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60 Prozent der Indigenen leben in Reservaten. Mit dem geplanten Gesetz sollen letztere für die Agrarwirtschaft geöffnet werden.

© AFP/Sergio Lima

Brasiliens Parlament attackiert Reservate: Konservative feiern Erfolg gegen Indigene

In Brasilien könnten indigene Rechte mit einem neuen Gesetz drastisch eingeschränkt werden. Umweltschützer und Menschenrechtler sind entsetzt – ebenso wie Präsident Lula da Silva.

Am Ende blieben die Proteste und Appelle erfolglos. Tausende Indigene aus ganz Brasilien hatten in der Hauptstadt protestiert. Prominente riefen die Abgeordneten auf, mit „Nein“ zu stimmen. Vergeblich.

Brasiliens Parlament verabschiedete mit 283 zu 155 Stimmen einen Gesetzentwurf, der die Regeln zur Ausweisung von indigenen Reservaten drastisch ändert.

Indigene, Umweltschützer und Menschenrechtler weltweit sind alarmiert. Mit dem Gesetz beabsichtigt die konservative Mehrheit des brasilianischen Parlaments, nur noch Land, auf dem zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Verfassung von 1988 Ureinwohner lebten, als Reservat ausweisen zu können.

Reservate der Indigenen sind verfassungsrechtlich geschützt

Gegen den Willen von Brasiliens Präsident Lula da Silva, für den die Abstimmung eine krachende Niederlage bedeutet.

Ultrarechte Abgeordnete sowie Vertreter der Agrarindustrie und des Großgrundbesitzes stimmten dagegen für das Vorhaben. Sie argumentieren, dass dadurch Rechtssicherheit geschaffen werde und „willkürliche“ Landbesetzungen durch Indigene beendet würden.

„Kein Land der Welt hat sich entwickelt, ohne das Privateigentum zu respektieren“, sagte der Abgeordnete Arthur Maia, der den Gesetzentwurf vorstellte.

Für die Gegner dieses Vorhabens ist es hingegen ein Versuch, die historische Ungerechtigkeit gegenüber den brasilianischen Indigenen zu zementieren und ihre Ausrottung voranzutreiben.

Heute gibt es in Brasilien mehr als 300 ethnische Gruppen mit mehr als 900.000 Menschen. 60 Prozent von ihnen leben in einem der 732 ausgewiesenen Reservate, die restlichen haben kein eigenes Land. Die Reservate nehmen fast 14 Prozent der Landesfläche ein und sind verfassungsrechtlich streng geschützt.

732
Reservate gibt es in Brasilien –14 Prozent der Landesfläche.

Jedoch gestaltet sich der Prozess der Anerkennung eines Reservats als äußerst komplex und zeitaufwendig. Er erfordert Nachweise in Form von Aufzeichnungen oder archäologischen Funden, die belegen, dass dort einst indigene Völker lebten.

Über viele Jahrhunderte wurden die aber von ihrem Land verdrängt – sei es durch die portugiesischen Kolonialherren, die Agrarwirtschaft oder die Militärdiktatur.

60
Prozent der Indigenen Brasiliens leben in Reservaten.

Im Jahr 1988 konnten viele Indigene nicht mehr auf dem Land ihrer Vorfahren lebten, das sich in privatem Besitz befand. Die Autoren der Verfassung von 1988 wollten diese Ungerechtigkeit mildern, mit dem neuen Gesetz wird das durch die aktuelle Parlamentsmehrheit jedoch blockiert.

Alle laufenden Verfahren zur Anerkennung von Reservaten sollen gestoppt, das Land damit praktisch wieder für Holzfäller, die Agrarwirtschaft und die Minenindustrie geöffnet werden.

Zudem sollen Bergbau, Straßenbau, Getreideanbau und Wasserkraftwerke in bestehenden Reservaten erlaubt werden, wenn dies dem „öffentlichen Interesse“ dient.

Kein Land der Welt hat sich entwickelt, ohne das Privateigentum zu respektieren.

Arthur Maia, Abgeordneter der União Brasil und Befürworter des Gesetzes

Obwohl das Gesetz vom Parlament verabschiedet wurde, hegen seine Gegner noch Hoffnung. Es muss noch den weniger konservativen Senat sowie den Obersten Gerichtshof passieren. Letzterer hatte bereits während der Amtszeit von Ex-Präsident Jair Bolsonaro einige radikale Vorhaben der politischen Rechten gestoppt.

Rekord-Abholzung seit Lulas Amtsantritt

Das Abstimmungsresultat unterstreicht zudem, dass Präsident Lula da Silva keine Mehrheit im Parlament hat, das mit 23 Parteien zersplittert ist. Lula mag gedacht haben, dass er genug Abgeordnete auf seine Seite ziehen könnte, indem er Posten verteilt und diplomatisch geschickt agiert.

Das ist nicht der Fall, und der erfahrene konservative Parlamentspräsident Arthur Lira lässt Lula seine Macht spüren. Die Konservativen planen bereits den nächsten Schachzug, indem sie dem Umweltministerium und dem Ministerium der Indigenen Völker wichtige Kompetenzen entziehen wollen.

Lulas Ankündigung, die Zerstörung im Amazonas nach der Rekordabholzung unter seinem Vorgänger Jair Bolsonaro vollständig zu stoppen, entpuppt sich nun immer mehr als Wunschgedanke.

Natürlich benötigt ein solch ambitioniertes Vorhaben in einem riesigen Land wie Brasilien Zeit, weil der Staat in einigen Regionen im Amazonas praktisch abwesend ist. Es ist aber eine Tatsache, dass die Abholzung in den ersten fünf Monaten unter der neuen Regierung nicht abgenommen, sondern weiter zugenommen hat.

Aus Angst vor weiteren Niederlagen im Parlament hat Lula nun umgerechnet 350 Milliarden Euro für sogenannte parlamentarische Zusatzanträge genehmigt.

Diese ermöglichen es den einzelnen Abgeordneten, Haushaltsmittel für spezifische Zwecke in ihren Wahlkreisen einzusetzen – und sind oft Ziel von Korruptionsvorwürfen. Man kann durchaus sagen, dass Lula versucht, das Parlament auf legalem Weg „zu kaufen“. Brasiliens Indigene hoffen unterdessen auf die Verfassungsrichter.

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