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Israel besitzt seit der Gründung des Staates 1948 noch immer keine Verfassung.

© Foto: Reuters/ Stringer

Rechtsruck in Israel: Ist die Demokratie im jüdischen Staat bedroht?

Israel hat bis heute keine Verfassung, die Gewaltenteilung wirkt fragil. Ist eine mögliche rechtsgerichtete Regierung unter Benjamin Netanjahu eine Gefahr für das Land? Ein Gastbeitrag.

Israels Demokratie ist fragiler als andere westliche Demokratien und anfälliger dafür, von einer Mehrheit ausgenutzt zu werden, die populistische Ideen verfolgt.

Einige Pläne der voraussichtlich zukünftig rechtsgerichteten Regierung unter Benjamin Netanjahu stellen deshalb eine ernsthafte Bedrohung dar für die israelische Demokratie, wie wir sie kennen.

Um die Verwundbarkeit des demokratischen Systems Israels zu erklären, hilft ein kurzer Blick zurück in die Geschichte des Landes.

Schwieriges Verhältnis zwischen Religion und Staat

Unmittelbar nach der Gründung Israels im Jahr 1948 wurde es von sieben verschiedenen arabischen Armeen angegriffen, die den israelischen Staat vernichten wollten.

Für die damalige israelische Führung war es daher von entscheidender Bedeutung, einen Konsens zwischen verschiedenen Fraktionen herzustellen, um effektiv Entscheidungen treffen zu können.

Allerdings konnten sich die unterschiedlichen Gruppierungen nicht auf eine Verfassung einigen, vor allem wegen Meinungsverschiedenheiten über das Verhältnis von Religion und Staat. Daher beschloss man, der Knesset, dem israelischen Parlament, die Rolle einer verfassungsgebenden Versammlung zuzuweisen.

Eine starke demokratische Tradition

Innerhalb eines Jahres sollte die Knesset eine Verfassung verabschieden. Leider ist das nie geschehen, und 73 Jahre später hat Israel immer noch keine Verfassung, die grundlegende Prinzipien wie die Rechte des Individuums oder das Verhältnis der verschiedenen Gewalten festschreiben würde.

Dass Israel dennoch zu einer lebendigen Demokratie geworden ist, hat das Land in erster Linie den starken demokratischen Traditionen zu verdanken, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben.

In welchem verhältnis sollten Politik und Religion stehen?
In welchem verhältnis sollten Politik und Religion stehen?

© imago stock&people / imago stock&people

Da diese Tradition jedoch nicht in einer Verfassung verankert ist, gibt es nichts, was die demokratischen Spielregeln vor einer Mehrheit schützen könnte, die das politische System verändern will.

Justizreformen wären tiefgreifend

Die künftige Regierungskoalition wird höchstwahrscheinlich aus Netanjahus Likud-Partei, der rechten Partei Religiöser Zionismus sowie zwei ultraorthodoxen Kräften bestehen.

Was ihre Pläne betrifft, besteht noch viel Unsicherheit: Schließlich sind die Absichten, die Parteien im Wahlkampf verkünden, selten deckungsgleich mit dem, was sie später in Gesetzesform gießen.

Benjamin Netanjahus rechts-zionistischer Kurs könnte Israels Demokratie tiefgreifend verändern.
Benjamin Netanjahus rechts-zionistischer Kurs könnte Israels Demokratie tiefgreifend verändern.

© Foto: AFP/ Sebastian Scheiner

Einige Justizreformen, die die Vertreter des Religiösen Zionismus bisher vorgeschlagen haben, geben allerdings Grund zur Besorgnis: Sie könnten das System der Gewaltenteilung, der Checks and Balances, tiefgreifend verändern.

Zu diesen Initiativen zählt die sogenannte Aufhebungsklausel. Bislang kann der Oberste Gerichtshof Gesetze, die das Parlament beschließt, auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen.

Die neue Klausel dagegen würde es einer einfachen Knesset-Mehrheit von 61 Abgeordneten erlauben, diese Prüfungen aufzuheben.

Eine zweite Initiative ist der Versuch, Politikern der Parlamentsmehrheit die ausschließliche Kontrolle über die Ernennung von Richtern zu geben. Und eine dritte Initiative zielt darauf ab, einige der Positionen im öffentlichen Dienst zu politisieren.

Kein Schutz von Minderheiten

Würden all diese Schritte tatsächlich umgesetzt, führte dies zu einer Machtkonzentration in den Händen der politischen Exekutive, ohne die Möglichkeit angemessener gerichtlicher Kontrollen und ohne Schutz der Rechte von Minderheiten.

Gesetzesinitiativen, die beispielsweise die Rechte von Minderheiten wie der LGBT-Community oder den arabischen Bürgern Israels verletzen, blieben dann unangefochten. Dies würde das Wesen der israelischen Demokratie fundamental verändern.

Würden solche rechtlichen Änderungen auf extreme Art und Weise vorgenommen, ohne substanziellen Dialog und breiten Konsens, läge darin eine echte Gefahr: Israels demokratische Ordnung und Institutionen würden vor grundlegenden Herausforderungen stehen.

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