
© AFP/Alessandro Rampazzo
Parlamentswahl in Finnland: Sanna Marin muss um ihr Amt bangen
Die Sozialdemokraten der finnischen Regierungschefin liegen fast gleichauf mit den Konservativen und Rechten. Steht Europa vor dem nächsten Rechtsruck?
Stand:
Über fehlende Wahlkampfhilfe kann sich Sanna Marin eigentlich nicht beklagen. Der Nato-Beitritt ist seit dieser Woche sicher, vor einer Woche erklärte der „World Happiness Report“ ihre Landsleute zu den glücklichsten Menschen der Welt. Bei der Parlamentswahl an diesem Sonntag steht ihre Regierung Umfragen zufolge dennoch vor der Abwahl.
Als die damals 34-jährige Sozialdemokratin im Dezember 2019 die Amtsgeschäfte übernahm, war das internationalen Medien mehr als eine Meldung wert. Marin war nicht nur die jüngste Regierungschefin weltweit, sondern führt seitdem eine progressive Regierung in fester weiblicher Hand. Die fünf Parteien ihrer Koalition werden ausschließlich von Frauen geführt, zehn der 18 Ministerien stehen Politikerinnen vor.
Marins „Frauenregierung“ wird Prognosen zufolge dieses Wochenende aber ihre parlamentarische Mehrheit verlieren. Die Zentrumspartei hat als zweitstärkste Kraft des Mitte-Links-Bündnisses einer Fortführung der Koalition bereits vor dem Wahltag eine Absage erteilt, will sich stattdessen in Zukunft stärker nach rechts orientieren.
Marins Regierungspartner schwächeln
Seit Beginn der Koalition hadert sie mit dem Linkskurs der eigenen Regierung, die ambitionierten Klimaziele Marins stellte sie immer wieder infrage und versuchte, bei der eigenen Stammwählerschaft, zumeist Landwirte und Landbesitzer, zu punkten. Damit sorgte die Zentrumspartei in der vergangenen Legislaturperiode immer wieder für Koalitionskrisen.
Konservative und Rechte stehen sich bei Wirtschaftsthemen sehr nah.
Timo Miettinen, Politikwissenschaftler an der Universität Helsinki
Nach nur acht Monaten entzog sie dem Wahlsieger und damaligen Regierungschef Antti Rinne das Vertrauen. Bei einem Streik der finnischen Post stellte Rinne sich als ehemaliger Gewerkschaftsboss öffentlich auf die Seite der Arbeitnehmer, zum Missfallen des wichtigsten Regierungspartners. Um die Koalition zu retten, trat er Ende 2019 zurück – und ermöglichte Sanna Marin damit den Aufstieg.
Die Sozialdemokraten schicken daher erstmals Marin als Spitzenkandidatin ins Rennen. Die heute 37-Jährige ist beim Volk wegen ihrer nahbaren Art beliebt, auch wird ihr ein gutes Krisenmanagement attestiert.
Finnland hatte in den Coronajahren eine der niedrigsten Fallzahlen in Europa und verbucht unter der Sozialdemokratin auch außenpolitische Erfolge. Erst am Donnerstag ratifizierte die Türkei als bisher letztes Land des Militärbündnisses den finnischen Nato-Beitritt.
Doch ihrer Partei hilft die große Popularität der Regierungschefin nicht genug. Jüngsten Umfragen zufolge konnten die Genossinnen und Genossen der SDP im Vergleich zur Wahl 2019 zwar zulegen, für eine Neuauflage der bisherigen Koalition reicht das ohne die Zentrumspartei aber nicht. Die verbliebenen drei Juniorpartner, neben Grünen und Linken auch die Schwedische Volkspartei, können den Verlust nicht ausgleichen.
Nutznießerin des Koalitionsbruchs ist die konservative Nationale Sammlungspartei KOK. Sie kommt aktuell auf 20 Prozent Zustimmung, liegt damit knapp vor den rechten Basisfinnen (PS) und Marins Sozialdemokraten. Bleibt es dabei, entscheiden die Konservativen, ob Finnland ähnlich wie Schweden den Rechtsruck in Nordeuropa in Regierungsverantwortung fortführt.

© AFP/Jonathan Nackstrand
„Konservative und Basisfinnen stehen sich bei Wirtschaftsthemen sehr nah, unterscheiden sich aber stark bei Fragen zu Einwanderung, EU, Klima- und Menschenrechten“, sagt Timo Miettinen von der Universität Helsinki im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Eine rechtskonservative Koalition sei möglich.
Mit dem wahrscheinlichen Erfolg der rechten Basisfinnen, die sich auch „Wahre Finnen“ nennen, setzt sich der Rechtsruck in Europa auch in Finnland weiter durch. Wenn sie, wie vorausgesagt, am Sonntag zwei Prozentpunkte zulegen, könnte die Partei zur Königsmacherin der nächsten Regierung werden.
Rechte Partei punktet bei Männern
Anders als beim schwedischen Nachbarn, wo im vergangenen Herbst erstmals eine rechtskonservative Regierung die Geschäfte übernahm, haben die Basisfinnen Regierungserfahrung: Vor acht Jahren bildeten sie eine Koalition mit den Konservativen.
Marin selbst schließt eine solche Zusammenarbeiit aus, nennt die Basisfinnen eine„rassistische Partei“. Deren ehemaliger Vorsitzender, Jussi Halla-Aho, fiel immer wieder wegen stramm rechter Ansichten auf, wurde wegen Volksverhetzung verurteilt. Den Islam halte er für eine „Pädophilenreligion“, forderte in der Vergangenheit eine „Finnland-First-Mentalität“. Seine Nachfolgerin Riikka Purra gibt sich zwar staatsmännischer, ist in Migrationsfragen aber ähnlich radikal. Am Sonntag tritt sie als aussichtsreiche Spitzenkandidatin an.
„Das Erfolgsrezept der PS ähnelt dem anderer rechten Parteien“, sagt Manuel Müller vom Finnish Institute of International Affairs (FIIA) dieser Zeitung. In der Eurokrise hätten sich die Basisfinnen durch Kritik an der Europäischen Union profiliert, zuletzt durch „Kritik an den Corona-Maßnahmen der Regierung, durch Anti-Einwanderungs-Rhetorik und traditionalistische Familienpolitik“. Mit ihrer radikalen Politik punkten sie vor allem bei Männern und Erstwählenden.
Anders als die konservative KOK lehnt die rechte PS Arbeitskrafteinwanderung als Lösung für Finnlands Arbeitsmarktprobleme ab. Dem Land fehlen seit Jahren Fachkräfte, in einigen Regionen bleiben 60 Prozent der ausgeschriebenen Stellen unbesetzt. Unter Sanna Marin hat sich die Krise weiter verschärft, die Regierung konzentrierte sich vor allem auf die Bewältigung der Coronapandemie oder reagierte innen- wie außenpolitisch auf den Krieg in der Ukraine.

© dpa/Markku Ulander
Dem Oppositionsführer und konservativen Spitzenkandidaten Petteri Orpo spielt das in die Hände. Im Wahlkampf konzentrierte er sich auf Innenpolitik, fordert mehr Einwanderung von Fachkräften und sparsameres Haushalten. Insbesondere für die zunehmende Staatsverschuldung wird Marin von politischen Gegnern kritisiert. Die Regierung habe über die eigenen Verhältnisse gelebt, die Verschuldung ist doppelt so hoch wie bei den nordischen Nachbarn Dänemark und Schweden.
Orpo wolle Finnland deshalb wieder auf „den rechten Weg“ bringen. Konservative und Rechte haben in den zurückliegenden Wochen schon Einsparungen in Milliardenhöhe versprochen. Eine Zusammenarbeit mit den nationalistischen Basisfinnen schließt Orpo womöglich auch deshalb nicht aus. Der Wille zur Politik der Austerität eint die Parteien rechts der Mitte.
Zukünftige Bündnisse hängen daher von der Reihenfolge der drei großen Parteien ab. Bereits bei der vergangenen Wahl trennte die führenden Parteien weniger als ein Prozentpunkt.
Am Sonntag könnte es noch knapper zugehen. Um sich deutlich von den Rechten abzugrenzen, positionierte Marin ihre Partei bewusst deutlich linker als andere europäische Sozialdemokraten. Doch da die Nationale Sammlungspartei sich, anders als Marin, sämtliche Optionen offen hält, dürfte an ihr bei der Regierungsbildung kein Weg vorbeiführen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: