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Die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen hält eine Rede 

© AFP/JEAN-CHRISTOPHE VERHAEGEN

Misstrauensvotum gegen Von der Leyen: Im EU-Parlament geht es nicht mehr nur um Europa

Im Europäischen Parlament war Fraktionsdisziplin bisher unbekannt. Nun droht auch hier die parteipolitische Auseinandersetzung zu dominieren. Das tut Europa nicht gut.

Knut Krohn
Ein Kommentar von Knut Krohn

Stand:

Ursula von der Leyen kann aufatmen. Die EU-Kommissionschefin hat den Misstrauensantrag überstanden. Eine große Mehrheit der Abgeordneten im Europaparlament stimmte gegen die Initiative der Rechtsextremen. Alles andere wäre eine politische Sensation gewesen.

Es wäre aber zu kurz gegriffen, den Vorgang leichtfertig als politisches Sommertheater abzutun. Der Europaabgeordnete Gheorghe Piperea einer rechtsextrem-nationalistischen Partei aus Rumänien, der den Antrag initiierte, hatte zunächst vor allem die Chance für einen großen Auftritt gesehen.

Der Hinterbänkler erntete mit seiner Kritik daran, dass von der Leyen während der Corona-Pandemie im Alleingang für viele Milliarden Euro Impfstoff bestellt hat, dann nicht nur den Applaus bei den Wählerinnen und Wählern in seiner Heimat, sondern schaffte es tatsächlich in die internationalen Schlagzeilen.

Warum es schwierig wurde

Und schließlich eskalierte die Situation und wurde für die EU-Kommissionspräsidentin tatsächlich äußerst schwierig. Das hat mehrere Gründe: Denn bei dem sehr emotional ausgetragenen Streit zwischen den Abgeordneten ging es zwar vordergründig um das eigenmächtige und intransparente Handeln der EU-Kommissionschefin nicht nur in der Corona-Krise. Aber das war am Ende fast zur Nebensache geworden. Vielmehr war die Krise Ausdruck grundlegender Verschiebungen im politischen Betrieb in Brüssel.

Die Polarisierung im EU-Parlament wird stärker. Und auch die Emotionalisierung der Debatte. Angeheizt wird die Auseinandersetzung durch den bohrenden Schmerz der Linken über den Machtverlust nach der Europawahl und das von den Rechten zur Schau getragene Gefühl einer schier grenzenlosen Machtfülle.

Bisher kämpften die EU-Abgeordneten vor allem um die Sache.

Knut Krohn

Hier wird eine beunruhigende Veränderung im EU-Parlament spürbar: Bisher kämpften die Abgeordneten bei den komplizierten und langwierigen Entscheidungsprozessen vor allem um die Sache.

Eine strenge Fraktionsdisziplin, wie man sie aus den nationalen Parlamenten der 27 EU-Mitgliedstaaten kennt, war in Straßburg weitgehend unbekannt. Zuletzt hat aber auch im Europaparlament eine schärfer werdende Trennung nach Parteien Einzug gehalten.

Darunter leiden Vertrauen, Respekt und Kompromissfähigkeit im Parlament – jene unverzichtbaren Komponenten, ohne die eine Demokratie nicht funktioniert.

Parteidisziplin wird wichtiger

Diese Entwicklung ist fatal, denn sie beschädigt die demokratische Mitte des Parlaments, die bisher immer und ohne jeglichen Zweifel das Projekt der europäischen Einigung vorangetrieben hat.

Unmut ausgedrückt: Viele EU-Parlamentarier kritisieren die intransparente Amtsführung von der Leyens – haben aber nicht für den Misstrauensantrag der Rechten gestimmt.

© dpa/Philipp von Ditfurth

Nun herrscht ein rauer werdender Ton im Plenum, der bei manchen Themen kampagnenartige Züge annimmt.

Da machen Sozialdemokraten, Liberale und Grüne den Konservativen zum Vorwurf, aus taktischen Gründen mit den extremen Rechten zu paktieren. Das Ziel soll sein: das Aushöhlen der Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel.

Die Konservativen sehen sich zu Unrecht beschuldigt und kontern, die politische Konkurrenz wolle den notwendigen politischen Wandel blockieren.

Rechtsextreme schüren Streit gezielt

Der Misstrauensantrag zeigt, dass die Rechtsextremen im Parlament ihre Chance wittern und den Streit zwischen den Demokraten gezielt befeuern.

Diese schreckten dann aber trotz polternder Drohungen vor dem Königinnenmord zurück – ihnen dämmerte, was auf dem Spiel steht. Im Vorfeld der Abstimmung kam es deshalb zu Krisentreffen, wo viele mahnende Worte gewechselt und manche versöhnenden Signale gesendet wurden für eine sachorientierte Zusammenarbeit.

Der Zusammenhalt hat noch funktioniert

Der Misstrauensantrag war in diesem Sinne nicht nur ein Schuss vor den Bug der EU-Kommissionspräsidentin, sondern auch eine sehr deutliche Warnung an die Demokraten im Parlament.

Dieses Mal haben sich die Parteien der demokratischen Mitte rechtzeitig besonnen.

Ob die Läuterung tatsächlich nachhaltig ist, wird sich im Herbst zeigen, wenn die Verhandlungen um den milliardenschweren EU-Finanzrahmen beginnen. Beim Streit ums Geld wird man sehen, wie viel die warmen Worte tatsächlich wert sind.

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