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Mitglieder der kalifornischen Nationalgarde vor einem Gebäude der US-Bundesregierung während eines Protestes gegen die Politik von Präsident Donald Trump in Los Angeles.

© REUTERS/MIKE BLAKE

Politische Zuspitzung in den USA: Ist das noch Demokratie oder schon Autokratie?

Donald Trump attackiert seit Monaten die Grundprinzipien der Demokratie. Etabliert er in den USA eine allmächtige Selbstherrschaft? Drei Fachleute schätzen die Lage ein.

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Lange Zeit galten die Vereinigten Staaten von Amerika als die am längsten bestehende Demokratie der Welt. Aus Sicht vieler Kritikerinnen und Kritiker hat Donald Trump damit Schluss gemacht: „Wir leben nicht länger in einer Demokratie“, sagte der renommierte Harvard-Politikwissenschaftler Steven Levitsky („Wie Demokratien sterben: Und was wir dagegen tun können“) kürzlich in einem Interview mit dem „Stern“.

Und der US-Historiker Timothy Snyder („Über Tyrannei“) von der Universität Yale, der Ende März verkündet hatte, dass er nach Kanada wechseln wird, sagte jüngst in einem Interview mit der österreichischen „Kleinen Zeitung“ über den US-Präsidenten: „Ich kenne keine Definition von Faschismus, deren Punkte Trump nicht erfüllt.“

Angesichts der anhaltenden Attacken von Trump und seinem Beraterkreis gegen demokratische Grundprinzipien wie Gewaltenteilung, Kontrolle der Exekutive, Gleichheit vor dem Gesetz oder Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit sowie des Persönlichkeitskults der US-Republikaner um ihren Präsidenten scheinen diese Einschätzungen nachvollziehbar. Auch der kürzlich von Trump durchgesetzte Einsatz der Nationalgarde in Kalifornien scheint diese Sorge zu bestätigen.

Beim „No Kings Protest“ gingen kürzlich nach Schätzungen der Veranstalter mehr als fünf Millionen Menschen gegen Trumps Politik in den USA auf die Straße.

© Getty Images via AFP/SPENCER PLATT

Aber haben sich die USA tatsächlich schon so weit von demokratischen Grundprinzipien verabschiedet, dass sie zur Autokratie zu werden drohen? Oder ist das politische System bislang stark genug, um der autoritären Politik des Präsidenten zu widerstehen? Drei Fachleute schätzen die Lage ein. Mehr Folgen des Formats 3 auf 1 lesen Sie hier.


Die Justiz bleibt eine starke Kontrollinstanz

Die USA sind weiterhin klar eine Demokratie, auch wenn die zweite Trump-Administration Maßnahmen verfolgt, die in Richtung Autokratie weisen. Positiv ist: Seit Januar 2025 hat die Regierung Hunderte Klagen mit einer Verlustquote von über 90 Prozent erlebt – teils auch vor dem Supreme Court, mit Unterstützung von Trump-ernannten Richtern.

Obwohl JD Vance nahelegte, Gerichtsurteile zu ignorieren, hat die Regierung im Fall Abrego Garcia der Anordnung Folge geleistet und Garcia zurückgeholt. Das zeigt: Die Justiz bleibt eine starke Kontrollinstanz. Auch die Presse ist frei und kritisch. Der Kongress jedoch hat bislang versäumt, die Exekutive wirksam zu begrenzen.

Nicht nur der Kongress gibt Anlass zur Sorge. Trumps Militärparade an seinem Geburtstag und der Einsatz von Truppen in Kalifornien – ohne Zustimmung der dortigen Regierung – deuten auf den Versuch hin, eine präsidiale Militarisierung zu normalisieren. Das ist hochproblematisch. Ebenso beunruhigend sind die Gesetzlosigkeit seiner Präsidentschaft, der Verfall politischer Kultur und die offensichtliche Korruption. All das lässt um die Zukunft der amerikanischen Demokratie fürchten – doch entschieden ist sie noch nicht.


Systembedingte Schwachpunkte

Nach der Kriegserklärung an den Liberalismus macht sich Trump seit seiner Wiederwahl daran, die Grundsteine der Demokratie abzubauen: Pluralismus, Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit und Menschenrechte. Wie schnell die Zerstörung vonstattengeht, überrascht selbst diejenigen, die sie vorhersagten.

Systembedingte Schwachpunkte wie die Exekutivbefugnisse des Präsidenten und das Recht auf Ernennung der obersten Richter untergraben die Gewaltenteilung. Es bedurfte nur eines machthungrigen Populisten, um sich dieser Werkzeuge zu bedienen. Sie erlaubten Trump einen beispiellosen Angriff auf die US-Verfassung – von Eingriffen ins Wahlsystem bis zum Einsatz der Nationalgarde in Los Angeles.

In Los Angeles gab es kürzlich massive Proteste gegen Trumps Abschiebungspolitik, in deren Folge der US-Präsident die Nationalgarde einsetzte.

© imago/UPI Photo/IMAGO/JIM RUYMEN

Wirksamer als diese Verstöße gegen die Verfassung, die derzeit noch gerichtlich bekämpft werden können, sind die Drohungen gegen Richter, Anwälte, Journalisten und praktisch jeden, der die Regierung kritisiert. Einschüchterung und Zensur gehören zum Spielplan gewählter Möchtegern-Diktatoren.

Haben die USA, die Retter europäischer Demokratien, ihre eigene Demokratie verloren? Ohne radikales Umdenken in Berlin, London und Paris könnte es bald dazu kommen. Das wäre das Scheitern der liberalen Demokratie als weltweites Konzept.


Autokratische Fassadendemokratie

Trump wurde rechtmäßig gewählt. Im Kongress haben die Republikaner demokratisch legitimierte Mehrheiten. Trump brauchte dafür nicht einmal die undemokratische Überrepräsentation der ländlichen Wähler (die Kongressrepublikaner schon).

Nun regieren sie und setzen durch, was sie angekündigt hatten: Begrenzung der Migration, Abschiebungen, Protektionismus, Deregulierung, Verkleinerung des Verwaltungsstaates und Steuersenkungen.

Gnadenlose Demokratie: Sind Wähler nicht zufrieden, schmeißen sie die Regierung raus. Wo ist das Problem? Die neuen Amtsinhaber erfüllen nicht alle ihre Wahlversprechen? Normal. Sie gehen zu weit? Nehmt ihnen 2026 die Mehrheit halt wieder weg, liebe Wähler.

Aber: Wer auch morgen noch ungestraft über „die da oben“ schimpfen, sie gar abwählen will, sollte die Demokratie vor denen schützen, die sie schleifen wollen. Es war ja kein Geheimnis: Die reaktionären Revolutionäre des MAGA-Personenkults folgen blind einem Führer, der eine illiberale, hypermajoritäre Demokratie nach ungarischem Vorbild anstrebt, ohne lästige Schranken durch Opposition, Gerichte, verfassungstreue Beamte, freie Medien, Zivilgesellschaft, internationale Verträge – eine autokratische Fassadendemokratie.

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