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In London treffen sich an diesem Montag Regierungen, internationale Organisationen und Unternehmen zum Global Food Security Summit.

© Bearbeitung: Tagesspiegel/imago

Internationaler Gipfel zur Ernährungssicherheit: Kann der Hunger auf der Welt beendet werden?

In London beraten am Montag Politiker und Fachleute über die Versorgung mit Nahrungsmitteln sowie den Kampf gegen Unterernährung. Bringt der Gipfel Fortschritte? Vier Experten geben ihre Einschätzung.

Stand:

Großbritannien richtet am Montag einen internationalen Gipfel zur Ernährungssicherheit aus. Der Fokus des Treffens in London ist, auf die Probleme bei der weltweiten Versorgung mit Lebensmitteln aufmerksam zu machen, Lösungen zu finden sowie die Bemühungen für die Ausrottung von Unterernährung und Hunger voranzubringen.

Das Treffen gilt auch als Antwort auf die Aufkündigung des Getreideabkommens mit der Ukraine, was zu Lücken in der Versorgung geführt hat.

Was ist von dem Gipfel zu erwarten? Kann er den Kampf gegen den Hunger voranbringen? Vier Expert:innen geben ihre Einschätzung. Alle Folgen unserer Kolumne „3 auf 1“ finden Sie hier.


Es fehlt am politischen Willen

Weltweit werden heute genügend Lebensmittel produziert, niemand müsste hungern. Ein Drittel aller Lebensmittel werden weggeworfen – unfassbare 1,3 Milliarden Tonnen jährlich.

Hunger entsteht, wenn Menschen zu arm sind, um sich Lebensmittel zu kaufen. Es fehlt weltweit am politischen Willen, das Menschenrecht auf Nahrung umzusetzen. Die Voraussetzungen für den Kampf gegen Hunger verändern sich allerdings gerade grundlegend. Ernährungssicherung erfordert, Treibhausgase drastisch und sehr schnell zu reduzieren und die Landwirtschaft an die neuen Herausforderungen anzupassen.

Indem Regierungen der fossilen Industrie erlauben, die Klimakrise weiter anzuheizen, spielen sie mit dem Feuer. Der Raubbau an Boden, Biodiversität und Wasser muss beendet werden. Wir zerstören das Naturkapital, welches wir für die Sicherung der Ernährung benötigen.

Die Welternährungsorganisation FAO hat errechnet, dass die derzeitigen Ernährungssysteme jährlich versteckte Kosten von 10 Billionen US-Dollar verursachen. Der Krieg in der Ukraine hat offenbart, wie verletzlich viele arme Länder mit Blick auf Importabhängigkeiten bei Düngemitteln und Weizen sind. Die Zeit für business as usual ist vorbei, wir müssen die Voraussetzungen von weltweiter Ernährungssicherung neu bewerten.


Die Regierungen müssen ihre Politik neu ausrichten

Um den Hunger in der Welt zu beenden, muss die internationale Gemeinschaft die aktuellen Wirtschafts- und Finanzsysteme strukturell verändern. Die Regierungen müssen ihre Politik, Gesetzgebung und Budgets im Interesse der Allgemeinheit neu ausrichten.

Konzerne und Reiche müssen angemessen besteuert und die Finanzmärkte diszipliniert werden. Land- und Ressourcenraub sowie Spekulation mit Nahrungsmitteln müssen gestoppt werden. Technofixes, industrielle Landwirtschaft und kapitalistischer Handel verstärken Ungleichheit, Armut, Ausbeutung und Umweltzerstörung nur noch weiter.

Wir brauchen dringend einen globalen Paradigmenwechsel hin zu Ernährungssouveränität, Agrarökologie und regionalen Märkten sowie Ökonomien, die am Gemeinwohl ausgerichtet sind und Partizipation ermöglichen.

Wenn Menschen ihrer Möglichkeiten beraubt werden, Lebensmittel herzustellen und sich zu ernähren, und wenn Nahrung und Wasser als Waffe eingesetzt werden, muss dies als Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet werden.


Es braucht Lösungen für künftige Krisen

Acht Jahre, nachdem die internationale Gemeinschaft einstimmig das Ziel „Zero Hunger“ ausrief, hat der Kampf gegen den Hunger binnen kürzester Zeit so viele Rückschläge erlitten wie nie zuvor. Nach den letzten Erhebungen hungern 333 Millionen Menschen akut – 200 Millionen mehr als vor der Pandemie.

Diese Zahl beinhaltet noch nicht einmal die Kaskade an Konflikten und Katastrophen, die 2023 über Millionen Menschen hereinbrach: die Regionalkrise um den Sudan, schwere Erdbeben und Sintfluten in Libyen, der Krieg in Nahost.

Für den Kampf gegen den Hunger heißt das, das absolute Minimum zu priorisieren, nämlich Menschen durch humanitäre Ernährungshilfe das blanke Überleben zu sichern. In einer Welt des Überschusses sollte niemand an Hunger sterben.

Will man Hunger an der Wurzel packen, braucht es mehr. Vor allem Lösungen, wie man Menschen gegen zukünftige Krisen wappnet. Zum Beispiel hungern viele Kleinbäuerinnen in Afrika. Sie zu befähigen, mit guter Landwirtschaft Ökosysteme und damit ihre Lebensgrundlagen wiederherzustellen, ist echter Wandel.


Nahrung ist ein Menschenrecht

Reiche Länder und Philanthropen veranstalten gerne Gipfel, um darüber zu diskutieren, wie der Hunger beendet werden kann. Es überrascht nicht, dass die Lösungen, die sie präsentieren, mit ihren geschäftlichen und wirtschaftlichen Interessen übereinstimmen, sodass sich nichts verändert.

Was wir stattdessen brauchen, ist ein offenes Ohr für die Menschen, die vom Hunger betroffen sind – für ihre Vorschläge zur Überwindung des Hungers. Nahrung ist ein Menschenrecht. Die Regierungen müssen anerkennen, dass die Menschen in der Lage sind, sich selbst zu organisieren und zu entscheiden, welche Ernährungspolitik sie wollen.

Die Gruppen, die von der Ernährungsunsicherheit am stärksten betroffen sind, und Grassroots-Bewegungen müssen in allen Institutionen, die die Ernährungssysteme gestalten, ein Mitspracherecht haben. Wir müssen aufhören zu glauben, dass Unternehmen für die Ernährung der Welt unverzichtbar sind und dass Technologie den Hunger beenden wird.

Es gibt brillante Wege, wie zum Beispiel durch Agrarökologie und Ernährungssouveränität, Hunger vor Ort beendet werden kann. Die Demokratisierung der Lebensmittelsysteme ist dringend notwendig.

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