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Ein ukrainischer Soldat der 57. motorisierten Infanteriebrigade feuert eine Panzerhaubitze in der Nähe der Stadt Bachmut.

© Reuters/Sofiia Gatilova

Russische Kriegsgefangene berichten über Front-Zeit: Schmerz, Enttäuschung und Befehle von Kommandanten, die high waren

CNN-Reporter haben mit russischen Kriegsgefangenen über ihre Erlebnisse gesprochen. Einige davon sind Sträflinge, die in der Hoffnung auf Amnestie unvorbereitet an die Front kamen.

Sie rannten und sprangen über Krater und Leichen, die durch den unaufhörlichen Beschuss in Stücke gerissen worden waren, in ein anderes Schützenloch. 

„Wir hüpften wie die Karnickel unter Mörsergranaten und Bomben“, berichtete ein russischer Soldat gegenüber CNN, der südlich von Bachmut stationiert war – und der von der ukrainischen Armee gefangen genommen wurde.

Er wird für den Bericht Anton genannt, seinen richtigen Namen hält das US-Medium geheim, um ihn vor möglichen negativen Folgen bei seiner Rückkehr nach Russland zu schützen.

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Anton ist einer von acht russischen Soldaten, die von den ukrainischen Streitkräften in einem Behelfsgefängnis in der Ostukraine festgehalten werden. CNN konnte sie vor ihrer Übergabe an den ukrainischen Geheimdienst interviewen. Es ist eine der wenigen Gelegenheiten in diesem Krieg, um mit Gefangenen über die Geschehnisse zu sprechen.

So manches, was sie den Reportern erzählten, ist bekannt: etwa die schlechte Moral in den Schützengräben der Russen, das Chaos und die Entbehrlichkeit einiger Truppen. Die Gespräche geben aber Einblick in die Art und Weise der Rekrutierung und mit welchen Informationen die Männer – hauptsächlich Sträflinge – in den Krieg gelockt wurden.

Die Schilderungen können nicht von unabhängiger Seite überprüft werden, aber sie stimmen mit Videos überein, die von russischen Zwangsverpflichteten veröffentlicht wurden, erklären die CNN-Reporter.

Es war ganz anders als das, was ich im Fernsehen gesehen habe. Eine parallele Realität. Ich spürte die Angst, den Schmerz und die Enttäuschung über meine Kommandeure.

Sergej, russischer Soldat in ukrainischer Gefangenschaft

Russland gewährt Amnestie für sechs Monate Krieg

So gehört Anton der Truppe „Storm Z“ an, die vor allem aus Sträflingen besteht. Die Einheit gehört zum russischen Verteidigungsministerium und gewährt Häftlingen eine Amnestie, wenn sie sich zu einem sechsmonatigen Einsatz in der Ukraine verpflichten.

Bevor sich Anton für den Krieg meldete, verbüßte er in Russland seine dritte Haftstrafe wegen Drogenbesitzes. Zuvor war er bereits wegen eines ähnlichen Verbrechens und eines Raubüberfalls verurteilt worden.

Ein russischer Soldat steht Wache.

© AFP/Olga Maltseva

Gegenüber CNN sagte er, man habe ihm eine saubere Akte versprochen, wenn er sich zum Kampf in der Ukraine meldet. Allerdings hätte er nicht gewusst, dass er an die Front geschickt werden würde.

Ihm und den anderen wurde gesagt, dass die Wagner-Söldner diejenigen seien, die am aktiven Kriegsgeschehen beteiligt seien. Und dass sie diejenigen sein würden, die in den befreiten Gebieten stationiert seien. Es sollte anders kommen.

Kriegsgefangene „High“ von Schmerzmitteln

Sie bekamen eine zweiwöchige Grundausbildung und wurden ohne große Unterstützung an die Front geschickt. Ihr einziger Zugang zu Nahrung und Wasser sei ein fünf Kilometer langer Fußmarsch durch Minenfelder gewesen.

Ihr unmittelbarer Kommandant sei ebenfalls ein Sträfling gewesen. Ihre Befehlshaber wurden von dem Vorrat an Schmerzmitteln, den sie hatten, high. 

Ukrainische Soldaten feuern am 20. Juni 2023 an einer Frontlinie bei Bachmut mit einem Mehrfachraketenwerfer auf russische Stellungen. 

© AFP/Genya Savilov

Unter dem Einfluss gaben die Vorgesetzten „unsinnige Befehle“ und schickten die Soldaten unter Mörserfeuer hinaus, berichtet ein weiterer Kriegsgefangener.

Slava, der im echten Leben anders heißt, wurde ebenfalls versprochen, dass sein Strafregister gesäubert würde, wenn er sich der Gruppe von „Storm Z“ anschließe. Genauso wie Anton erklärte er, dass seine einzige Informationsquelle über den Krieg vor dem Einsatz die russischen Staatsmedien waren.

Wir hüpften wie die Karnickel unter Mörsergranaten und Bomben.

Anton, russischer Soldat in ukrainischer Gefangenschaft

Was dort gezeigt wird, bezeichnet Sergej, ein anderer von CNN interviewter Kriegsgefangener, als „parallele Realität“. Er ist kein Sträfling, sondern Vertragssoldat mit militärischen Erfahrungen. Er berichtet, dass man ihn nicht darauf vorbereitet hätte, was beide Kriegsseiten später als „Fleischwolf in Bachmut“ bezeichneten.

„Es war ganz anders als das, was ich im Fernsehen gesehen habe. Eine parallele Realität. Ich spürte die Angst, den Schmerz und die Enttäuschung über meine Kommandeure“, sagte Sergej.

Schon nach seinem ersten Einsatz, den er in Cherson hatte, erlebte er den ersten Rückschlag: Als er in die Heimat zurückkehrte, drohte ihm der Militärstaatsanwalt mit Gefängnis, falls er nicht auf das Schlachtfeld zurückkehren würde.

Wie es mit ihm und den anderen weitergeht, ist noch ungewiss. Die Ukraine will sie gegen eigene Soldaten austauschen, die von den russischen Streitkräften festgehalten werden.

Sie haben allerdings keine großen Hoffnungen. Ein ukrainischer Soldat, der für das Behelfsgefängnis zuständig ist, meinte lediglich: „Für die russische Regierung sind sie nicht viel wert.“ (Tsp)

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