein Partner für ihren Aufschwung ist, kann an ihrem Wachstum teilhaben.

Das ist nicht nur außenwirtschaftlich relevant, sondern auch geopolitisch. China etwa ist schon heute einer der größten Geber, auch wenn belastbare Zahlen zum Umfang fehlen. Mit der Belt and Road Initiative baut es stark interessengeleitet Handelsrouten aus und sichert sich Absatzmärkte. Doch gehen die Projekte oft auf Kosten von Umwelt- und Sozialstandards sowie Menschenrechten, bringen wenig lokale Wertschöpfung und sind meist zum Vorteil staatlicher Unter-nehmen ausgelegt, die technologische und politische Abhängigkeiten schaffen.

Es geht auch um Deutschlands Interessen

Um in den Zukunftsmärkten relevant zu bleiben, sollte Deutschland sein Modell stärken, das traditionell auf Partnerschaften setzt, lokale Arbeitsmärkte fördert, Überschuldung vermeidet und soziale wie ökologische Aspekte berücksichtigt. So wird aus kurzfristiger Hilfe eine nachhaltige Strategie. Gleichzeitig müssen wir selbstbewusster die eigenen wirtschaftlichen Interessen betonen.

Denn gut gemachte Entwicklungszusammenarbeit hat einen messbaren wirtschaftlichen Nutzen: Laut einer Studie der Uni Göttingen und der KfW generierte sie zwischen 2013 und 2023 jährlich 8,8 Milliarden US-Dollar zusätzliche Exporte und sicherte 139.000 Arbeitsplätze in Deutschland.

Im Zusammenspiel von Soft Power – also Vertrauen, Partnerschaft und Werteorientierung – und Hard Power – wie wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Stärke – entfaltet Entwicklungszusammenarbeit ihr volles Potenzial und wird zum effektiven Instrument moderner Außen- und Wirtschaftspolitik. Entscheidend ist dabei der „Mutual Interest“: Wo beidseitige Interessen klar benannt und verfolgt werden, entstehen belastbare Partnerschaften – das habe ich in meiner Zeit als G7/G20-Sherpa in globalen Verhandlungen immer wieder erlebt.

Japan macht es vor

Klar ist aber auch: Entwicklungszusammenarbeit muss sich weiterentwickeln. Mit mehr Transparenz, höherer Effizienz, klaren Prioritäten und einer stärkeren Einbindung der Privatwirtschaft. Damit Unternehmen in Entwicklungsländern investieren, braucht es Anreize und einen überzeugenden „Business Case“, bei dem betriebswirtschaftliche Risiken kalkulierbar und beherrschbar bleiben. Japan macht es vor: In seiner jüngsten Reform setzt es auf die Mobilisierung privater Mittel und Finanzinstrumente wie grüne Anleihen oder Kreditgarantien.

Ein besonders wirkungsvoller Hebel sind staatliche Garantien, die Investitionsrisiken abfedern. Dieses Instrument kann beispielsweise private Klimainvestitionen attraktiver machen und die grüne Transformation vorantreiben. Dazu hat die Green Guarantee Group auf der vierten UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (FfD4) in Sevilla kürzlich konkrete Vorschläge vorgelegt. Diese Initiative der Bundesregierung und der nigerianischen Regierung erarbeitet pragmatische Empfehlungen für die politische Entscheidungsebene, um den Einsatz und die Wirksamkeit solcher Garantien zu steigern.

Wichtig ist, dass Wirtschaft und Politik eng in den Austausch dazu treten, welche wirtschaftlichen Chancen sich durch Partnerschaften mit Ländern des Globalen Südens ergeben und welche Instrumente für die Mobilisierung des Privatsektors dabei sinnvoll sind. Plattformen wie der Berlin Global Dialogue, der im Oktober zum dritten Mal stattfindet, bieten Gelegenheit für einen solchen Dialog.

Aufgrund der geopolitischen Neuordnung ist der Moment für strategisches Handeln in der Entwicklungspolitik gerade äußerst günstig, nicht zuletzt, um Abhängigkeiten entgegenzuwirken. Deutschland muss mehr – und klüger – in Entwicklungszusammenarbeit investieren. Aus Eigeninteresse. Und aus globaler Verantwortung.

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