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Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni.

© Foto: AFP/Alberto Pizzoli

Meloni vor dem ersten Test: Die Staatsfrau und ihre Rabauken

Italiens Regierungschefin wird die Regionalwahlen am Wochenende vermutlich gewinnen. Doch aus dem eigenen Lager kommen Querschläge. Und der Staatspräsident setzt Zeichen. Auf dem Schlagerfestival von Sanremo.

Stand:

Ob Giorgia Meloni schon einmal von Karl Kraus gehört hat, ist nicht überliefert. „Der Skandal beginnt, wenn die Polizei ihm ein Ende macht”, befand einst der streitlustige Wiener Schriftsteller. Italiens Regierungschefin könnte mit der Wahrheit seines Aphorismus demnächst Bekanntschaft machen.

Seit einer guten Woche schon schwelt der Konflikt um zwei enge Parteifreunde der Ministerpräsidentin, denen nicht nur die Opposition im Parlament vorwirft, aus geheimen Unterlagen zitiert zu haben, um kurz vor den Wahlen in den beiden wichtigsten Regionen Italiens, der Lombardei und Latium, Wahlkampfmunition zu fabrizieren. Die es eigentlich gar nicht mehr brauchte, gelten doch beide Wahlen als sicher für Melonis Rechtsbündnis.

Während einer Debatte im Abgeordnetenhaus zitierte Giovanni Donzelli, nicht nur Organisationschef von Melonis Partei „Fratelli d’Italia“, sondern auch Vizevorsitzender des Geheimdienstausschusses im Parlament, ausführlich aus Abhörprotokollen über Gespräche des verurteilten Anarchisten Alfredo Cospito mit Mafia-Häftlingen.

Geheimes geht über den WG-Tisch

Aus der Tatsache, dass Cospito am selben Tag Besuch von sozialdemokratischen Abgeordneten erhielt, die sich über seine Haftbedingungen informieren wollten, zog Donzelli den kurzen Schluss, dass die Kolleginnen und Kollegen erstens den Anarchisten stützten und über ihn der Mafia dienten. Er wolle „von dieser Linken wissen, ob sie auf der Seite des Staats ist oder auf der Seite von Mafia und Terroristen“, donnerte er Richtung Opposition.

Mehr als eine Mahnung zur Mäßigung kam dazu von Meloni nicht, den Rücktritt Donzellis und von Justizstaatssekretär Andrea Delmastro Delle Vedove lehnte sie ab; dafür gebe es keinerlei Grund. Delmastro hatte freimütig erklärt, er selbst habe seinem WG-Genossen und alten Freund die Protokolle überlassen.

Doch eben dieser versuchte Schlussstrich könnte den Skandal erst recht eröffnen. Inzwischen nämlich ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Donzelli und Delmastro. Der Justizminister selbst wand sich sichtbar beim Versuch, die Vorgänge herunterzuspielen („nicht formell als geheim eingestuft”). Sollte sich der Geheimnisverrat bewahrheiten, bliebe das an Meloni kleben, weil sie an einer wichtigen Stelle nicht aufgeräumt hat.

Staatsoberhaupt beehrt den Schlagermarathon

Das Rabaukentum im eigenen Laden – die Opposition sprach von „staatspolitischem Analphabetismus“ – passt schlecht zum Image der Staatsfrau, das sich die Parteichefin der postfaschistischen FdI seit Amtsantritt zugelegt hat. Auch dass ihr engster Mitarbeiter Giovanbattista Fazzolari kürzlich dabei erwischt wurde, dass er sich Schießunterricht an Italiens Schulen wünschte, gehört eher in die schwarze, faschistische Tradition der Partei.

Die Chefin beruft sich eher nicht auf diese Tradition, distanziert sich aber auch nicht. Fazzolari, der die zitierten Äußerungen dementiert, war bis zum Wahlsieg programmatischer Kopf von FdI, jetzt ist er Staatssekretär im Regierungssitz Palazzo Chigi, vergleichbar dem deutschen Kanzleramtsminister.

Die letzte Seite der Verfassung ist weiß, es ist unsere. Die Mütter und Väter der Verfassung haben sie uns überlassen: Wir müssen sie jeden Tag wieder in Kraft setzen. Wir müssen diesen Traum Wirklichkeit werden lassen.

Roberto Benigni, Schauspieler, über die Verfassung der Italienischen Republik

Fehlte wenige Tage vor den wichtigen Regionalwahlen nur noch Sanremo. Das Schlagerfestival, Jahr für Jahr ein Quotenmonster, fuhr am Dienstag einen Rekord von zeitweise 16,5 Millionen Zuschauer:innen ein. Mit einem dezidiert politischen Programm. Zum ersten Mal in mehr als 70 Jahren Festivalgeschichte beehrte ein Staatspräsident Sanremo.

Benigni nennt die Verfassung „ein Kunstwerk“

Zur Feier des 75. Jahrestags der Verfassung bezog Sergio Mattarella eine Loge im Ariston-Theater und lauschte dort wie Millionen Landsleute einer engagierten Liebeserklärung von Italiens wohl populärstem Schauspieler Roberto Benigni an die „Costituzione“ von 1947, die Anfang 1948 in Kraft trat. Die sei „ein Traum“, „ein Kunstwerk“, einzelne Teile seien reine Poesie, schwärmte Benigni. Und die Verfassung sei sowieso „ein Wunder“, denn die unterschiedlichsten Parteien hätten vereint an ihr geschrieben.

Der hohe Besuch, das Thema und die Einschaltquoten des ersten von fünf Tagen Sanremo ließen sich fast  zwangsläufig als Stellungnahme zur Regierung lesen – die sich nämlich einen erheblichen Umbau der Verfassung vorgenommen hat. Italien soll nach dem Willen der Rechten eine Präsidialverfassung bekommen, mit einem regierenden Staatspräsidenten also, und einen Föderalismus, in dem seine Gegner:innen das Gegenteil des Artikels V der Verfassung sieht: „Die Republik ist unteilbar.“

Mit dem vor kurzem im Kabinett verabschiedeten Beginn der „autonomia differenziata“ – offensichtlich ein Vorwahlgeschenk wider Willen der Ministerpräsidentin an ihre Koalitionspartnerin Lega – vollendet sich nach dieser Lesart die Abkopplung des reichen Nordens vom armen Süden Italiens. Lega-Chef Matteo Salvini nahm die Botschaft von Sanremo entsprechend grummlig auf: Er glaube nicht, „dass die Verfassung von der Bühne von Sanremo aus verteidigt werden“ müsse.

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