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Präsidentschaftswahl in Bolivien: Bekommt Südamerika den nächsten Milei?
Wie in Argentinien scheint auch beim kleinen Nachbarn die Zeit linker Populisten vorbei. Rechte Politiker wittern ihre Chance – und liebäugeln mit den Ideen des argentinischen Staatschefs.
Stand:
Es gibt einiges in Bolivien, das den Politikwissenschaftler José Peralta derzeit an Argentinien erinnert. Die immer gravierendere Wirtschaftskrise zum Beispiel, die steigende Armut, der Mangel an US-Dollar im Land. Manches wird seit Monaten immer teurer, anderes ist kaum noch vorhanden.
Die Ursache dahinter: ein aufgeblähter Sozialstaat, der den Reichtum im Land umverteilen sollte, aber es durch Misswirtschaft und Korruption in eine tiefe Krise stürzte. Zwei Jahrzehnte lang regierte das linke Movimiento al Socialismo, kurz Mas, Bolivien fast ununterbrochen. So ähnlich wie der linke Peronismus Argentinien, das 2023 mit Javier Milei eine radikale Veränderung wählte.
Die linke Bewegung könnte abgewählt werden
Auf den Straßen Boliviens, sagt Peralta dem Tagesspiegel, höre man dieser Tage ganz ähnliches. „Egal, mit wem man spricht, alle sagen: ‚Wir wollen eine Veränderung’“. Am Sonntag wählt das Andenland einen neuen Präsidenten.
Und zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren spielt Mas kaum eine Rolle.
An seine Stelle rücken mehrere rechte Kandidaten. Manche von ihnen werben im Wahlkampf damit, mehr Milei zu wagen, zeigen Bilder des argentinischen Präsidenten, sprechen von einer Verkleinerung des Staats und strikten Sparmaßnahmen. Ist das die Zukunft Boliviens?
„Eine wirkliche Option dazu gibt es aus Sicht vieler nicht“, sagt Christina Stolte, Büroleiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Boliviens Hauptstadt La Paz. Keiner der Kandidaten mache ein Geheimnis daraus, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann.
Auch wenn Boliviens aktuelle Inflation in Argentinien, das vor zwei Jahren eine Inflationsrate von 200 Prozent hatte, wohl noch ein Erfolg wäre: Für die Bolivianer:innen ist sie mit mehr als 10 Prozent auf einem Rekordhoch. Besonders die Preise für Grundnahrungsmittel sind stark angestiegen.
Seit mehr als einem Jahr herrscht extremer Benzinmangel. Vor den Tankstellen stehen die Fernbusse Schlange, auch er selbst habe kürzlich zehn Stunden auf eine Zapfsäule gewartet, erzählt der Politikwissenschaftler Peralta.
Die Infrastruktur des Landes bricht deshalb langsam zusammen, manche Medikamente seien nicht mehr erhältlich. „Ein anderes, so erzählen mir befreundete Apotheker, wird vermehrt konsumiert: Schlafmittel“, sagt Peralta.

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Denn die Krise habe die Menschen verunsichert, „viele leiden Hunger, unsere Gesellschaft scheint chronisch schlecht gelaunt“. Trotz zwei oder drei Jobs gleichzeitig kämen einige kaum über die Runden.
Unter dem langjährigen Anführer, der indigenen Ikone Evo Morales, hatte Mas die Armut im Land in den vergangenen Jahrzehnten halbieren können. Morales hatte den Rohstoffabbau im Land verstaatlicht und Sozialprogramme eingeführt. „Er hat viele Menschen hinter seinem linken Projekt vereinen können“, erklärt Stolte. „In Bolivien hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung indigene Wurzeln, sie fühlten sich lange von der Politik vernachlässigt.“
Die Menschen wollen, so ist mein Eindruck, zwar Veränderung, aber keine Revolution.
Christina Stolte, Bolivien-Expertin der Konrad-Adenauer-Stiftung
Aber das Regierungsprojekt von Morales war kurzsichtig und auf die hohen Gasexporte aufgebaut – ohne, dass er weiter in die Industrie investiert hätte. Andere Pläne wie die Ausweitung des Lithium-Abbaus wurden nicht umgesetzt. „Bolivien ist vom Gas abhängig“, sagt die Expertin der Konrad-Adenauer-Stiftung. „Als der Weltpreis einbrach, brach auch die Wirtschaft ein.“
Heute laufen viele im Land Gefahr, wieder zu verarmen. „Die Wirtschaftskrise trifft die ärmere Bevölkerung natürlich am meisten. Besonders sie hat früher Mas gewählt, traut der Partei aber nicht mehr zu, die Probleme des Landes zu lösen“, sagt Stolte. In manchen Umfragen liegt sie sogar unter drei Prozent – in diesem Fall würde sie ihr Parteisiegel verlieren und sich sogar möglicherweise auflösen.
Die Wirtschaft, sie ist das alles bestimmende Thema im bolivianischen Wahlkampf. Und so kommen auch Konzepte wie das von Javier Milei auf den Tisch.
„Niemand spricht explizit davon, die Kettensäge an den bolivianischen Staat anzusetzen“, sagt José Peralta. „Aber viele Ideen haben sich die rechten Kandidaten aus Argentinien abgeguckt: eine radikale Kürzung der Staatsausgaben, keine Gefälligkeiten für bestimmte Industriesektoren, die Privatisierung staatlicher Unternehmen.“
Und vor allem: Weg mit den Subventionen auf Treibstoff. Ein Liter Benzin oder Diesel kostet in Bolivien dank des Staates weniger als 50 Cent. Das, da sind sich die meisten einig, kann sich das immer höher verschuldete Land nicht mehr leisten.
„Paradoxerweise hat Morales vor fünfzehn Jahren bereits versucht, die Subventionen abzuschaffen – und scheiterte am massiven Widerstand der Bevölkerung“, sagt Peralta. „Heute fordern und unterstützen die Menschen genau das, wogegen sie damals auf die Straße gingen.“

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Wer Bolivien in den kommenden Jahren regieren könnte, ist offen. Umfragen gelten traditionell als recht unzuverlässig, weil Wähler:innen in ländlichen Regionen kaum befragt werden.
Unter den acht Kandidaten liegen gerade zwei aus dem rechten Oppositionslager vorne, mit jeweils rund 20 Prozent: der 66-jährige Unternehmer Samuel Doria Medina und der 65-jährige Jorge „Tuto“ Quiroga, der das Land 2001 kommissarisch regierte, als der Diktator Hugo Banzer Suárez krank wurde.

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Beide liebäugeln mit Wirtschaftsreformen im Sinne Mileis. Das erste Dekret etwa, das Doria Medina als Präsident durchsetzen will, trägt den Namen „Se acabó la fiesta“, die Party ist vorbei – und erinnert damit an Mileis berühmten Spruch „No hay plata“, es gibt kein Geld.
„Allerdings sind die bolivianischen Kandidaten eher pragmatisch als radikal“, sagt Peralta. „Ihre Projekte haben, anders als das von Milei in Argentinien, keine ideologischen Komponenten.“ Den plurinationalen Staat, den Morales 2009 erklärte, die unter ihm ausgeweiteten Rechte für die indigene Bevölkerung – all das wird zumindest im Wahlkampf nicht infrage gestellt.
Aus diesem Grund mag Christina Stolte den Vergleich mit Argentinien nicht. „Ich hatte ehrlich gesagt damit gerechnet, dass radikale Diskurse à la Milei jetzt eine große Rolle spielen“, sagt sie. „Es hat mich deshalb sehr überrascht, wie gemäßigt der Wahlkampf war. Die Menschen wollen – so ist mein Eindruck – zwar Veränderung, aber keine Revolution.“
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