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„Setz bloß nicht auf Kushner!“: Wie groß ist Jermaks Rolle am bisherigen Scheitern eines Friedens in der Ukraine?
Bis Andrij Jermak zurücktrat, war er Verhandlungsführer bei Friedensgesprächen. Nun geben Ex-Außenminister Kuleba und eine ehemalige Mitarbeiterin Einblicke in Jermaks Wirken – und seine Blockaden.
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Bis vor wenigen Tagen war Andrij Jermak noch Leiter des ukrainischen Präsidialamtes. Am 28. November ist der enge Vertraute von Präsident Wolodymyr Selenskyj und bisherige Verhandlungsführer bei Friedensgesprächen von seinem Posten zurückgetreten, nachdem Ermittler der Anti-Korruptionsbehörde seine Wohnung durchsucht hatten. Die Ukraine wird seit Wochen von einem Korruptionsskandal erschüttert, der bis in die Staatsführung reicht.
Jüngst veröffentlichte Berichte von ehemaligen Mitarbeitern aus dem Kiewer Regierungsapparat legen nun nahe, dass Jermak einen negativen Einfluss auf Selenskyj sowie auf Entwicklungen im Ukrainekrieg gehabt haben könnte.
Jermak soll Kuleba geraten haben: „Setz bloß nicht auf Kushner!“
Wie bekannt wurde, soll Jermak den damaligen Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba, vor dem erneuten Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump dazu gedrängt haben, den Kontakt zum US-Republikaner Jared Kushner nicht weiter auszubauen. Wie Kuleba in einem am Montag veröffentlichten Interview mit Svitlana Paveletska berichtet, habe Jermak die Ermahnung Anfang 2024 und damit unmittelbar vor Trumps Wiederwahl ausgesprochen. Kushner, zu dem die Verbindung gekappt wurde, ist pikanterweise nicht nur Trumps Schwiegersohn, sondern gilt heute auch als Schlüsselfigur bei den US-Friedensverhandlungen im Ukrainekrieg.
Kushner hätte eine deutlich pro-ukrainische Position eingenommen.
Dmytro Kuleba, ehemaliger Außenminister der Ukraine
Kuleba berichtet in dem Interview, dass er Kushner Anfang 2024 bei einer Veranstaltung kennengelernt habe. Demnach habe eine niederländische Person, die ebenfalls anwesend war, die beiden miteinander bekannt gemacht. Kuleba führt aus: „Im Frühjahr 2024 stellte mich eine Person, die sowohl ihm als auch mir nahestand, Kushner vor. Er brachte uns bei einer geschlossenen Veranstaltung buchstäblich zusammen. Wir beide tauschten dann unsere Kontaktdaten aus. Das war noch bevor Trump Präsident wurde.“

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Nach seiner Rückkehr nach Kiew habe der ehemalige Außenminister der Ukraine der Administration berichtet, dass es eine neue Verbindung zur US-Seite gebe. Man könne diesen Kontakt nun vertiefen, der freundlich, aufgeschlossen und kommunikationsbereit sei. Als Reaktion habe sich Kuleba dann aber einen „Monolog“ darüber anhören müssen, dass er „nichts von den Verhältnissen in den USA verstehe.“
Auf Nachfrage von Paveletska, wer das gesagt habe, antwortet Kuleba: „Nun ja, vom ehemaligen Büroleiter des Präsidenten.“ Jermak habe Kuleba damals vorgeworfen, dass er die offensichtlichen Tatsachen nicht kenne. „Kushner ist nicht mehr im Geschäft. Setz bloß nicht auf Kushner“, soll der ehemalige Büroleiter gesagt haben. Stattdessen solle Kuleba „lieber auf Mike Pompeo setzen“. Auch Jermak selbst habe demnach auf den US-Amerikaner gebaut, der während Trumps erster Amtszeit von 2018 bis 2021 Außenminister der Vereinigten Staaten war. Jermak soll demnach gesagt haben: „Ich werde über Pompeo eine Kommunikation mit den Trump-Anhängern aufbauen.“
Kuleba: Ukraine hat Chance verpasst
Kuleba resümiert: „Und das wars dann. Der Präsident unterstützte daraufhin Andrij [Jermak – Anm. d. Red.].“ Daraufhin habe er „kein Mandat erhalten, um einige, möglicherweise sinnvolle Gespräche mit Kushner fortzusetzen. Und nun sind eineinhalb Jahre vergangen und Kushner ist zur Schlüsselfigur, zum wichtigsten Verhandlungspartner geworden.“ Den Schwiegersohn Trumps beschreibt der ehemalige Außenminister als eine Person, die möglicherweise „eine deutlich pro-ukrainische Position eingenommen hätte“. Kuleba fasst zusammen: „Wir haben diese Chance aufgrund interner, zerstörerischer Intrigen innerhalb unseres Landes verpasst.“
Selenskyjs Ex-Pressesprecherin: „Jermak ist gefährlich“
Auch Selenskyjs ehemalige Pressesprecherin (2019 bis 2021) und Vertraute Julija Mendel äußerte sich jüngst negativ über ihren damaligen Chef Andrij Jermak. In einem Interview mit dem russischen Sender „Radio Svoboda“ beschreibt sie das mitunter schwierige Arbeitsverhältnis zu Jermak. Demnach sei Selenskyjs ehemaliger Bürochef vornehmlich daran interessiert gewesen, seinen eigenen Einflussbereich auszubauen.
Er war es, der Selenskyj damals davon überzeugt hat, dass es keine großangelegte Invasion geben wird.
Julija Mendel, ehemalige Pressesprecherin Selenskyjs
„Im Jahr 2019 sprach Jermak bei einem US-Aufenthalt mit einem dortigen politischen Berater und fragte ihn nach Möglichkeiten, wie er selbst Präsident seines eigenen Landes werden könnte“, so Mendel. Seither baue er kontinuierlich sein eigenes Machtnetzwerk auf. Die seit Juli 2021 als freiberufliche Präsidialamtsberaterin tätige berichtete außerdem von politischen Seilschaften unter Jermaks Führung. „Sein wir ehrlich. Er war damals quasi die Hauptpersonalabteilung. Viele Menschen, die heute an der Macht sind, sind seine loyalen Anhänger und haben ihre Karriere ihm zu verdanken.“
Weiterhin habe Jermak seinem engen Vertrauten Selenskyj nachhaltig geschadet, indem er ihn „sehr oft in die Irre führte“. So soll der ehemalige Büroleiter seinem Präsidenten Informationen und Berichte stets so präsentiert haben, wie es Jermak gerade passte. „Viele Beamte erhielten von Jermak wiederholt Telefonanrufe, in denen sie dazu aufgefordert wurden, von Selenskyj angefragte Aufgaben nicht auszuführen.“ Derlei Anrufe habe sie selbst erhalten. „Jermak fungiert als eine Art Filter für die Entscheidungen des Präsidenten. Er entscheidet, was letztlich umgesetzt wird und was nicht.“
Jermaks Rolle im seit Februar 2022 andauernden Ukrainekrieg bezeichnet Mendel im Interview als „gefährlich“. Die ehemalige Pressesprecherin schmerze es, „dass wir alle vergessen haben, dass Jermak auch schon vor 2022 der Hauptverhandlungsführer mit Russland war und er es war, der Selenskyj davon überzeugt hat, dass es keine großangelegte Invasion geben wird.“ Mendekl beruft sich dabei auf eigene Erlebnisse und Berichte von Mitarbeitern aus dem Regierungsapparat.
„Viele Versuche, das Land auf den Krieg vorzubereiten, wurden damals blockiert, weil Jermak erklärte, es werde keinen Krieg geben“, so die Ukrainerin. „Wenn wir von Andrij Jermak sprechen, dann war er wohl die gefährlichste Person im damaligen Machtgefüge und ist es bis heute“, resümiert Mendel und fügt an: „Und ich glaube, er wird alles daransetzen, zurückzukehren.“
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