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Nutzung der russischen Vermögen: Europa streitet über die Ukraine-Hilfe
Die EU-Kommission will das in Europa eingefrorene russische Staatsvermögen für die Unterstützung Kiews verwenden. Doch es ist sehr unsicher, ob sich dafür auf dem EU-Gipfel am Donnerstag eine Mehrheit findet.
Stand:
Europa steht vor einer schicksalshaften Entscheidung. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel diskutieren die Staats- und Regierungschefs an diesem Donnerstag darüber, ob das eingefrorene russische Staatsvermögen zugunsten der Ukraine genutzt werden soll. Die Frage ist aus mehreren Gründen wichtig.
Die Ukraine am Abgrund
Für die Ukraine geht es ums Überleben. Auf die USA kann Kiew im Abwehrkampf gegen Russland nicht mehr zählen, weil US-Präsident Donald Trump kein Geld mehr für das Land ausgeben will. Bleiben die europäischen Verbündeten. Von ihnen braucht die Ukraine ab dem zweiten Quartal nächsten Jahres frisches Geld.
Die erforderlichen Mittel über die EU anders zu organisieren als über das russische Staatsvermögen, gilt derzeit als nicht möglich. Dafür bräuchte es eine einstimmige Entscheidung der 27 EU-Staaten – doch Länder wie Ungarn, Tschechien und die Slowakei kündigten bereits an, dies nicht mitzutragen.
Das Vermögen der russischen Zentralbank
Europa sucht nun nach einem anderen Weg, um an Geld für die Ukraine zu kommen. Hier kommen die Vermögenswerte der russischen Zentralbank in der EU ins Spiel. Die wurden kurz nach dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 eingefroren. Dabei handelt es sich um rund 200 Milliarden Euro. Der größte Teil dieser Summe liegt in Belgien bei dem Depotverwalter Euroclear.
Formal befindet sich das Geld weiter in russischem Besitz – das ist ein zentraler Punkt bei der Verwendung. Denn gegen die Beschlagnahmung der Vermögen einer ausländischen Zentralbank gibt es juristische Bedenken, da dies wohl gegen das Völkerrecht verstoßen würde.
Die indirekte Nutzung des Geldes
Die EU-Staaten beschlossen im Mai 2024, dass zumindest die durch die Vermögenswerte gewonnenen Zinsen zur Unterstützung der Ukraine verwendet werden dürfen. Bis August 2025 wurden hieraus 4,7 Milliarden Euro an die Ukraine weitergegeben.
Zudem wurden in Erwartung weiterer Gewinne Kredite in Milliardenhöhe gewährt. Doch angesichts der Dauer des Krieges, des Rückzugs der USA und der klammen Kassen in allen EU-Staaten hat sich die Bereitschaft für eine kreativere Verwendung des Geldes erhöht.
Ein rechtliches Hintertürchen
Die EU-Kommission hat nun einen neuen Vorschlag für die Nutzung vorgelegt – ohne das Geld zu beschlagnahmen. Der Plan ist, dass sich die EU zunächst rund 90 Milliarden Euro als zinslosen Kredit von Euroclear leiht und dieses Geld dann als Darlehen an die Ukraine weitergibt. Die Ukraine müsste die Kredite nur zurückzahlen, wenn sie von Russland Reparationszahlungen erhalten hat.
Russland würde das Geld zurückerhalten, sobald der Krieg beendet ist und Moskau als Aggressor – wie im Völkerrecht niedergeschrieben – Reparationen an die Ukraine gezahlt hat. Die EU-Mitgliedstaaten müssten nur dann für das Geld aufkommen, wenn sie die Sanktionen gegen Russland aufheben, ohne dass Moskau Reparationen gezahlt hat.
Grundsätzliche Kritik an dem Vorgehen
Die Konsequenzen eines solchen beispiellosen Schrittes sind schwer absehbar. Zum einen könnten Länder außerhalb der EU diesen Schritt als Enteignung Russlands interpretieren, und ihr Geld deshalb lieber außerhalb der Union anlegen. Dabei geht es um das Vertrauen in den Finanzstandort Europa und den Euro als Reservewährung.
Außerdem sind Szenarien denkbar, in denen die EU-Länder am Ende für das Geld aufkommen müssen. So hat etwa die russische Zentralbank in diesen Tagen Euroclear verklagt.
Die große Angst der Belgier
Belgien steht an der Spitze der Gegner des Planes. Die Regierung befürchtet, im Zweifelsfall für die bei Euroclear in Brüssel verwalteten Mittel direkt haftbar gemacht werden zu können. Auch Vergeltungsmaßnahmen aus Moskau gegen belgische Unternehmen oder Privatleute hält der belgische Premier Bart de Wever für möglich.
De Wever verlangt vor einer Entscheidung verbindliche schriftliche Garantien der anderen Mitgliedstaaten. Euroclear verlangt Zusagen, auch kurzfristig auf die Mittel zugreifen zu können. Doch die anderen EU-Staaten zögern, solche Zusagen zu geben.
Die Zeit spielt gegen die Ukraine
Die Gefahr ist groß, dass der Ukraine in ihrem Abwehrkampf das Geld ausgeht, denn die Hilfe ist nur noch bis Anfang 2026 gedeckt. Zusätzlichen Druck hat der US-Plan zur Beendigung des Ukraine-Krieges verursacht. Darin hatten die USA vorgeschlagen, dass ein großer Teil der Gelder an die USA gehen sollte.
Befürworter der europäischen Reparationsdarlehen befürchten nun, dass die Europäer die Kontrolle über die russischen Vermögenswerte verlieren könnten, wenn diese erst einmal Teil eines Ukraine-Plans sind.
Die ungeliebten Alternativen
Ein Reparationsdarlehen könnte auch über den Kopf Belgiens hinweg entschieden werden, was aber niemand will. Sollte es keine Einigung bei der Nutzung der russischen Vermögen geben, müsste das Geld anders aufgebracht werden. Das könnte etwa durch gemeinsame Schulden geschehen. Als Vorbild dienen die Corona-Hilfen, doch gegen diesen Plan hat bereits Deutschland sein Veto angekündigt.
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