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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nimmt an der Parlamentssitzung teil.

© dpa/Vadym Sarakhan

Update

Gesetz schränkt Antikorruptionsbehörden ein: EU spricht von „Rückschritt“ der Ukraine – erste Proteste gegen Selenskyj seit Kriegsbeginn

Der ukrainische Präsident billigt ein Gesetz, das die Unabhängigkeit von Antikorruptionsbehörden einschränkt. Die Ukrainer reagieren empört – in mehreren Städten wird demonstriert. Nun reagiert der Staatschef.

Stand:

Nach den Protesten gegen ein umstrittenes Gesetz, das die Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörden einschränkt, betonte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, dass die Regierung die nationale Stimmung sehr ernst nimmt:

„Wir hören alle, was die Gesellschaft sagt. Wir sehen, was die Menschen von staatlichen Institutionen erwarten – Gerechtigkeit und Effizienz“, schrieb er in seinem Telegram-Kanal.

Der ukrainische Präsident hatte zuvor ein Gesetz unterzeichnet, das die Unabhängigkeit zweier ukrainischer Antikorruptionsbehörden einschränkt. Mit dem Schritt werden das nationale Antikorruptionsbüro und die Antikorruptions-Staatsanwaltschaft dem Generalstaatsanwalt unterstellt, der wiederum von Selenskyj ernannt wird.

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In der Ukraine kam es deshalb am Dienstagabend zu Protesten gegen das Gesetz. Die EU kritisierte die Änderung als „Rückschritt“. Korruption und die Zweckentfremdung von Geldern sind ein weitverbreitetes Problem in der Ukraine.

Selenskyj sagte am Mittwoch, dass das Antikorruptionsbüro und die Antikorruptions-Staatsanwaltschaft unabhängig von der Änderung „weiterarbeiten“ würden, und fügte hinzu, dass die ukrainische Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung von „russischen Einflüssen“ befreit werden müsse.

Der Generalstaatsanwalt sei fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass in der Ukraine Strafen angewendet werden, fügte Selenskyj hinzu.

Europa ist keine Fassade – es sind Prinzipien.

Slogan der Kritiker

NGOs üben scharfe Kritik an Selenskyjs Entscheidung

Das Parlament in Kiew hatte am Dienstag ein entsprechendes Gesetz verabschiedet, das später von Selenskyj unterzeichnet wurde. Trotz scharfer Kritik von Nichtregierungsorganisationen an den Plänen stimmte eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten für das Gesetz.

„Heute wurde mit den Stimmen von 263 Abgeordneten die Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung zerstört“, sagte der Chef des nationalen Antikorruptionsbüros, Semjon Krywonos, vor Journalisten.

Demos in Kiew fordern: „Nein zum Autoritarismus“

Als Reaktion auf die Entscheidung gingen in Kiew und mehreren weiteren Städten Menschen auf die Straße. Vor dem Parlament und dem Präsidentenamt dauern die spontanen Proteste an. Die Teilnehmenden betonen, dass die Soldatinnen und Soldaten an der Front für europäische Werte kämpfen – nicht für eine Rückkehr zu autoritären Machtstrukturen wie in der Ära Janukowytsch.

Viele hielten Schilder mit Aufschriften wie „Hände weg vom NABU“, „Wir kämpfen nicht für eine Monarchie“ oder „Nein zum Autoritarismus“ in die Höhe.

Demonstranten protestieren in Kiew gegen das neue Gesetz zur Einschränkung der Korruptionsbehörden.

© IMAGO/SOPA Images/IMAGO/Patryk Jaracz / SOPA Images

Laut der ukrainischen NGO Anti-Corruption Action Center macht das Gesetz die Antikorruptionsbehörden weitgehend bedeutungslos, da der Generalstaatsanwalt „die Ermittlungen gegen alle Freunde“ von Präsident Selenskyj einstellen werde.

Proteste in der Ukraine könnten sich weiter zuspitzen

Nach Einschätzung von Aktivistinnen und Aktivisten könnten sich die Proteste in den kommenden Tagen weiter zuspitzen. Im Zentrum steht die Überzeugung, dass die ukrainische Gesellschaft nicht bereit ist, die Errungenschaften der Revolution der Würde und den jahrelangen Kampf gegen Korruption zugunsten einer Machtkonzentration preiszugeben.

Der Unmut richtet sich auch gegen Selenskyj, der das Gesetz unterzeichnet hat.

© Imago/Anadolu Agency/Danylo Antoniuk

In den sozialen Netzwerken macht ein Slogan die Runde, der die Stimmung vieler auf den Punkt bringt: „Europa ist keine Fassade – es sind Prinzipien.“

Fabrice Deprez, Reporter der Financial Times in der Ukraine, schreibt auf dem Nachrichtendienst X von einem „gefährlichen Moment“: „Ein Präsident, der mit einer großen innenpolitischen Krise konfrontiert ist, die er selbst verursacht hat, während das ukrainische Militär sich in seiner prekärsten Lage seit 2022 befindet.“

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Ist der EU-Beitritt der Ukraine nun gefährdet?

EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos sprach von einem „ernsthaften Rückschritt“ auf dem Weg der Ukraine zu einem EU-Beitritt. Rechtstaatlichkeit und unabhängige Behörden im Kampf gegen die Korruption blieben „im Mittelpunkt der EU-Beitrittsverhandlungen“, betonte sie im Onlinedienst X.

Kurz vor der Abstimmung erklärte Kommissionssprecher Guillaume Mercier zudem, dass die europäischen Institutionen der Ukraine „erhebliche finanzielle Unterstützung“ gewährten, „die von Fortschritten in den Bereichen Transparenz, Justizreform und demokratische Regierungsführung“ abhänge.

Wadephul sieht EU-Weg belastet

Bundesaußenminister Johann Wadephul hat die Entscheidung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kritisiert, die Unabhängigkeit der Anti-Korruptionsbehörden einzuschränken.

Dies „belastet den Weg der Ukraine in die EU“, sagte Wadephul am Mittwoch der „Bild“-Zeitung. „Ich erwarte von der Ukraine die konsequente Fortsetzung der Korruptionsbekämpfung.“

Ex-Außenminister Kuleba: „Schlechter Tag für die Ukraine“

Der ehemalige ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, der 2024 aus der Regierung ausgeschieden war, sprach ebenfalls von einem „schlechten Tag für die Ukraine“. „Jetzt hat der Präsident die Wahl, ob er sich auf die Seite des Volkes stellt oder nicht“, sagte er.

Jetzt hat der Präsident die Wahl, ob er sich auf die Seite des Volkes stellt oder nicht.

Dmytro Kuleba über Wolodymyr Selenskyj

Am Montag hatte der ukrainische Geheimdienst (SBU) nach eigenen Angaben einen Mitarbeiter des Antikorruptionsbüros wegen angeblicher Spionage für Russland festgenommen. Der SBU beschuldigte den Verdächtigen, geheime Informationen an einen Sicherheitsmann des 2014 gestürzten ukrainischen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch weitergegeben zu haben. Der Kreml-treue Janukowitsch lebt heute in Russland.

Zuvor hatte der SBU die Räume des Antikorruptionsbüros und der auf Korruption spezialisierten Staatsanwaltschaft in Kiew durchsucht. Das ukrainische Antikorruptionsbüro war 2014 nach der pro-europäischen Maidan-Revolution eingerichtet worden.

Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International landete die Ukraine 2024 auf Platz 105 von 180 Ländern. (Tsp/AFP/Reuters)

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