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Ein verwundeter Druse wird im syrischen Suwaida versorgt.

© AFP/SHADI AL-DUBAISI

Update

Nach Kämpfen von Versorgung abgeschnitten: Chaos und Verzweiflung in syrischer Stadt Suwaida

Hunderte Menschen sterben bei den jüngsten Auseinandersetzungen im Südwesten Syriens. Die Folgen des Gewaltausbruchs in Suwaida sind gravierend.

Stand:

Das syrische Suwaida ist nach Tagen tödlicher Kämpfe von wichtigen Versorgungsleistungen abgeschnitten. Einwohner beschreiben eine Stadt unter Schock. Die Hochburg der drusischen Minderheit war zum Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen zwischen Drusenmilizen einerseits und sunnitischen Beduinen und Regierungstruppen andererseits geworden.

Mindestens 516 Menschen sollen bei den Auseinandersetzungen ums Leben gekommen sein, neben Kämpfern auch etliche Zivilisten, darunter Frauen, Kinder und alte Menschen. „Es war wie ein wahr gewordener Alptraum“, sagte eine Drusin aus Suwaida im Gespräch am Telefon. Häuser seien in Trümmer gelegt worden, Menschen in Trauer oder auf der Flucht.

Die Lage in Suwaida nach Abzug der Regierungstruppen sei „katastrophal“, auf den Straßen lägen Leichen, erklärte der Chefredakteur der Website Suwayda 24, Rayan Maaruf. Ein AFP-Fotograf zählte 15 Tote im Stadtzentrum von Suwaida, die wohl bereits vor mehreren Tagen getötet wurden.

Unter den Opfern ist nach Angaben von Menschen vor Ort auch ein vierjähriges Mädchen namens Leen, das nahe seinem Wohnort im Stadtzentrum von einem Geschoss getroffen worden sein soll. „Sie war gerade mit ihrem Malbuch beschäftigt, als es anfing“, sagte ihr Onkel am Telefon und fügte hinzu: „Sie starb in den Armen ihrer Mutter, bevor Hilfe eintreffen konnte.“

Kein Wasser und Strom, Krankenhaus geschlossen

Auch nach dem Ende der Kämpfe war nach Angaben von Menschen vor Ort die Wasser- und Stromversorgung abgeschnitten. Das Krankenhaus in der Stadt musste nach Angaben des Leiters der lokalen Gesundheitsbehörde wegen Schäden geschlossen werden. Auch Bäckereien und Märkte blieben zunächst zu.

Die syrische Armee hat nach Regierungsangaben am Donnerstag mit ihrem Abzug aus Suwaida begonnen. Dies sei Teil einer Waffenruhe-Vereinbarung „nach dem Hinwegfegen gesetzloser Gruppen aus der Stadt“, erklärte das Verteidigungsministerium in Damaskus am Mittwochabend.

Rauch steigt nach einem israelischen Angriff auf das syrische Verteidigungsministerium in Damaskus auf.

© REUTERS/KHALIL ASHAWI

US-Außenminister Marco Rubio hatte zuvor ein baldiges Ende der Gewalt im Süden Syriens in Aussicht gestellt. Die USA hätten mit allen an den „Zusammenstößen“ in Syrien beteiligten Parteien gesprochen, schrieb er auf der Plattform X. Man habe sich auf „konkrete Schritte geeinigt, die dieser beunruhigenden und entsetzlichen Situation“ später am Mittwochabend ein Ende setzen sollten. Alle Parteien müssten dazu die von ihnen eingegangenen Verpflichtungen einhalten. Das erwarteten die USA von ihnen, mahnte er. Mehr Details dazu nannte er nicht. 

Die israelische Armee hatte nach syrischen Angaben weitere Angriffe nahe der Hauptstadt Damaskus geflogen. Die Luftangriffe „zielten auf die Umgebung des Mazze-Militärflughafens“, ein Gebiet, „in dem sich Munitionslager befinden“, hieß es am Mittwochabend aus Kreisen des syrischen Innenministeriums.

Zuvor hatte das israelische Militär in der Nähe des syrischen Präsidentenpalastes in Damaskus angegriffen. In der Umgebung des Gebäudes habe es ein „militärisches Ziel“ gegeben, sagte ein israelischer Militärvertreter, nannte aber keine Details. Der regierungsnahe Fernsehsender Syria TV berichtete, Kampfflugzeuge hätten den Angriff ausgeführt. Das Gebäude in der syrischen Hauptstadt ist der offizielle Sitz von Präsident Ahmed al-Scharaa.

Fast zeitgleich bombardierte Israels Armee das Gelände, auf dem das Verteidigungsministerium und das militärische Hauptquartier Syriens liegen. Israel bestätigte dort einen Luftangriff – kurz darauf kam es zu weiteren schweren Explosionen.  Dabei waren laut syrischen Behörden mindestens drei Menschen getötet und über 30 weitere verletzt worden.

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Wo al-Scharaa, die syrischen Minister und weitere ranghohe Regierungsmitglieder sich zum Zeitpunkt der Angriffe aufhielten, ist unklar. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, über ihren Zustand sei nichts bekannt. Die Beobachtungsstelle bestätigte, dass Israel mehrere Ziele in Damaskus angegriffen habe und sich dabei auf „Kommandozentren“ konzentriere.

Die syrische Regierung bezeichnete die israelischen Angriffe als „gefährliche Eskalation“. Syrien habe das Recht, sich „mit allen nach internationalem Recht zulässigen Mitteln zu verteidigen“, erklärte das syrische Außenministerium. Es rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, „Israels wiederholten Aggressionsakten ein Ende zu setzen“.

Kritik an Luftangriffen

Die Türkei verurteilt Israels Angriffe auf Damaskus. Sie stellten einen „Sabotageakt gegen die Bemühungen Syriens um Frieden, Stabilität und Sicherheit dar“, teilte das Außenministerium in Ankara mit. Das syrische Volk habe eine historische Chance auf Frieden, alle Beteiligten müssten die Bemühungen der syrischen Regierung dahingehend unterstützen. 

UN-Generalsekretär António Guterres verurteile die „eskalierenden Luftangriffe Israels auf Suwaida, Daraa und das Zentrum von Damaskus sowie die Berichte über eine Verlegung der israelischen Truppen auf die Golanhöhen“, erklärte am Mittwoch dessen Sprecher Stéphane Dujarric.

Die Vorfälle nähmen dem syrischen Volk nach vierzehn Jahren brutalen Konflikts die Chance auf Frieden und Versöhnung. Es brauche sofortige Deeskalation sowie ungehinderten humanitären Zugang, so Dujarric weiter. Er forderte ein sofortiges Ende aller Verletzungen syrischer Souveränität.

USA hoffen auf „echte Deeskalation“

„Wir wollen, dass die Kämpfe aufhören“, sagte US-Außenminister Marco Rubio zunächst in Washington. Er betonte dabei, dass die USA „sehr besorgt“ seien. Am Mittag (Ortszeit) äußerte sich Rubio erneut und zeigte sich dabei optimistischer.

Ein Blick auf das stark beschädigte Gebäude des syrischen Generalstabs, nachdem es von israelischen Luftangriffen auf Damaskus getroffen wurde.

© dpa/Moawia Atrash

Die USA seien den gesamten Morgen und die gesamte Nacht über mit beiden Seiten im Austausch gewesen. „Und wir glauben, dass wir auf dem Weg zu einer echten Deeskalation sind“, betonte er. Dann werde man hoffentlich wieder auf den richtigen Weg kommen, um Syrien beim Aufbau des Landes zu helfen und im Nahen Osten zu einer stabileren Situation zu gelangen. Die USA hofften in den nächsten Stunden echten Fortschritt zu sehen, „um das zu beenden, was Sie in den vergangenen paar Stunden gesehen haben“.

Dutzende Tote im Süden Syriens

Hintergrund für die Angriffe ist, dass es trotz einer vorübergehenden Waffenruhe im südlichen Syrien weiterhin zu tödlicher Gewalt kommt. Dort waren Kämpfe zwischen Drusen und sunnitischen Beduinen in der Provinz Suwaida ausgebrochen, woraufhin die syrische Regierung Truppen und andere Sicherheitskräfte schickte. Israel griff nach eigenen Angaben zum Schutz der drusischen Minderheit ein. Nach Ausbruch der Gewalt wurden laut Menschenrechtsaktivisten seit Sonntag mehr als 250 Menschen getötet, darunter rund 20 Menschen, die „hingerichtet“ worden seien.

Syrische Regierungstruppen versammeln sich in einem Dorf am Rande der Stadt Suwaida.

© dpa/AP/Ghaith Alsayed

Insgesamt sind laut den Aktivisten rund 130 Angehörige der Truppen und anderer Sicherheitskräfte der Regierung in Damaskus und etwa 20 sunnitische Beduinen ums Leben gekommen. Zudem seien rund 70 Anwohner der mehrheitlich von Drusen bewohnten Provinz getötet worden.

Die Opferzahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Angaben der Beobachtungsstelle mit Sitz in London, die den Konflikt in Syrien mit einem Netz aus Aktivisten verfolgt, gelten aber als in der Regel verlässlich.

Truppen der Armee antworten weiterhin auf Beschuss im Ort Suwaida, hatte das Verteidigungsministerium in Damaskus zuvor mitgeteilt. Ihr Ziel sei, Anwohner zu beschützen und eine sichere Rückkehr für diejenigen zu ermöglichen, die ihre Heimat wegen der tagelangen Gewalt verließen. Zivilisten wurden aufgerufen, in ihren Häusern zu bleiben. Unter den Opfern sind der Beobachtungsstelle zufolge auch Frauen und Kinder.

Beobachtungsstelle berichtet von „Schnell-Hinrichtungen“

Das syrische Innenministerium berichtete am Montag zunächst von 30 Toten. Die Beobachtungsstelle meldete „Schnell-Hinrichtungen“ durch die Regierungstruppen und die mit ihnen verbündeten Kämpfer. Die Truppen hätten in mehreren Dörfern der Provinz Eigentum zerstört, gestohlen und Feuer gelegt. Aus Angst vor Beschuss und Diebstahl hätten die meisten Ladenbesitzer ihre Geschäfte geschlossen. Weil Straßen gesperrt seien, gebe es ernsthafte Sorgen über eine Knappheit an Lebensmitteln und auch Medikamenten.

Familien flüchten in benachbarte Dörfer

Viele Menschen flüchteten aus der Gegend, um sich in Sicherheit zu bringen. Im Internet verbreitete Fotos und Videos zeigten Familien, die Suwaida in Richtung benachbarter Dörfer verließen.

Die Gewalt zwischen sunnitischen Beduinen und Angehörigen der drusischen Minderheit war am Sonntag ausgebrochen. Die Regierung in Damaskus schickte Truppen nach Suwaida im Versuch, im Land wie versprochen für Stabilität und Sicherheit zu sorgen. Israel griff daraufhin mehrmals Ziele in Syrien an. In den vergangenen Monaten kam es im Land mehrfach zu konfessionell motivierter Gewalt.

Am Dienstag hatte sich die Lage nach Verkündung einer Waffenruhe zeitweise beruhigt. Syriens Verteidigungsminister Marhaf Abu Kasra sprach von einer „vollständigen Waffenruhe nach einer Einigung mit den Würdenträgern“. Nach dem angekündigten Abzug der Regierungstruppen kam es aber zu neuer Gewalt und die Kämpfe dauerten auch heute an. (dpa/AFP)

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