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Sozialistische Regierung mit nur 3 Prozent abgestraft: Oppositionskandidaten in Bolivien müssen in Stichwahl um Präsidentenamt
Fast acht Millionen Menschen waren zur Wahl in Bolivien aufgerufen. Sie verlangen unverkennbar einen politischen Kurswechsel. Das südamerikanische Land steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise.
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In Bolivien wird laut vorläufigen Ergebnissen eine Stichwahl über die künftige Staatsführung entscheiden. Keiner der Bewerber erreichte im ersten Durchgang die erforderliche Mehrheit von mehr als 40 Prozent der Stimmen mit einem Vorsprung von zehn Prozentpunkten, wie die Wahlbehörde nach Auszählung von etwa 95,5 Prozent der Stimmen mitteilte.
Senator Rodrigo Paz Pereira von der christlich-demokratischen Partei „Partido Demócrata Cristiano“ (PDC), die der politischen Mitte zugerechnet wird, landete mit 32 Prozent vor dem Ex-Präsidenten Jorge Quiroga „Tuto“ von der rechtsgerichteten Partei „Libertad y Democracia“ (Freiheit und Demokratie), der auf 27 Prozent kam.
Eduardo del Castillo von der Regierungspartei „Movimiento al Socialismo“ (MAS; „Bewegung zum Sozialismus“) wurde mit 3 Prozent abgestraft. Damit steht in dem südamerikanischen Land nach fast zwei Jahrzehnten linker Regierungen ein politischer Richtungswechsel bevor.
Die beiden konservativen Politiker Paz und Quiroga treffen in der Stichwahl am 19. Oktober aufeinander. Dabei kann Paz bereits auf wichtige Unterstützung zählen. Der Geschäftsmann Samuel Doria Medina von der Mitte-Rechts-Koalition Alianza Unidad, die 20 Prozent erhalten hatte, kündigte die Unterstützung von Paz an.
Am Rande der Abstimmung kam es zu Zwischenfällen. Der linke Kandidat Andrónico Rodríguez wurde nach seiner Stimmabgabe von mutmaßlichen MAS-Anhängern des Ex-Präsidenten Evo Morales mit Steinen attackiert.
Wenige Stunden zuvor war am selben Ort die Detonation eines Sprengsatzes gemeldet worden. Berichte über Verletzte gibt es nicht. Neben der Präsidentenwahl wurde auch ein neues Parlament bestimmt.
Fast acht Millionen Menschen waren zu den Wahlen aufgerufen. Ergebnisse für die Kongresswahlen, in denen die 166 Mitglieder beider Parlamentskammern bestimmt werden, liegen noch nicht vor.
Bolivien steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise
Überschattet wurden die Wahlen von der höchsten Inflation seit vier Jahrzehnten, die für die Wähler das bestimmende Thema war. Die Teuerung hat sich seit Jahresbeginn auf 23 Prozent verdoppelt. Zudem sind Treibstoff und Dollar knapp geworden, fehlende Medikamente prägen den Alltag.

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Die linke Regierung setzte stark auf Subventionen, vor allem für Treibstoffe, was den Staatshaushalt belastete. Zudem gehört Bolivien zu den ärmsten Ländern Südamerikas, besonders betroffen sind ländliche und indigene Regionen.
Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist hoch, und wegen der schlechten Wirtschaftslage kommt es immer wieder zu Protesten. Rund 12 Millionen Menschen leben in dem Binnenstaat, der etwa dreimal so groß wie Deutschland ist.
Beide Stichkandidaten versprechen politischen Wandel
Die beiden führenden Kandidaten versprechen einen deutlichen Kurswechsel. Rodrigo Paz Pereira, Sohn des früheren Präsidenten Jaime Paz Zamora (1989–1993), will die politische Tradition seiner Familie fortsetzen und die Wirtschaft öffnen.

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Der Ökonom setzt auf institutionelle Reformen und ein moderates Modernisierungsprogramm, das ausländische Investitionen erleichtern soll. Durch ein „50-50-Wirtschaftsmodell“ soll die Zentralregierung nur noch die Hälfte der öffentlichen Mittel verwalten.
Quiroga, der 2001 bis 2002 kurz Präsident war, tritt mit einem wirtschaftsliberalen Kurs an. Der Wirtschaftsingenieur kündigte einen „radikalen Wandel“ an, um „20 verlorene Jahre“ unter der MAS-Herrschaft umzukehren.

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Er will den defizitären Staatssektor verkleinern, selektive Privatisierungen umsetzen und Treibstoffsubventionen schrittweise reduzieren. Zudem zeigt er sich offen für eine Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie eine Abkehr von den Bündnissen mit Venezuela, Kuba und Nicaragua.
Bolivien verfügt über weltweit größte Lithiumreserven
Der sich abzeichnende politische Richtungswechsel zieht auch international Aufmerksamkeit auf sich: Das südamerikanische Land verfügt über die weltweit größten Lithiumreserven. Lithium ist ein zentraler Rohstoff für E-Autos und Batterien. Für die globale Energiewende spielt es deswegen eine wichtige Rolle.
Die bolivianische Politik war lange vom Machtkampf zwischen Ex-Präsident Evo Morales und dem scheidenden Staatschef Luis Arce des linken MAS geprägt – beide traten aus unterschiedlichen Gründen nicht an.
Arce zog sich vor der Wahl wegen sinkender Beliebtheit zurück. Morales durfte wegen der verfassungsrechtlichen Amtszeitbegrenzung nicht mehr antreten.
Zudem sieht er sich einem Haftbefehl wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen ausgesetzt und hält sich deswegen seit Monaten in seiner Hochburg in Cochabamba auf, wo ihn Anhänger schützen. (dpa, Reuters)
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