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Gladiatorenkämpfe und Einsätze als lebende Köder: Frontberichte decken Martyrien russischer Soldaten in ihren Einheiten auf
Russische Kommandeure sollen Folterungen und Exekutionen an Mitgliedern der eigenen Truppe begangen haben. Das geht aus einem neuen Bericht hervor, der sich auf Aussagen russischer Frontsoldaten stützt.
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Ein neuer Bericht des unabhängigen russischen Mediums „Verstka“ zeigt, wie grausam russische Armeechefs Soldaten ihrer eigenen Truppen bei Ungehorsam foltern und exekutieren. Die am vergangenen Dienstag veröffentlichte Recherche beruft sich dabei auf zahlreiche Berichte von russischen Frontsoldaten, Angehörigen der Gefallenen, auf offizielle russische Beschwerdeakten und auf Videomaterialien, die von Militärbloggern in sozialen Netzwerken geteilt wurden.
Die Folterungen und Exekutionen wurden dem Bericht zufolge von 101 mutmaßlichen Tätern an eigenen Truppenangehörigen begangen. Mindestens 150 Todesfälle seien im Nachgang im Zusammenhang mit den Gräueltaten verifiziert worden, berichtet „Vertska“ – wobei die Dunkelziffer weitaus höher liegen dürfte. Trotz detaillierter biografischer Daten der Täter, wie etwa Name, Dienstgrad, Alter oder Einheit und einer „umfangreichen Beweislage“ sei fast keiner der Schuldigen zur Rechenschaft gezogen worden, heißt es in der Recherche.
Die Untersuchung dokumentiert eine Bandbreite verschiedenster Methoden, mithilfe derer „Gehorsam und Terror innerhalb der eigenen Reihen durchgesetzt wird“, wie es in dem Bericht heißt. Im Nachfolgenden wird exemplarisch eine Auswahl der Bestrafungs- und Disziplinarverfahren aus dem umfangreichen Katalog wiedergegeben. Die Maßnahmen richteten sich demnach an russische Soldaten, die entweder Befehle verweigerten oder Regeln missachteten. Unabhängig überprüfen ließen sich Angaben allerdings nicht.
1. Das „Nullen“ von Kameraden
Nach Zeugenaussagen russischer Frontsoldaten sollen Kommandeure in den eigenen Reihen sogenannte „Exekutionsschützen“ benannt haben, die im Fall von Befehlsverweigerungen das Feuer auf ihre Kameraden eröffnen sollen. Die Leichen werden den Angaben zufolge in Flüssen oder flachen Gräbern entsorgt. Die Toten sollen im Anschluss als Deserteure oder im Einsatz Gefallene gelistet werden.
Die Exekution eines Kameraden innerhalb der eignen Truppe nennen russische Soldaten „jemanden Nullen“. Kommandeure und Offiziere, die solche Hinrichtungen durchführen, werden hingegen als „Nullierer“ bezeichnet. „Dabei handelt es sich nicht nur um Morde im wörtlichen Sinne, wie etwa Erschießungen oder Folter bis zum Tod“, schreibt „Vertska“ unter Berufung auf Soldatenangaben.
Auch wenn Kameraden ohne Waffen, Ausrüstung oder Unterstützung wie bei einem Selbstmordkommando an die Frontlinie geschickt werden, falle das unter das „Nullen“. Einem Kämpfer des 139. Selbstständigen Angriffsbataillons zufolge soll sein Kommandant einigen Soldaten befohlen haben, Befehlsverweigerer via Drohne auszuschalten und zu „nullen“. „Die Drohnenpiloten wurden eingeschüchtert, sie standen unter vorgehaltener Waffe da“, berichtete der Soldat.
2. „Leuchtfeuer“ als lebende Köder
Ein Frontsoldat der 90. Panzerdivision der Donezker Gruppe „Zentrum“ schilderte dem Medium, dass einer seiner Kameraden mit dem Rufnamen „Fiksa“ von seinem Vorgesetzten den Befehl bekam, als sogenanntes „Leuchtfeuer“ zu agieren. Dabei werden Kämpfer ohne Waffen oder Schutzmontur zu den Feuerstellungen der ukrainischen Streitkräfte geschickt. Als „lebender Köder“ soll der Gegner dazu animiert werden zu schießen, damit der „Leuchtfeuer“-Soldat die genaue Position der Ukrainer ermitteln kann.
Deine einzige Chance zu überleben ist, verwundet und von den Ukrainern gefangengenommen zu werden.
Soldat der 90. Panzerdivision, Donezker Gruppe „Zentrum“
Der Soldat schildert das Vorgehen wie folgt: „Du rennst einfach in eine Richtung. Hinter dir steht eine Sperrtruppe, die dich nicht mehr zurücklässt. Deine einzige Chance zu überleben ist, verwundet und von den Ukrainern gefangengenommen zu werden.“ Als „Fiksa“ den Befehl verweigert habe, habe der Kommandant der Sturmeinheit seine Folterung und Exekution angeordnet. Die Misshandlung mit Stöcken und einem Elektroschocker wurde den Angaben zufolge gefilmt, der befragte Soldat identifizierte in den Aufnahmen seinen Kameraden „Fiksa“. Nach dessen Erschießung sei der Gefolterte in einem Waldstück verscharrt worden.
3. Gladiatorenkämpfe in Gruben
Ein russischer Soldat namens „Alexei“ berichtete dem Medium von Foltermethoden, die martialischen Gladiatorenkämpfen bis zum Tod ähneln. So seien einige seiner Kameraden nach einem unerlaubten Trinkgelage mit Handschellen in eine zwei Meter tiefe und breite Grube geworfen wurden. Anschließend habe man ein schweres Metallgitter oben auf die Öffnung gelegt und die Grube bis zum Rand mit Wasser gefüllt.
„Das heißt, man versuchte einfach, wie ein Fisch Luft durch das Gitter zu schnappen. So haben sich die Kommandanten dort vergnügt“, berichtet „Alexei“. Die Soldaten, die das stundenlange Martyrium überlebten, seien mit Lungenentzündung ins Krankenhaus gebracht oder wieder an die Front geschickt worden.
Ein Soldat von der 114. Motorisierten Infanteriebrigade mit dem Rufnamen „Yuri“ berichtete von Kämpfen in Gruben, die bis zum Tod ausgetragen wurden. So habe man mehreren Kameraden in der Grube gesagt: „Leute, wenn ihr rauswollt, dann kämpft. Wer bleibt, der kommt auch raus“, schilderte „Yuri“. „Können Sie sich vorstellen, dass man gegen einen Kameraden kämpfen muss, der einen vorher im Gefecht geschützt hat? Da sterbe ich lieber selbst“, so der Soldat.
Im Mai 2025 veröffentlichten Kriegsblogger in den sozialen Medien ein Video, das einen solchen Gruben-Kampf zeigen soll. Darin sollen zwei Soldaten – beide ebenfalls von der 114. Brigade – zu sehen sein, die sich oberkörperfrei bekämpfen. Der Videobeschreibung zufolge sollen sie sich zuvor geweigert haben, ohne Schutzmaßnahmen an die Front zu gehen. Unabhängig überprüfen ließ sich das Material bislang nicht.
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