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Wie hier im Kanton Obwalden werden Schweizerdeutsche Dialekte gesprochen, die selbst Deutschsprachige nicht verstehen.

© Imago/MANUEL GEISSER

Schweizer Sprachenstreit: Watschen für das Schwyzerdütsch

Die Vielzahl alemannischer Dialekte sind für Menschen aus der französischen und der italienischen Schweiz unverständlich. Das Parlament musste jetzt ein Machtwort sprechen.

Von Jan Dirk Herbermann

Es war eine Entscheidung des Parlaments in Bern, die viele Verfechter der Schweizer Dialekte verärgerte. Die große Kammer, der Nationalrat, schmetterte einen Antrag des Abgeordneten Lukas Reimann von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei ab. Mit überwältigender Mehrheit. 

Reimann wollte erreichen, dass sich Abgeordnete aus der Deutschschweiz in den Sitzungen in ihrem Dialekt äußern dürfen. „Dialekte prägen den Charakter und sind Symbol der Schweiz. Nichts drückt besser die Vielfalt unseres Landes aus“, hatte Reimann geworben.

Die meisten Nationalräte ahnten jedoch, was ein „Ja“ zu dem Ansinnen bedeutet hätte: Die Verständigung im Parlament der ohnehin vielsprachigen Schweiz hätte weiter gelitten.

Bereits vier offizielle Landessprachen

Kaum ein Parlamentarier aus der französischsprachigen Romandie oder dem italienischsprachigen Tessin versteht eine der Ausprägungen des Schweizerdeutschen, wie sie die Menschen in St. Gallen, Zürich oder im Wallis verwenden.

Nach der Entscheidung vom Mai müssen die Nationalräte im offiziellen Austausch weiter eine der vier Landessprachen, Deutsch, Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch benutzen – auch der Antragsteller Reimann.

Dialekte prägen den Charakter und sind Symbol der Schweiz. Nichts drückt besser die Vielfalt unseres Landes aus.

Lukas Reimann, Abgeordneter der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei

Das Machtwort der Abgeordneten beendete vorerst die Debatte über Dialekt und Mundart im Nationalrat. In anderen politischen Institutionen, großen Firmen und im gesellschaftlichen Leben Helvetiens bleiben die Dialekte der Deutschschweiz ein Dauerthema.

Bei Debatten im Nationalrat, der im Bundeshaus tagt, ist Schwytzerdütsch nicht zugelassen.
Bei Debatten im Nationalrat, der im Bundeshaus tagt, ist Schwytzerdütsch nicht zugelassen.

© imago images/Andreas Haas

Die Dialekte einigen zwar diejenigen Gruppen, die sie in ihren Regionen benutzen. Sie verfestigen aber die Sprachbarrieren in der Schweiz. Eine einzige allgemein anerkannte lingua franca gibt es in dem Land mit knapp neun Millionen Einwohnern nicht.

Für gut 62 Prozent der Bevölkerung ist laut Regierung „Deutsch“ die Hauptsprache: „In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um ein Gemisch alemannischer Dialekte, die unter dem Begriff Schweizerdeutsch zusammengefasst werden“, konkretisiert die Regierung.

Auf dem zweiten Platz mit knapp 23 Prozent folgt das Französische und dann als Nummer drei das Italienische mit mehr als acht Prozent. In Rätoromanisch verständigen sich nur ein halbes Prozent der Eidgenossen. Der Rest entfällt auf andere Sprachen.

Latein gilt als neutral im Sprachenstreit

Um keine der Sprachgruppen zu bevorzugen oder zu benachteiligen traten die Behörden in der Vergangenheit sogar die Flucht ins Latein an. So prangt auf Schweizer Autos das CH (Confoederatio Helvetica) als Landeskennzeichen. Ebenso dient das Englische zunehmend als Sprachbrücke zwischen Helvetiens Landesteilen.

62
Prozent der Bevölkerung spricht laut der Regierung „Deutsch“ als Hauptsprache

„Eine ähnlich starke Stellung haben Dialekte in Europa sonst fast nirgendwo mehr“, erläutert Christoph Landolt, Chefredakteur des Wörterbuchs der schweizerdeutschen Sprache Idiotikon, gegenüber dem Tagesspiegel.

„Das liegt letztlich daran, dass die Mundart hierzulande die gesprochene Alltagssprache geblieben ist, wogegen sie sonst fast überall vor der schriftsprachbasierten Umgangssprache zurückgewichen ist.“

Eine ähnlich starke Stellung haben Dialekte in Europa sonst fast nirgendwo mehr.

Christoph Landolt, Chefredakteur des Wörterbuchs der schweizerdeutschen Sprache Idiotikon

Die meisten französisch- oder italienischsprachigen Schweizer sehen sich ob der Deutschschweizer Dialekte mit einem fast unlösbaren Problem konfrontiert.

Sie lernen in Genf oder Lugano in der Schule Hochdeutsch, eine Sprache, die ihnen ohnehin als hartes, unnahbares Idiom gilt. Sobald die meisten französisch- oder italienischsprachigen Schweizer dann aber in die Deutschschweiz kommen, verstehen sie kein Wort mehr.

Denn die Deutschschweizer sprechen untereinander eben nicht Hochdeutsch sondern ihren regionalen Dialekt. „Da wir in fast jeder Situation Dialekt sprechen, ist für uns der Dialekt schlicht Normalität“ sagt Chefredakteur Landolt. „Vor zweihundert Jahren war die Situation in Deutschland nicht grundsätzlich anders als heute in der Deutschschweiz.“

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