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Die vier aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten.

© Foto: REUTERS/Kim Hong-Ji

Neuwahlen nach verhindertem Putsch: Wer wird Südkoreas neuer Präsident?

Mit seinem Putschversuch im Dezember hat Südkoreas Ex-Präsident sein Land in eine Staatskrise gestürzt. Jetzt gibt es Neuwahlen, doch die Kandidaten spalten die Gesellschaft.

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Es waren turbulente Szenen, die sich in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul abspielten. In der Nacht vom 3. Dezember 2024 versetzt Südkoreas Präsident Yoon Suk-Yeol das Land in einen Ausnahmezustand. Mit der überraschenden Ausrufung des Kriegsrechts erklärt er die parlamentarische Opposition zur Bedrohung der nationalen Sicherheit. Ein Putschversuch. 

Was als Versuch beginnt, politische Gegner während eines Haushaltsstreits zu entmachten, eskaliert zu einer Staatskrise von historischem Ausmaß.

Laut Verfassung steht der südkoreanischen Nationalversammlung ein Vetorecht für die Verhängung des Kriegsrechts zu – eigentlich ein Schutzmechanismus gegen autoritäre Alleingänge. Doch Präsident Yoon will das verhindern: Noch bevor die Abgeordneten sich zur Abstimmung versammeln konnten, marschieren bewaffnete Soldaten in das Parlamentsgebäude ein und blockieren Gänge und Türen.

Die Proteste gegen Präsident Yoon und für die demokratische Ordnung entwickelten sich zu einer generationsübergreifenden Protestwelle.

© Foto: IMAGO/Matrix Images

Unterdessen versammeln sich draußen tausende Demonstrierende. Sie fordern lautstark die Rücknahme des Kriegsrechts und die sofortige Verhaftung ihres Präsidenten. Genau ein halbes Jahr nach diesem „Putschversuch von oben“ und der Amtsenthebung von Präsident Yoon steht das Land nun vor vorgezogenen Neuwahlen.

Die Kandidaten – Blau gegen Rot

Dem südkoreanischen Präsidenten kommen sowohl repräsentative als auch inhaltliche Aufgaben zu. Er ernennt den Premierminister, der von der Nationalversammlung bestätigt werden muss, steht an der Spitze der Streitkräfte und kann im Ausnahmefall Dekrete erlassen – und eben das Kriegsrecht ausrufen. Darüber hinaus besitzt er ein Vetorecht für vom Parlament verabschiedete Gesetze. Nun kämpfen vor allem diese zwei Männer um das höchste Amt des Staates:

Kandidaten Lee Jae-Myung (r.) von der Democratic Party und Kim Moon-Soo (l.) von der People Power Party bei einem TV-Duell.

© Foto: REUTERS/Kim Hong-Ji

Linksliberaler Oppositionschef führt in Umfragen

Lee Jae-Myung von der Demokratischen Partei (DP) liegt in aktuellen Umfragen mit rund 46 Prozent der Stimmen vorn. Der linksliberale Oppositionsführer stammt aus armen Verhältnissen und verließ frühzeitig die Schule, um als Teenager in einer Fabrik zu arbeiten, wie BBC berichtet. Mit 23 Jahren schloss er ein durch Stipendien finanziertes Jurastudium in Südkorea ab und arbeitete lange Zeit als Anwalt für Menschenrechte, bevor er in die Politik wechselte.

Lee fordert eine akribische Aufarbeitung des Putschversuchs. Für die Demonstranten des 3. Dezembers gilt er als Hoffnungsträger. Doch seine politische Laufbahn blieb nicht frei von Skandalen. Momentan droht ihm ein Gerichtsverfahren in letzter Revisionsinstanz. Der 61-Jährige ist wegen Falschaussagen im Wahlkampf und Veruntreuung von öffentlichen Geldern angeklagt. Ein Schuldspruch würde eine Wählbarkeitssperre von fünf Jahren zur Folge haben.

Lee Jae-Myung, Kandidat der Demokratischen Partei auf Wahlkampftour. Anfang 2024 überlebte er eine politisch motivierte Messerattacke während einer Pressekonferenz. 

© Foto: AFP/PEDRO PARDO

Auf sein Verlangen wurde der erste Anhörungstermin auf den 18. Juni verschoben. Lee könnte also auch nach einem Sieg der Präsidentschaftswahl als amtierender Präsident verurteilt werden. Das könne das Land in eine weitere Zeit der Unsicherheit stürzen, sagt Eric Ballbach, Forscher für südkoreanische Politik bei der Stiftung Politik und Wissenschaft.

Konservativer will sich nicht vom Putschversuch distanzieren

Sein Kontrahent stammt aus derselben Partei wie Ex-Präsident Yoon: Kim Moon-Soo ist Spitzenkandidat der People Power Party (PPP). Umfragen zufolge kommt er auf rund 40 Prozent der Wählerstimmen. Angesichts der massiven Protestwelle, auch noch Monate nach der Ausrufung des Kriegsrechts, sollte man meinen, dass Kim sich von der Aktion seines Parteifreundes distanziert und eine andere, moderatere Linie vertritt. Doch dem ist nicht so.

Der 73-Jährige gilt als konservativer Hardliner und ist einer der wenigen in der Partei, die noch der Meinung sind, dass Yoons Absetzung nicht gerechtfertigt sei und das Urteil des Verfassungsgerichts infrage stellen.

Kim Moon Soo von der People Power Party auf Wahlkampftour.

© Foto: dpa/Ahn Young-Joon

Doch auch diese Haltung findet Anklang. Südkoreas Gesellschaft ist nach den Geschehnissen vom 3. Dezember extrem gespalten. Neben den massiven und fast täglichen Protesten gegen Yoons Vorgehen formiert sich auch ein starker Widerstand aus seiner Anhängerschaft. Yoons Anhänger protestieren gegen die vollzogene Amtsenthebung und die aktuellen Neuwahlen.

Die zentralen Wahlkampfthemen

Die Überwindung dieser politischen Kluft sei eines der Schlüsselaufgaben des neuen Präsidenten, meint Ballbach. Hinzu kommt, dass der Ton unter Politikern stark verroht ist. Die Debatten seien geprägt von persönlichen Angriffen, so Ballbach. „Die südkoreanischen Wähler werden vom nächsten Präsidenten erwarten, dass er die Verbalattacken auf die Opposition abschwächt und auf die anderen Parteien zugeht“, sagt er.

Die Resilienz der südkoreanischen Demokratie ergibt sich insbesondere durch die Bürger, die bereit sind, für die Demokratie zu kämpfen

Eric J. Ballbach, Forscher bei der Stiftung Wissenschaft und Politik

Trotz alledem bleibe die Demokratie standhaft, meint der Experte. „Die Tatsache, dass sich beide politische Lager für eine Verfassungsreform aussprechen, um die Macht des Präsidenten zu begrenzen und gleichzeitig die Handlungsfähigkeit der Exekutive sicherzustellen, ist ein Ausdruck der Lernfähigkeit.“, sagt er.

Unterstützer von Ex-Präsident Yoon bekunden ihre Unterstützung auf einem zentralen Platz in Seoul.

© Foto: AFP/ANTHONY WALLACE

Lee fordert die Begrenzung des Präsidentenamtes auf vier statt fünf Jahre, mit der Möglichkeit einer einmaligen Wiederwahl, was derzeit nicht möglich ist. Das fordert auch der konservative Kim Moon-Soo. Lee geht noch weiter und will gewisse Befugnisse des Präsidenten mehr dezentralisieren.

„Die Resilienz der südkoreanischen Demokratie ergibt sich insbesondere durch die Bürger, die bereit sind, für die Demokratie zu kämpfen“, sagt Eric Ballbach.

Besonders dringlich sei zudem die Aushandlung eines Zollabkommens mit den USA. Im Zuge des sogenannten „Liberation Day“ hatte US-Präsident Donald Trump das Land mit einem Strafzoll von 25 Prozent belegt. Dieser ist bis zum 9. Juli ausgesetzt. „Bis dahin wird der nächste südkoreanische Präsident versuchen, eine Einigung mit der Trump-Regierung über Zölle und andere wirtschaftliche und möglicherweise sicherheitspolitische Fragen zu erzielen“, sagt Eric Ballbach.

Eng verknüpft mit dem Zollkonflikt ist das dritte große Thema dieses Wahlkampfs: die Ankurbelung des südkoreanischen Wirtschaftswachstums. Zwar verzeichnet Südkorea derzeit stabile Wachstumsraten, eine vergleichsweise niedrige Arbeitslosigkeit und ein robustes Exportvolumen – doch an die Wirtschaftslage der Jahre vor der Corona-Pandemie reicht das nicht heran.

Laut Ballbach wächst die Sorge, dass Südkorea seinen wirtschaftlichen Höhepunkt – einen „Peak Korea“ – erreicht haben könnte und in eine Phase mit stagnierend niedrigem Wachstum eintritt. Die Sorge werde auch durch die kritisch niedrige Geburtenrate befeuert, so der Experte. Südkorea hat eine der niedrigsten Geburtenraten weltweit.

Was wurde aus Präsident Yoon?

Yoon Suk-Yeol wurde nach seinem gescheiterten Putschversuch des Amtes enthoben. Die Abgeordneten in Seoul beschlossen dies einige Tage nach dem Putschversuch mit einer Zweidrittelmehrheit. Anfang April bestätigte das Verfassungsgericht einstimmig und in letzter Instanz die Entscheidung des Parlaments.

Der suspendierte südkoreanische Präsident Yoon Suk-Yeol bei einer Anhörung zu seinem Amtsenthebungsverfahren im Verfassungsgericht.

© Foto: dpa/JUNG YEON-JE

Yoon entschuldigte sich in einer Fernsehansprache bei der südkoreanischen Bevölkerung. Auch die Staatsanwaltschaft hatte strafrechtliche Ermittlungen gegen den Ex-Präsidenten eingeleitet und ihn wegen Hochverrats angeklagt. Damit droht dem Ex-Präsidenten nun eine lebenslange Haftstrafe. Theoretisch wäre auch die Todesstrafe ein mögliches Urteil.

Nach der Amtsenthebung Yoons führte Ministerpräsident Han Duck-Soo die Geschäfte als Übergangspräsident fort, bis dieser zurücktrat, um selber in das Rennen um das Amt des Präsidenten einzusteigen. Aktuell ist der bisherige Bildungsminister vorübergehend im Amt.

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