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Hongkongs Pfarrer sehen sich zunehmend Repressalien ausgesetzt.

© imago/zuma/Tang Yan

Pfarrer in Hongkong unter Druck: „Wir beten, dass der Kommunismus verschwindet“

In Hongkong gibt es offiziell Religionsfreiheit. Doch die katholische Kirche, die im Ruf steht, der Demokratiebewegung nahe zu sein, gerät zunehmend ins Fadenkreuz der Regierung.

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Manchmal versteht Franco Mella die Welt nicht mehr. So wie Mitte vergangenen Jahres, als es plötzlich an seiner Tür klingelte. „Ich habe jetzt schon drei Briefe von der Polizei erhalten“, erzählt der ältere Mann mit schütterem Haar nach einem Gottesdienst.

„Im Mai und im Juni standen sie um 6:30 Uhr am Morgen vor meiner Haustür. Weil wir drei Veranstaltungen nicht angemeldet hatten.“ Auf den gebürtigen Italiener und katholischen Priester wirkt dieser Vorwurf seltsam.

Seit den 1970er Jahren arbeitet Franco Mella abwechselnd in Hongkong und Festlandchina. „Wir haben uns auch die vergangenen 24 Jahre nicht angemeldet! Sie haben sich nie beschwert. Und jetzt sagen sie: Wir waren nicht angemeldet. Das ist verrückt!“

Kirchenvertreter wie Demonstranten behandelt

Was der Hongkonger Regierung womöglich nicht gefalle, so Mella: Sonntagsmessen für und Treffen mit Demokratieaktivisten und anderen NGOs.

Verrückt ist das in Mellas Augen, weil damit die Regeln, innerhalb derer er sich als Pfarrer bewegt, undurchsichtig geworden seien. Seit in der einst politisch autonomen Metropole Hongkong im Jahr 2020 das Nationale Sicherheitsgesetz gilt, ist offen ausgesprochener Dissens praktisch strafbar.

Im Jahr 1997 war die Halbinsel nach 99 Jahren britischer Kolonialzeit an China zurückgegeben worden, der Übergabevertrag garantierte Hongkong für zumindest 50 Jahre Autonomiestatus.

600.000
Gläubige zählt die katholische Kirche Hongkong

Es sollten demokratische Prinzipien gelten, die Freiheit der Meinung, Presse, Versammlung und Religionsausübung gewahrt bleiben. Doch bald wurde deutlich, dass die in Peking regierende Kommunistische Partei eine andere Vorstellung hat vom Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“: Liberale Freiheiten gehören offenbar nicht mehr dazu gehören.

Das zeigt sich seit 2020 nicht nur im Nationalen Sicherheitsgesetz, sondern auch in der Reaktion der Polizei auf die großen Proteste dagegen. Es kam zu Tausenden Verhaftungen.

Franco Mella stellt sich seither immer wieder die Frage, was die Kirche tun könne, um möglichst viele der Freiheiten zu retten. „Wir müssen auch diejenigen ausbilden und ermutigen, die zum Beispiel in der Kirche Verantwortung tragen.“

Viele von ihnen verstünden den Ernst der Lage möglicherweise nicht. „Sie denken, sie können sich beschützen, wenn sie einfach leise sind und in ihrer Kirche bleiben. Aber irgendwann im Leben kommt der Zeitpunkt, dass du an der Reihe bist und etwas tun musst.“

Durch Nationales Sicherheitsgesetz drohen Pfarrern lange Haftstrafen

Die katholische Kirche in Hongkong ist keine kleine Institution. Sie zählt rund 600.000 Gläubige, das sind acht Prozent der Bevölkerung. Durch ihre Schulen in den mehr als 50 Pfarreien hat sie auch Einfluss auf Nicht-Katholiken. Und steht auch deshalb unter Beobachtung. Im Zuge der Straßenproteste wurde etwa Kardinal Joseph Zen festgenommen. Auf Grundlage des Sicherheitsgesetz könnte dem 91-jährigen – wie auch Mella – noch eine lange Haftstrafe bevorstehen.

Der Vorwurf: Bei ihren Treffen mit NGOs und dergleichen gehe es um politische Aktivitäten, nicht um religiöse. Aber wie lässt sich das auseinanderhalten? Das fragt sich auch der Ordensmann Jay Flandez. „Früher haben wir große Gottesdienste unter freiem Himmel organisiert. Seit den Protesten versucht die Regierung, uns davon abzuhalten.“

Flandez kam vor 20 Jahren aus den Philippinen nach Hongkong. „Auf uns wirkt es so, als würden wir behandelt wie Demonstranten.“

Wir beten, dass der Kommunismus verschwindet.

Jay Flandez, katholischer Ordensmann

Zu den Sonntagsgottesdiensten von Flandez kommen jedes Wochenende Tausende philippinische Gastarbeiterinnen. Die freie Religionsausübung als solche sieht Flandez derweil nicht bedroht. Aber wenn sich Predigten kritisch mit dem Weltgeschehen auseinandersetzen, werde es kompliziert. Vokabeln wie „Regierung“ oder „Peking“ meidet Flandez bereits. Und er gibt zu: „Wir beten, dass der Kommunismus verschwindet.“

Wobei die Frage, wie frei oder unfrei Hongkong heute ist, offenbar auch je nach Herkunft unterschiedlich beantwortet wird. „Als Missionar in Hongkong ist die Situation noch okay“, findet Joseph Jia, der die Pfarrei „Heiligkreuz“ im Hongkonger Zentrum leitet. „In Festlandchina ist es deutlich schwieriger.“ Dort hätten viele Kirchen schon schließen müssen. Der 50-jährige Joseph Jia kommt aus einer chinesischen Region, die an Tibet grenzt.

Das größte Problem für Hongkong sieht Jia darin, dass Menschen die Hoffnung verlieren. Ein Exodus habe begonnen. „Fast die Hälfte unserer jüngeren Mitglieder haben wir verloren.“ Vor der Antwort auf die Frage, ob auch er sich in seinen Predigten heute vorsichtiger ausdrücke, schließt Joseph Jia vorsichtshalber seine Bürotür „Die Leute sprechen hier nicht mehr so viel über Politik. Selbst die Priester machen das nicht mehr.“

Innerhalb der katholischen Kirche Hongkongs wird breit diskutiert: Sollte man sich aus politischen Themen zurückziehen, um Eingriffe in die Religionsausübung zu vermeiden? Joseph Jia und Jay Flandez setzen auf diesen Balanceakt. Für Franco Mella ist dies der Weg in die Bedeutungslosigkeit: „Das Wort Gottes ist das Wort von heute. Bei deinen Predigten musst du die Situation von Hongkong heute in Betracht ziehen!“

In einer seiner jüngsten Predigten habe er die Regierung dafür kritisiert, dass diverse Demokratieaktivisten derzeit im Gefängnis sitzen. Wobei Mella damit riskiert, es ihnen bald gleichzutun. Die Polizei hat ja offenbar schon eine Akte über ihn.

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