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Historisches Urteil in Brasilien: Bolsonaro wegen Putschversuch zu mehr als 27 Jahren Haft verurteilt – USA kündigen Konsequenzen an
Ein Putschvorwurf, prominente Militärs und eine möglicherweise jahrzehntelange Haftstrafe: Brasiliens Oberstes Gericht hält Ex-Präsident Jair Bolsonaro mehrheitlich für schuldig. Doch die Anwälte wollen in Berufung gehen.
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Ex-Präsident Jair Bolsonaro ist vom Obersten Gericht des Landes wegen eines versuchten Staatsstreichs zu mehr als 27 Jahren Haft verurteilt worden. Vier der fünf Richter befanden den 70-Jährigen am Donnerstag für schuldig.
Bolsonaro wurde verurteilt, eine „kriminelle Organisation“ mit dem Ziel angeführt zu haben, durch einen Putsch das Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2022 zu kippen, die er gegen den linksgerichteten Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva verloren hatte.
Zusammen mit Militärs und Verbündeten habe Bolsonaro dafür einen Staatsstreich gegen die Regierung geplant. Ziel sei es gewesen, einen Ausnahmezustand zu verhängen und Neuwahlen durchzusetzen – allerdings habe Bolsonaro die Unterstützung der Militärführung nicht gewonnen. Bolsonaro, der von 2019 bis 2022 Staatschef Brasiliens war, weist alle Vorwürfe zurück und bezeichnet sich als Opfer politischer Verfolgung.
Die Richter hatten seit Dienstag nacheinander ihre Positionen dargelegt. Nur einer von ihnen stimmte für einen Freispruch. Richter Luiz Fux argumentierte am Mittwoch, das Gericht sei nicht dafür zuständig, ein „politisches Urteil“ zu fällen. Das abweichende Votum könnte Bolsonaro den Weg für eine Berufung ebnen, die dann vor dem Plenum des Gerichts mit elf Richtern verhandelt werden müsste. Dies könnte den Abschluss des Verfahrens bis kurz vor die Präsidentschaftswahl 2026 verzögern.
Seine vier Kollegen sahen es hingegen als erwiesen an, dass Bolsonaro sich mit einer „kriminelle Organisation“ nach seiner Wahlniederlage an der Macht halten wollte. „Brasilien ist fast zur Diktatur zurückgekehrt“, hatte Richter Alexandre de Moraes am Dienstag gesagt.
Er führte detailliert zahlreiche Belege für die versuchte Umsturzplanung auf. Dazu zählten unter anderem öffentliche Angriffe auf das Wahlsystem, geheime Ministertreffen, Besprechungen mit Botschaftern und Entwürfe eines Umsturzdekrets sowie die gewalttätigen Ausschreitungen vom 8. Januar 2023. „Das war kein Sonntag im Park, kein Ausflug nach Disneyland“, sagte Moraes bezüglich des Sturms auf Regierungsgebäude.
Damals hatten Anhänger Bolsonaros kurz nach Amtsantritt Lulas den Kongress, das Oberste Gericht und den Präsidentenpalast gestürmt. Zudem soll Bolsonaro von Mordplänen gegen Lula, Vizepräsident Geraldo Alckmin und Richter Alexandre de Moraes gewusst haben.
Aufgrund seines Alters und gesundheitlicher Probleme nach einem Attentat käme für Bolsonaro ein Hausarrest in Betracht. Er steht bereits seit Anfang August wegen Verstößen gegen Auflagen unter Hausarrest und wird wegen Fluchtgefahr überwacht. Bolsonaros Anwälte kündigten bereits an, in Berufung zu gehen. Die verhängte Haftstrafe von mehr als 27 Jahren sei „absurd überhöht und unverhältnismäßig“, hieß es einer Erklärung der Anwälte, die Bolsonaro-Berater Fabio Wajngarten am Donnerstag im Onlinedienst X veröffentlichte. Die Verteidigung werde die Urteilsbegründung prüfen und „entsprechende Rechtsmittel einlegen, auch auf internationaler Ebene“, hieß es weiter.
Trump nennt Verurteilung Bolsonaros „sehr überraschend“
Ein enger Verbündeter des brasilianischen Ex-Staatschefs meldete sich ebenfalls zu Wort: US-Präsident Donald Trump bezeichnete die Verurteilung als „sehr überraschend“. Bolsonaro sei ein „guter Präsident Brasiliens“ gewesen, sagte Trump am Donnerstag zu Journalisten. „Es ist sehr überraschend, dass das passieren konnte“, fügte er mit Blick auf den kurz zuvor verkündeten Schuldspruch hinzu.

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Trump zog Parallelen zu den Gerichtsverfahren, die in den vergangenen Jahren gegen ihn geführt worden waren. „Das ist so ähnlich, wie sie es mit mir versucht haben, aber sie sind nicht damit durchgekommen“, sagte er. Tatsächlich dauerten die Gerichtsverfahren wegen des Sturms auf das Kapitol trotz Anklage durch diverse Verzögerungen so lange, dass es nie zu einem Urteil kam. Als Trump schließlich wieder Präsident wurde drängte er Sonderermittler Jack Smith zum Rücktritt. Die Ermittlungen liegen nun auf Eis.
Um Bolsonaro zu unterstützen, hatte Trump Zölle von 50 Prozent auf zahlreiche brasilianische Produkte verhängt. Außerdem wurde Richter Moraes persönlich mit Sanktionen belegt. Nach dem Urteil wurden nun erneute Konsequenzen angedroht. „Die Vereinigten Staaten werden auf diese Hexenjagd entsprechend reagieren“, schrieb US-Außenminister Marco Rubio auf der Plattform X.
Neben Bolsonaro sollen auch frühere Kabinettsmitglieder und hochrangige Militärs verurteilt werden, darunter Ex-Verteidigungsminister Paulo Sérgio Nogueira, der frühere Marinechef Almir Garnier und Bolsonaros damaliger Sicherheitsberater Augusto Heleno. Ihnen werden bis zu fünf Straftaten zur Last gelegt – unter anderem versuchter Staatsstreich, Beteiligung an einer bewaffneten kriminellen Vereinigung und Beschädigung denkmalgeschützter Güter.
Politikwissenschaftler Oliver Stuenkel bezeichnete das Urteil als wichtigen Moment für Brasilien. Er verwies darauf, es habe in der Geschichte des Landes zahlreiche gescheiterte und erfolgreiche Putschversuche gegeben. Doch meist seien die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Im Gegensatz zu Ländern wie Argentinien, wo Militärs strafrechtlich verfolgt wurden, hatte es in Brasilien nie eine vollständige juristische Aufarbeitung gegeben. „Insofern ist das wirklich ein ganz, ganz wichtiger Moment“, sagte Stuenkel, Professor für internationale Beziehungen an der renommierten Universität Fundação Getulio Vargas in São Paulo.(AFP, dpa, Reuters)
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