
© IMAGO/SNA
„Russische Soldaten verkleiden sich als Zivilisten“: Aktueller Frontbericht zeigt, wie hinterlistig der Ukraine-Krieg geworden ist
Der Krieg um die Ukraine hat sich verändert. Im vierten Jahr heißt es: Mann gegen Mann und Drohnen gegen Mann. Dabei werden offenbar auch prorussische Zivilisten zunehmend zum Problem – und getarnte russische Soldaten.
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Die russische Armee rückte dieses Jahr an der Front im Osten und Südosten der Ukraine so wenig vor, dass zwei Militärexperten die Sommeroffensive jüngst für gescheitert erklärten. Trotzdem hat sich der Krieg verändert. Er wird nun vor allem mit Kampfdrohnen geführt, die ukrainische Städte attackieren und an der Front zur Dauergefahr am Himmel geworden sind. Panzer spielen dagegen kaum mehr eine Rolle.
Diese Trends bestätigen sich in einem neuen Frontbericht des kanadischen Kriegsreporters Neil Hauer, den er auf X veröffentlicht hat. Hauer arbeitete zuvor unter anderem für CNN und den „Guardian“. Nun liefert er eindrückliche Schilderungen eines Krieges, der auch von zunehmender Erschöpfung geprägt ist – und von Heimtücke. Hauer hatte „die seltene Gelegenheit“, mit ukrainischen Soldaten der 14. Brigade zu sprechen. Sie waren gerade von einem dreimonatigen Einsatz im Dorf Nowoekonomitschne zurückgekehrt, „einer der heißesten Stellen der gesamten Front“. Die Karte zeigt, dass sich die Ukrainer dort fast in einem Kessel befinden:
Das Personal geht aus
Es „grenzt fast an ein Wunder“, dass die Männer ihren langen Fronteinsatz überlebt haben, schreibt der Reporter. Nach nur fünf freien Tagen müssen sie wieder zurück in den Kampf – ein Beleg für den enormen Personalmangel in der ukrainischen Armee. Darunter leidet die Ukraine seit langem, er lässt sich – im Unterschied etwa zu fehlenden Waffen – auch nicht durch Hilfe aus dem Ausland kompensieren.
Kleine Einheiten in ständiger Drohnengefahr
Hauer beschreibt in seinen Posts „winzige Einheiten auf beiden Seiten“. Die Soldaten würden inzwischen zu zweit oder allein vorrücken. Ist das Team drei Mann stark, würde das bereits ausreichen, um damit ins Visier von Drohnen zu geraten – ein Indiz für die hohe Zahl dieser unbemannten Flugkörper im Luftraum über dem Schlachtfeld. Schon lange zeugen auch Videos in den sozialen Netzwerken vom umfangreichen Einsatz der Drohnen, die entweder zur Explosion ins Ziel gesteuert werden, oder ihre Sprengsätze von oben auf Soldaten werfen.
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Kaum mehr Panzer an der Front – aber dafür Motorräder
„Wir haben in 90 Tagen insgesamt nur dreimal feindliche Panzer gesehen“, sagte der Kommandeur der ukrainischen Soldaten. „Es sind jetzt nur noch Männer – nur noch Fleisch“. Russland spart sich offenbar das schwere Kampfgerät, das teilweise unwiderruflich zerstört wurde, hat aber trotzdem die bessere Position gegenüber der Ukraine: An Soldatennachschub – Männer aus armen Regionen, die lukrative Verträge mit dem Militär unterschreiben – scheint es nämlich nicht zu mangeln. Die werden bei größeren Attacken auf Motorrädern in den Kampf geschickt. Einmal kamen den Schilderungen nach 112 Bikes mit jeweils zwei Soldaten angefahren, doch „nicht mal zehn dieser 224 Russen haben überlebt.“
Die von den Motorrädern ausgehende Gefahr scheint also gering zu sein, dafür aber haben die Ukrainer ein anderes Problem: ukrainische Zivilisten, die russischen Soldaten Unterschlupf gewähren.
Zivilisten helfen der russischen Armee
„Prorussische Zivilisten, die den Feind unterstützen, sind in diesen Dörfern an der Front ein großes Problem“, schreibt Neil Hauer. Wer hier noch nicht geflohen sei, helfe der russischen Armee. Der ukrainische Kommandeur berichtete von einem Fall, wo russische Soldaten in einem Wohnhaus westlich der ukrainischen Stellung „herzlich willkommen geheißen wurden“. Damit habe plötzlich die Gefahr aus einer neuen Richtung gedroht. Es bleibt aber unklar, ob die Kollaboration tatsächlich in jedem Fall freiwillig geschieht.
Russen tarnen sich als Zivilisten
Doch die russischen Soldaten kollaborieren offenbar nicht nur mit Zivilisten, sondern kleiden sich auch wie diese. „Es ist ganz normal, ein oder zwei russische Soldaten zu sehen, die alltäglich gekleidet sind und einfach nur herumspazieren“, heißt es in Hauers Bericht. Es habe sogar Hinterhalte von russischen Soldaten gegeben, die wie Zivilisten ausgesehen hätten.
Wie geht es weiter? Der von Hauer interviewte Kommandeur rechnet für diesen Herbst nicht mit einer großen feindlichen Offensive: Die russischen Angreifer „tun bereits alles, was sie können“.
Wobei auch die Witterungsbedingungen eine Rolle spielen dürften. Im Herbst kann der Boden in der Ukraine schlammig sein, was ein Vorrücken behindert. Außerdem kann man sich nicht mehr so gut unter den dann entlaubten Bäumen vor Drohnen verstecken. Im Winter bei gefrorenen Böden hingegen rückt es sich wieder einfacher vor.
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