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Jewgeni Prigoschin, Gründer der russischen Wagner-Söldnertruppe (Archivbild)

© Reuters/Uncredited

Update

Prigoschin als „Sündenbock“: Konflikt zwischen Kreml und Wagner-Chef erreicht vorläufigen Höhepunkt

Die russische Militärführung will den Einfluss des Wagner-Chefs minimieren, analysieren US-Militärexperten. Wenn der Plan aufgeht, kann das Vorgehen auch als Warnung gelten.

| Update:

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschins Kritik an dem russischen Verteidigungsministerium und der Kriegsführung in der Ukraine hat in letzter Zeit weiter zugenommen. Prigoschin ist daher bei Kremlchef Wladimir Putin offenbar in Ungnade gefallen, analysiert der US-amerikanische Thinktank „Institute for the Study of War“ (ISW) in seinem täglichen Lagebericht.

Prigoschin macht seit Beginn des Jahres das Verteidigungsministerium in Moskau vor allem für ausbleibende Munitionslieferungen an seine Kämpfer und die daraus resultierenden hohen Opferzahlen verantwortlich. Das Ministerium „konzentriert sich derzeit auf die Beseitigung von Wagner auf den Schlachtfeldern“, resümiert das ISW.

Angefangen hatte es für Jewgeni Prigoschin vor etwa einem Jahr jedoch ganz gut: Die reguläre russische Armee konnte nicht die vom Kreml gewünschten und erwarteten Erfolge vorweisen und die Wagner-Gruppe konnte mit Erlaubnis aus Moskau seine Kampfkraft ausbauen. So seien etwa 40.000 russische Sträflinge rekrutiert worden, schreibt der ISW.

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Die Motivation von Putin lag vermutlich darin, seine Streitkräfte mit freiwilligen Rekruten aufzufüllen, um eine höchst unpopuläre Mobilisierung zu vermeiden, analysieren die ISW-Experten.

Im Herbst vergangenen Jahres wurde sogar ein Wagner nahestehender Militär, General Sergei Surowikin, zum Befehlshaber der russischen Truppengruppierung in der Ukraine ernannt. Surowikin sei dem Machtkampf jedoch zum Opfer gefallen und Anfang des Jahres degradiert worden, heißt es im Lagebericht.

Prigoschin zeigte zu viel Ambitionen

Putin habe sich aber womöglich an Prigoschins militärisch-politischen Ambitionen gestört, die der Wagner-Chef im Oktober vergangenen Jahres durchblicken ließ, schreibt das ISW. Kremlbeamte, die anonym bleiben wollten, hätten zudem bestätigt, dass Putin Loyalität der Kompetenz vorziehe.

Ein Kreml-naher Politologe beschuldigt Prigoschin nun, dass diese Ambitionen zur Gefahr für die Wagner-Söldner an der Front werden könnten, schreibt das ISW in seinem Lagebericht vom Dienstag. Aleksey Mukhin, der auch für russische Staatsmedien arbeitet, argumentierte auf Telegram: Prigoschins Selbstdarstellung als „Kommandeur“ seiner privaten Wagner-Truppe habe „direkte Auswirkungen auf die Planung und das Management der Kampfeinsätze der Sturmtruppen“.

Jeder wisse, dass die russische Regierung für Prigoschins Truppen und deren Munition bezahle, so Mukhin. Prigoschin habe es versäumt, die Unterstützung durch das russische Militär anzuerkennen und habe sich dadurch von anderen russischen Befehlshabern auf dem Schlachtfeld entfremdet. Dadurch bringe Prigoschin die Wagner-Kämpfer in Gefahr, bei einem unerwarteten ukrainischen Gegenangriff eingekesselt zu werden. 

Schoigu und Gerassimow für Treue belohnt

In einem bizarren öffentlichen Statement im Oktober 2022 habe der Kremlchef zudem einen Vergleich mit Katharina der Großen angestrengt, der als Warnung gegenüber Prigoschin zu verstehen sein könnte.

Dass es der Wagner-Gruppe nun verboten sei, russische Sträflinge zu rekrutieren und der Zugang zu Munition eingeschränkt werde, könnte dafürsprechen, dass Putin seinem Verteidigungsminister Sergei Schoigu und dem Chef des russischen Generalstabs, Waleri Gerassimow, aufgrund ihrer jahrelangen Treue wieder mehr Kompetenzen übertragen hat, analysiert der ISW.

Ziel der russischen Militärführung sei es derzeit möglicherweise, dass sich die Wagner-Gruppe im Kampf um Bachmut verausgabt, heißt es in dem Bericht. Hohe Verluste unter den Söldnern sollen womöglich auch dazu führen, Prigoschins Einfluss stetig zu verringern und die Stadt schließlich mit regulären Truppen einnehmen zu können.

Derzeit werde Prigoschin aber möglicherweise noch als „Sündenbock“ gebraucht. Die hohe Anzahl an Verlusten unter den Wagner-Söldnern ist auch Thema in Russland und könnte so von Opferzahlen in der regulären Armee ablenken.

Zudem könnte Putin „Berichte über schlechte Moral und Kriegsverbrechen (der Wagner-Söldner) nutzen, um von wahrscheinlich gleichen oder möglicherweise noch schlimmeren Problemen innerhalb der russischen Streitkräfte abzulenken“, schreibt das ISW.

Dass russische Staatsunternehmen derzeit eigene Söldnertruppen aufstellen, kann zudem bedeuten, dass der Einfluss der Wagner-Gruppe und deren Chef eingeschränkt werden soll. Wenn der Plan aufgeht, kann das Vorgehen auch als Warnung gelten. Allen voran gegenüber Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow, der im Ukraine-Krieg mit seiner eigenen Privatarmee mitmischt und auch nicht zimperlich mit der russischen Armeeführung umgeht. (Tsp)

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