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Präsidentschaftswahl nur eine Farce: Tunesien ist in der Hand eines Autokraten – was Europa jetzt tun muss
Kais Saied lässt sich wieder an Tunesiens Spitze wählen. Von Demokratie im Vorzeigeland des Arabischen Frühlings kann keine Rede mehr sein. Dabei hatte die EU eigentlich viel richtig gemacht.

Stand:
Es ist tragisch. Tunesien hatte im Zuge der Massenproteste 2011 nicht nur seinen Diktator Ben Ali gestürzt. Als einziges Land des sogenannten Arabischen Frühlings hatte es dank seiner starken Zivilgesellschaft auch den Übergang zu einem – wenn auch fragilen – demokratischen System geschafft.
Dafür war das Quartett des Nationalen Dialogs 2015 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Arbeitgeber- und Gewerkschaftsverband, die Menschenrechtsliga und die Anwaltskammer hatten gemeinsam einen Fahrplan Richtung freier Wahlen vorgelegt und die Bildung einer Koalitionsregierung unterstützt.
Heute reiht sich Tunesien wieder in die Liste autoritär geführter Länder ein. Präsident Kais Saied wurde am Sonntag laut vorläufigem Endergebnis mit 90,7 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Das hört sich viel an, ist es aber nicht: Bei der extrem niedrigen Wahlbeteiligung von knapp 29 Prozent ist die weitaus größte Gruppe die der Nichtwähler.
Nicht aus Desinteresse haben sie die Wahlurnen gemieden, sondern aus Protest und Resignation. Denn es gab keine Wahl. Von 17 Kandidaten wurden 15 sogleich von der durch Präsident Kais kontrollierten Wahlbehörde ausgeschlossen.
Verblieben waren zwei Alibi-Kandidaten, von denen der eine, ein unbekannter Industrieller, im Gefängnis sitzt und keinen Wahlkampf machen konnte.

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Der andere unterstützte bis vor kurzem den Präsidenten, der das Parlament erst auflöste und das neue entmachtete, per Dekret regierte und sich die Justiz untertan machte. Vertreter der Zivilgesellschaft sprachen daher von einer manipulierten Wahl.
Die massenhafte Stimmenthaltung wurde in einem Land, in dem mittlerweile fast alle Oppositionsführer im Gefängnis sitzen, so für viele zur einzigen Möglichkeit, ihren Protest auszudrücken. Ähnlich wie in Iran oder in Ägypten.
Anfängliche Begeisterung über den starken Mann
Ja, Saied war zunächst gerade von jungen Menschen begeistert unterstützt worden. Der Technokrat wollte der Korruption beikommen, die den Regimewechsel überlebt hatte.
Viele Menschen hatten die Nase voll von Politikern, die es an der Reife fehlen ließen, die die Zivilgesellschaft gezeigt hatte. Auch der erhoffte wirtschaftliche Aufschwung blieb aus.
Dann rächte sich, dass es noch immer kein Verfassungsgericht gab, das den eklatanten Machtmissbrauch des Präsidenten hätte verhindern können.
Europa williger Helfer beim Grenzschutz
Spätestens nach dieser Wahl muss sich Europa fragen, wie es mit dem Regime umgehen will.
Eigentlich hatte die EU viel richtig gemacht: nicht sofort die gewählte Regierung boykottiert, in der auch Islamisten saßen, wie sie das in anderen Ländern getan hatte; Unterstützung beim Aufbau von Justiz und demokratischen Strukturen. Aber eben nicht genug Entgegenkommen, um die Lebensverhältnisse zu verbessern.
Es gilt für Europa, die Zivilgesellschaft Tunesiens zu stärken und möglichst die Lebensverhältnisse zu verbessern.
Andrea Nüsse
Doch der Kuschelkurs mit diesem Präsidenten – allein um eines Migrationsabkommens willen – ist falsch. Nicht nur, weil menschenrechtliche Mindeststandards im Umgang mit Migranten systematisch grob verletzt werden.
Sondern auch, weil Saied das Land „weiter von Korruption und Komplotten reinigen“ will, wie er nach der Wahl ankündigte.
Das verheißt nichts Gutes. Es gilt für Europa, die Zivilgesellschaft Tunesiens zu stärken und möglichst die Lebensverhältnisse zu verbessern.
Bei dieser Strategie war man vor der Revolution schon einmal. So wie Tunesien fast wieder da steht, wo es vor 2011 schon einmal war.
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