
© ZDF und Markus Hertrich/MARKUS HERTRICH
TV-Kritik „Markus Lanz“: „Trump schafft sich einen Aufstand“
Bei „Lanz“ geht es chaotisch zu. Dank geballter US-Expertise lässt sich trotzdem viel lernen über das Spiel von Präsident Donald Trump mit dem Feuer. Ex-SPD-Chef Martin Schulz ärgert sich über einen Journalisten.
Stand:
Es geht drunter und drüber in den USA. Nach den Protesten in Los Angeles droht Präsident Trump mit einem Notstand. Währenddessen hadern viele in Europa mit der Migrationspolitik.
Viel zu besprechen also für die Gäste von Markus Lanz am Dienstagabend im ZDF.
Die Gäste
Es diskutieren der ehemalige SPD-Chef Martin Schulz, der Leiter des Tagesspiegel-Hauptstadtbüros, Daniel Friedrich Sturm, die „Zeit“-Journalistin Alice Bota sowie die Leiter der ZDF-Studios Washington und Brüssel, Elmar Theveßen und Ulf Röller.
Wohin driften die USA?
Ungewohnt nachdenklich, fast selbstkritisch start Markus Lanz in seine Sendung. „Es konnte der Eindruck entstehen, Los Angeles brennt“, setzt der Moderator an. Von Elmar Theveßen, dem ZDF-Studioleiter in Washington, möchte er wissen, inwieweit die Bilder in den Medien die Wahrnehmung der Proteste verzerren.
Los Angeles sei „weit davon entfernt, in Chaos und Gewalt zu versinken“, stellt Theveßen fest. „Die überwältigende Mehrheit der Demonstranten ist absolut friedlich.“ Nur einige wenige nutzten die Situation aus, um gewalttätig zu werden.
Es ist der mit Abstand ergiebigste Teil der Sendung. Weil sich die USA-Kenner im Studio regelrecht tummeln, erfährt der Zuschauer nicht nur Schockierendes aus dem Trump-Land, etwa über Deportationen auf offener Straße, sondern bekommt sogleich den größeren Kontext mitgeliefert.
Dem US-Präsidenten gelinge gerade politisch nicht sehr viel, deshalb nutze er die Proteste aus, sagt Ulf Röller, ZDF-Studioleiter in Brüssel. „Durch die martialischen Bilder, die er jetzt produziert, schafft er sich einen Aufstand.“
Das sei schon länger Trumps Strategie, erklärt der Leiter des Tagesspiegel-Hauptstadtbüros und ehemalige US-Korrespondent, Daniel Friedrich Sturm. Bereits bei den Protesten nach dem Tod von George Floyd habe Trump Bundestruppen eingesetzt, um mit Bildern von gewaltsamen Zusammenstößen von seiner fatalen Coronapolitik abzulenken.
„Er suchte natürlich auch ein Feindbild“, sagt Sturm. Das falle Trump auch diesmal nicht schwer: „Wenn man Gewalttäter sieht, die die mexikanische Flagge vor sich hertragen, das hilft natürlich Trump und dem Narrativ.“
Wie weit geht Trump?
Martin Schulz, Ex-SPD-Chef und leidenschaftlicher Außenpolitiker, reiht die negativen Adjektive nur so aneinander, wenn er über den US-Präsidenten spricht. „Trump ist ein würdeloser, respektloser und intoleranter autoritärer Herrscher.“
Umso mehr drängt sich die Frage von Röller auf: „Wo ist der große Marsch nach Los Angeles, angeführt von Barack Obama, mit hunderttausenden Demokraten?“ Es fehlten die Anführer, antwortet Theveßen. Außerdem könnten sich die Demokraten nicht mehr als Verteidiger der Bürgerrechte inszenieren: „Das ist vorbei.“
Sturm richtet einen besorgten Blick in die Zukunft. Bei den Midterm-Wahlen im kommenden Jahr sehe er eine „ganz große Gefahr“, sagt der Journalist. Es könne sein, dass Trump versuche, in demokratisch geführten Großstädten Gewalt anzufachen: „Das ist alles möglich bei diesem Mann.“
Das Unwort der Sendung
Nach einer langen, aber erkenntnisreichen halben Stunde voller Amerika-Analysen wendet sich Lanz den Sorgenkindern der EU zu: Polen und der Migration. Endlich kommt auch die Osteuropa-Expertin der „Zeit“, Alice Bota, ausführlich zu Wort. Sie berichtet vom polnischen Präsidentenwahlkampf und der Bedeutung der Zuwanderung.
Migration sei die „offene Flanke der EU“, konstatiert Bota. „Wie geht man gegen illegale Migration vor, ohne Gesetze zu brechen?“, fragt sie. Fertige Rezepte findet die Runde zwar nicht, aber immerhin werden die Differenzen zwischen den Gästen deutlich, die ansonsten weitgehend ausbleiben.
Während sich der ehemalige Europaparlamentspräsident Martin Schulz als „Befürworter einer scharfen und wirklich radikalen Außengrenzensicherung“ der EU bezeichnet, beklagt Brüssel-Korrespondent Röller fehlende Menschlichkeit. „Alle EU-Regierungschefs wollen eine sehr sehr brutale und restriktive Migrationspolitik, eine hässliche Migrationspolitik, aber man will das nicht so laut sagen.“
Da ist sie endlich, die „Doppelmoral“, das Unwort der Sendung, gefolgt von der „Ehrlichkeit“. Lanz gelingt es, beide Phrasen in einem Satz unterzubringen: „Die Leute“ hätten genug „von dieser Doppelmoral“, behauptet der Moderator. Sie wünschten sich „ein Stückchen mehr Ehrlichkeit“. Prost Mahlzeit.
Schulz hadert mit seinen Karriereentscheidungen
Spätestens ab der Hälfte verläuft die Sendung in so ungeordneten Bahnen, dass es schwierig wird, ihr zu folgen. Lanz springt mit großem Eifer zwischen den Themen, und so ist irgendwann nicht mehr ganz klar, worum es überhaupt geht: Migration oder Meinungsvielfalt, Polen oder Populismus? Viel kommt ohnehin nicht mehr herum.
Als kleine Belohnung fürs Durchhalten hat Lanz zum Abschluss noch ein Schmankerl für eingefleischte Politikfans in petto. Es wird die Szene einer Pressekonferenz aus dem Jahr 2017 eingespielt, in der Daniel Sturm den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz fragt, ob er ausschließt, Minister unter Merkel zu werden. Nach langem Hin und Her antwortet Schulz: „In ein Kabinett von Angela Merkel werde ich nicht eintreten.“
Als das Video vorbei ist, schaut Schulz mit traurigen Augen ins Leere und schweigt. Dass dieser Satz ihn später den Traumjob als Außenminister gekostet hat, gesteht er freimütig ein. Als die SPD schließlich doch in eine Große Koalition unter Merkel eintrat, habe es im SPD-Präsidium geheißen: „Du nicht“, erinnert sich Schulz und wedelt mit dem Zeigefinger. „Das habe ich erst so nicht wahrhaben wollen, und dann war der Außenminister Geschichte.“
Ob sein klares Nein ein Fehler war? Diese Frage umschifft Schulz lieber. Anschließend predigt er Ehrlichkeit in der Politik: „Man muss nicht immer das sagen, was man denkt. Aber auch immer zu verheimlichen, was man fühlt, ist auch falsch.“ Gesagt, getan: „Er nervt mich“, ärgert sich Schulz Jahre später über Sturm. Das will er wohlgemerkt als Kompliment verstanden wissen.
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