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Schafft es Erdogan, sich eine weitere Amszeit zu sichern?

© Bearbeitung: Tagesspiegel/AFP

Stichwahl in der Türkei am Sonntag: Ist Erdoğan der sichere Sieger?

Am Sonntag, den 28. Mai, geht es im Rennen um die türkische Präsidentschaft in die Stichwahl. Amtsinhaber Erdoğan tritt gegen seinen Herausforderer Kılıçdaroğlu an. Hat die Opposition noch eine Chance?

Erstmalig in der Geschichte der Türkei findet eine Präsidentschaftsstichwahl statt. Sowohl Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan als auch sein Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu haben ihre Wahlkampfreden für die zweite Runde angepasst. Kılıçdaroğlu hat sich darauf verlegt, nationalistische Themen in den Vordergrund zu stellen. Erdoğan preist dagegen seine Errungenschaften an und fordert seine Gegner auf, ihn zu unterstützen.

Erdoğan scheint derzeit die Oberhand zu haben. Sicher ist ihm sein Sieg natürlich nicht. In den Umfragen sieht es jedoch danach aus, dass er die größeren Chancen hat, den Wahlsieg davonzutragen. Kılıçdaroğlu bleibt jedoch ein harter Konkurrent. Erdoğan kann ihn nicht ignorieren – auch nicht, wenn er für eine weitere Amtszeit gewählt wird. Um eine erfolgreiche Koalition zu bilden, könnte sich Erdoğan Kılıçdaroğlus Kampagne sogar zunutze machen und die extreme Rechte, der er Zugeständnisse gemacht hat, in die Schranken verweisen.


Obwohl sich Präsident Erdoğan zum ersten Mal einer Stichwahl stellen muss, war schnell das Narrativ im Umlauf, dass er jetzt umso höher gewinnen wird. Das Oppositionsbündnis hatte nach der ersten Runde Schwierigkeiten, die Wähler zu mobilisieren. Bereits am Wahlabend machte sich ein gesellschaftliches Ohnmachtsgefühl breit. Die Regierung setzt immer wieder auf die Strategie der systematischen Demoralisierung der Opposition: Sie dominiert die mediale Berichterstattung, unternimmt Einschüchterungsversuche durch Festnahmen, nutzt Unregelmäßigkeiten bei Stimmabgaben, um nur einige Beispiele zu nennen.

Das Oppositionsbündnis hat nun auf einen anti-migrantischen und anti-kurdischen Diskurs gesetzt, um sich deutlicher als der Hüter der türkischen Nation zu stilisieren. Die linke Wählerschaft wird Kılıçdaroğlu trotzdem wählen. Denn die Opposition vereint der sehnliche Wunsch, die Konzentration der Entscheidungsgewalt bei einer Person zu beenden. Ob ihr das gelingen kann, wird erst der Sonntagabend zeigen.


Sicher ist natürlich nichts. Aber Erdoğans Chancen stehen derzeit am besten. Die Frage ist weniger, ob er gewinnt oder verliert, sondern eher, mit welchem Vorsprung. Denn das wird sich unmittelbar auf die Politik und die Zukunft der Opposition auswirken. Die Höhe der Niederlage der Opposition wird darüber entscheiden, wie es mit ihrer Führung weitergeht. Darüber, ob sie unmittelbar nach der Wahl wechseln muss, oder ob sie sich bis zu den Kommunalwahlen, die in neun Monaten stattfinden werden, im Amt halten kann.

Eine Tragödie dieser Wahl ist, dass die rechtsextreme nationalistische Partei im Grunde genommen jetzt das Narrativ dominiert – sowohl das der Regierungskoalition als auch das der Oppositionskoalition. Die Tatsache, dass ein rechtsextremes, nationalistisches, flüchtlingsfeindliches Narrativ so viel Einfluss gewonnen hat, ist sehr besorgniserregend für die Zukunft der türkischen Politik. Es bedeutet, dass unabhängig davon, wer die Wahlen gewinnt, die Aussichten auf Reformen geringer sein werden.

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