
© The Shinano Mainichi Shimbun Newspaper Inc.
Süßigkeiten gegen das Zeitungssterben: Warum ein japanischer Verlag jetzt Insektenschokolade verkauft
„Shinmai Shimbun“ gehört zu den ältesten Zeitungen Japans, schrumpft aber seit Jahren. Um sein Fortbestehen zu sichern, produziert der Verlag seit Kurzem auch Schokolade – mit Insektenstückchen.
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Dass der Trend bei seinem Arbeitgeber nach unten zeigt, will Tsuyoshi Kikuchi nicht verheimlichen. „Wir haben im Moment eine Auflage von 400.000 Exemplaren pro Tag. In den 1990er Jahren war es mal eine halbe Million.“
Man sei zwar noch profitabel, sagt der Zeitungsmanager. „Aber wenn sich die Entwicklungen fortsetzen, werden wir in ungefähr zehn Jahren nur noch bei 300.000 Exemplaren liegen. Und dann würde es für uns brenzlig werden.“ Dennoch sei er optimistisch.
Seine Zuversicht begründe sich nicht nur in dem großen Namen seines Arbeitgebers, sagt Tsuyoshi Kikuchi. Er arbeitet für „Shinano Mainichi Shimbun“, eine der ältesten Zeitungen Japans. Die werde die vielfältigen Herausforderungen schon irgendwie überstehen, hofft Kikuchi.
Obwohl „Shinmai Shimbun“, wie sie in Japan häufiger genannt wird, eine Regionalzeitung ist, gehört sie zu den bekanntesten des Landes. In ihrem Verbreitungsgebiet im zentraljapanischen Nagano hat sie beinahe eine Monopolstellung. Jenseits ihrer historischen Marktmacht hat sich „Shinmai Shimbun“ über die vergangenen Monate aber vor allem damit einen Namen gemacht, dass sie für die Zukunft vorsorgt – und zwar auf eine höchst ungewöhnliche Art.
Kreative Strategie zur Rettung des Verlags
Tsuyoshi Kikuchi ist ein höflicher Herr im schwarzen Anzug, der viel lächelt. Bei seinem Plan für die Zukunft von „Shinmai Shimbun“ verweist er auf einen Patissier namens Tetsuo Ota – mit dem Kommentar: „Herr Ota hat unsere Insektenschokolade entworfen. Sie schmeckt wirklich köstlich.“

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In Japan berichten Zeitungen und TV-Sender seit Monaten immer wieder über dieses Vorgehen, das auf mehreren Ebenen beachtlich ist. Warum gehören Insekten in eine Schokolade? Und warum sollte ausgerechnet eine Zeitung so etwas herstellen und verkaufen?
Tetsuo Ota aber, ein wohlgenährter Herr aus der Region, hält das alles für nicht so überraschend. In der Stadt Karuizawa nahe Nagano führt er schon länger ein angesehenes Restaurant, das seit vergangenem Jahr auch mit einem Showroom für die neue Schokolade ausgestattet ist.
„Unsere Schokolade verkauft sich bisher sehr erfolgreich. Die Leute hier sind an neuen Sachen immer interessiert“, sagt der Patissier. „Wobei unsere Insektenschokolade ja eigentlich gar nicht neu ist.“
In Japan essen wir viel zu viel Thunfisch. Und in 20 Jahren wird es womöglich kaum noch Rindfleisch geben.
Tetsuo Ota, Patissier und Entwerfer der Insektenschokolade
Denn hier in der Region habe das Insektenessen eigentlich eine lange Tradition, die aber in der Nachkriegszeit, als sich die Wirtschaft industrialisierte und die Essenskultur globalisierte, an Popularität einbüßte.
Tetsuo Ota ist in der Region groß geworden. Als Heranwachsender war sein Hobby, Insekten zu fangen und diese auch kulinarisch zuzubereiten. Jetzt will er diese Tradition wiederbeleben. Für Ota ist das Ganze kein Scherz, sondern Teil einer Vision. „Wir erleben doch gerade weltweit eine Ernährungskrise“, sagt er mit ernster Miene.

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„In Japan essen wir viel zu viel Thunfisch. Und in 20 Jahren wird es womöglich kaum noch Rindfleisch geben. Indem wir aber den Menschen Insekten als Proteinbasis anbieten, wollen wir helfen, dieses Problem zu lösen.“ Und er sei froh, dass er als Investor eine namhafte Zeitung hinter sich wisse.
Dabei stellt sich die Frage, welches Problem hier eigentlich gelöst werden soll: Das der globalen Ernährung, über das eine Zeitung sonst eher informiert, als selbst einzugreifen? Oder das der Zeitung selbst? Wie in den meisten Industriegesellschaften befindet sich auch in Japan der Printjournalismus seit Jahren in der Krise.
Oder doch lieber Wasserstoff statt Schokolade?
Japanische Zeitungen fallen weltweit zwar dadurch auf, dass die Auflagen noch immer hoch sind. Mit „Yomiuri Shimbun“ und „Asahi Shimbun“ kommen die zwei weltweit auflagenstärksten Zeitungen aus Japan.
Aber wegen der Digitalisierung und der schrumpfenden Bevölkerung lassen auch dort die Zeitungsverkäufe Jahr für Jahr nach. Und Tsuyoshi Kikuchi, der bei „Shinmai Shimbun“ seit eineinhalb Jahren eine Abteilung namens „Erschließung neuer Geschäftsfelder“ anführt, kam auf diese Idee mit der Schokolade.
Wenn er davon erzählt, muss er lachen: „Die Schokolade ist natürlich was ganz anderes als eine Zeitung. Zuerst hatten wir sogar überlegt, in die Produktion von Wasserstoff einzusteigen.“ Aber wegen der Insekten als Zutat stehe die Schokolade auf besondere Weise für die lokale Identität der Region, aus der „Shinmai Shimbun“ stammt.
„Die Schokolade wollen wir jetzt erst mal im ganzen Land verkaufen. Und dann vielleicht auch weltweit.“ Was außerhalb Japans wie ein seltsamer Ausflug in fremde Geschäftsfelder klingen mag, ist in dem ostasiatischen Land gar nicht so ungewöhnlich.
Berührungsängste mit Sektoren, die mit dem Kerngeschäft wenig zu tun haben, gibt es bei „Shinmai Shimbun“ kaum. Der Verlag entspricht damit einem Trend japanischer Unternehmen. Um ihr Überleben zu sichern, sind Traditionsbetriebe immer wieder in ganz neue Felder vorgestoßen. So begann der Videospielanbieter Nintendo 1889 mit Spielkarten aus Papier. Der Telefonie- und Robotikgigant Softbank schuldet seinen Namen den Anfängen als Software-Händler.
Zeitung oder Patisserie?
Und auch für Zeitungen sind Investitionen fernab des Journalismus nicht untypisch: „Kobe Shimbun“ macht Bio-Sake, einen Reisschnaps. „Nishi Nippon Shimbun“ aus Fukuoka stellt auch Tofu her.
Diese Zeitungen seien für die neue Strategie von „Shinmai Shimbun“ ein Vorbild gewesen, sagt Tsuyoshi Kikuchi: „Sie haben Erfolg, verdienen damit Geld. Und das wollte ich nachmachen.“ Nach fünf bis zehn Jahren wolle das Shinmai Shimbun auch mit der Schokolade Profit machen. „Noch sind wir aber sehr klein.“

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Der Schokoladenmacher Tetsuo Ota hofft auf die PR-Kapazitäten der Zeitung. „Das ist ja das, worin die Zeitung gut ist“, merkt der Patissier an, als er durch seinen Showroom führt, dessen verschiedene Insektenprodukte auch durch eine edle Aufmachung auffallen.
Der Zeitungsmanager Tsuyoshi Kikuchi hört das und gibt zu bedenken, dass das offensive Werben nicht so einfach sei: „Es gibt ja noch die grundsätzliche Trennung von Anzeigengeschäft und Redaktion.“

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Sollte das Geschäft mit Insektenschokolade richtig groß werden, stünde „Shinmai Shimbun“ zusehends vor der Frage, ob man eher Zeitung ist oder eher Patisserie. Und inwieweit man langfristig, auch bei strikter Trennung der Geschäftsbereiche, wirklich beides sein kann.
Zunächst habe man sich darauf verständigt, in der eigenen Zeitung die Schokolade nicht zu bewerben. Und tatsächlich scheint sich die Sache auch ohne Werbeanzeigen herumzusprechen. Nämlich als eine Art Delikatesse.
Insekten sind leider teuer, weil sie nur per Hand gefangen werden.
Tetsuo Ota, Patissier und Entwerfer der Insektenschokolade
„Insekten sind proteinreich und vielseitig genießbar“, sagt Tetsuo Ota. „Sie sind aber leider teuer, weil sie nur per Hand gefangen werden.“ Eine Tafel Grashüpferschokolade kostet 2500 Yen (rund 17 Euro).
Da die japanische Gesellschaft kulinarischen Innovationen gegenüber aufgeschlossen ist, muss dies allerdings kein Hindernis sein. Als im April des vergangenen Jahres die ersten 130 Schokoladentafeln auf den Markt kamen, waren sie in einer Woche ausverkauft.
Inklusive weiterer Produkte – Cookies mit Bienenlarven und fermentierter Butter, Baisers mit dem Puder der Seidenraupe oder eine Gewürzmischung auf Basis mehrerer Insekten – hat die Kooperation bisher rund zwei Millionen Yen eingebracht.
Der Patissier Tetsuo Ota und der Zeitungsmanager Tsuyoshi Kikuchi sind sich sicher: In der Schokolade liegt die Zukunft – sofern sie ein paar ausgewählte Insekten enthält.
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