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Mark Carney (rechts) hat Mitte März Justin Trudeau als Kanadas Regierungschef abgelöst und Neuwahlen für den 28. April angekündigt.

© REUTERS/CARLOS OSORIO

Nach dem Ende der Ära Trudeau: Wohin steuert Kanada bei den Wahlen im April?

Steht auch der Nachbar der USA vor einem Rechtsruck – oder kann sich die liberale Regierung auch dank Trumps Anfeindungen halten? Drei Fachleute schätzen die Lage ein.

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Anfang des Jahres 2025, als Premierminister Justin Trudeau nach knapp zehn Amtsjahren seinen Rücktritt erklärte, schien die Lage klar. Kanadas künftige Regierung, da waren sich die meisten Beobachter einig, wird von den Konservativen angeführt werden, die lange Zeit in den Meinungsumfragen unangefochten vorn lagen. Die Popularität des einstigen Sunnyboys Trudeau war am Tiefpunkt angelangt und mit ihr auch die seiner seit 2015 regierenden Liberalen Partei mit ihrer sozialliberalen Politik.

Für die nächste Wahl, die nach dem Rücktritt des Premiers nur noch eine Frage der Zeit war, rechnete kaum jemand damit, dass Trudeaus Nachfolger als Partei- und Interim-Regierungschef Mark Carney ernsthafte Aussichten auf einen Sieg hatte. Zu sehr schien die Unzufriedenheit mit der bisherigen Regierung und die Hoffnung auf einen politischen Neustart unter Oppositionsführer Pierre Poilievre die Stimmung im geografisch zweitgrößten Land der Erde zu dominieren.

Doch dann passierten im südlichen Nachbarstaat USA Dinge, die den Ausgang der inzwischen auf den 28. April festgelegten Wahl unerwartet spannend machen. Donald Trumps rhetorische Attacken sowie die Ankündigung und zumindest teilweise Einführung massiver Strafzölle haben in Kanada eine starke Solidarisierung mit der derzeitigen Regierung bewirkt. Mark Carney gilt vielen als neue Hoffnung nicht nur der Liberalen, sondern in diesen schwierigen Zeiten auch für Kanada.

Wir haben drei Fachleute gefragt, wohin das Land nach dem Ende der Ära Trudeau steuert. Alle Teile unserer Serie „3 auf 1“ finden Sie hier.


Die große Unsicherheit, die Trump mit seinen Zolldrohungen ausgelöst hat, hat das Vertrauen der Öffentlichkeit erschüttert

Der Amtsantritt des neuen Premierministers Mark Carney markiert einen bemerkenswerten Wandel in der kanadischen Politik. Nur neun Tage nach seiner Vereidigung hat der neue Vorsitzende der Liberalen Partei – der noch nie ein öffentliches Amt bekleidet hat – mutig Neuwahlen ausgerufen.

Er hat deutlich gemacht, dass er an vielen der Lieblingsprojekte von Justin Trudeau, wie zum Beispiel einer nationalen Kohlenstoffsteuer, wenig Gefallen findet. Mit dem unverhohlenen Ziel, die stärkste Wirtschaft unter den G7 aufzubauen, verspricht Carney enorme Investitionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Steigerung der Produktivität.

Mark Carney (rechts) hat Mitte März Justin Trudeau als Kanadas Regierungschef abgelöst und Neuwahlen für den 28. April angekündigt.

© REUTERS/CARLOS OSORIO

Die öffentliche Meinung unterstützt seinen neuen Ansatz: Die Liberalen haben in den Meinungsumfragen stark zugelegt, seit Trudeau aus dem Amt geschieden ist. Doch die große wirtschaftliche Unsicherheit, die Präsident Trump mit seinen Zolldrohungen ausgelöst hat, und die Darstellung Kanadas als parasitärer Partner auf dem Kontinent haben das Vertrauen der Öffentlichkeit erschüttert.

Die Kanadier sind sehr besorgt. Und das wirtschaftliche Umfeld Kanadas schwächt sich ab: Viele Regierungen der kanadischen Provinzen und Territorien prognostizieren hohe Defizite, was teilweise auf den drohenden Handelskrieg zurückzuführen ist.

Unabhängig davon, ob Carney oder sein konservativer Konkurrent die Wahlen am 28. April gewinnt, steht der Premierminister in den nächsten vier Jahren vor herausfordernden wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Kanada steht also eine ziemlich schwierige Zeit bevor, die größtenteils auf das Verhalten seines ehemaligen Verbündeten zurückzuführen ist.


Die Hauptfrage ist, wer die Interessen Kanadas bei Verhandlungen mit der unberechenbaren US-Regierung am besten vertreten wird

Kanada steuert entweder nach rechts, mit der möglichen Wahl einer populistischen, nationalistischen und konservativen Regierung unter der Führung von Pierre Poilievre. Oder es bleibt auf Kurs mit der Wahl einer gemäßigten Regierung unter der Führung des ehemaligen Gouverneurs der Bank of Canada und der Bank of England, Mark Carney.

Die Hauptfrage für die Wähler ist, wer die Interessen Kanadas bei den Handelsverhandlungen mit der unberechenbaren Regierung der USA am besten vertreten wird. Carney hat die Nase vorn. Bei nationalen Wahlen werden die beiden bevölkerungsreichsten Provinzen Ontario und Quebec entscheidend. Hier lebt etwa die Hälfte der Bevölkerung.

Oppositionsführer Pierre Poilievre und seine Konservative Partei hoffen auf einen Sieg am 28. April.

© REUTERS/CARLOS OSORIO

In Ontario kommt der aggressive, mit Beleidigungen gespickte Wahlkampfstil des Berufspolitikers Poilievre bei den Wirtschaftseliten nicht gut an, die sich von der Erfahrung des scheinbar besonnenen politischen Newcomers Carney angezogen fühlen.

In der linksgerichteten Provinz Quebec werden diejenigen, die sonst vielleicht für den separatistischen Bloc Quebecois stimmen würden, die Liberalen wählen, die ideologisch annehmbarere der beiden Hauptparteien. Eine weitere liberale Regierung bedeutet den Schutz des unter Trudeau neu ausgebauten Wohlfahrtsstaates.


Das zerrüttete kanadisch-amerikanische Verhältnis nützt der regierenden Liberalen Partei mehr als dem konservativen Herausforderer

Donald Trumps Vorhaben, den nördlichen Nachbarn zum 51. Bundesstaat der USA zu machen sowie der Zoll- und Handelskrieg mit den USA bestimmen den gerade angelaufenen Wahlkampf in Kanada. Dieser US-Themenschwerpunkt erschwert die Strategie der oppositionellen Konservativen Partei Kanadas und ihres Spitzenkandidaten Pierre Poilievre, die Unterhauswahl am 28. April zum Referendum über die Politik des zurückgetretenen Regierungschefs Justin Trudeau und des amtierenden liberalen Premierministers Mark Carney zu machen.

Während Pierre Poilievre versucht, Carney und die Liberalen wegen Trudeaus Versäumnissen bei Einwanderung und Kriminalität, bei Teuerung und Steuern anzugreifen, bemüht sich Mark Carney, Kanada für die Auseinandersetzung mit Trump zu wappnen, indem er zum Beispiel die immer noch vorhandenen innerkanadische Handelshemmnisse rasch beseitigen will und eine unpopuläre CO2-Steuer zurücknimmt.

Nachdem die Konservativen in den Umfragen lange haushoch geführt hatten, zeichnet sich derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Liberalen und der Konservativen ab. Der jüngste Aufschwung der Liberalen ist vor allem auf den Umfragekollaps der ebenfalls oppositionellen, linken NDP zurückzuführen, der die Zuspitzung des Wahlkampfs auf das US-Thema eher schadet. Es bleibt spannend: Ist die Liberale Partei unter Carney wirklich so erstarkt, wie es derzeit den Anschein hat?

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