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Ein ukrainischer Soldat bei den Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag der Ukraine (Symboldbild).

© AFP/Henry Nicholls

Ukraine-Invasion, Tag 1278: Warum ein russischer Star-Journalist jetzt in der ukrainischen Armee dient

US-Vize JD Vance lobt Kremlchef Wladimir Putin, Vizekanzler Lars Klingbeil verspricht der Ukraine weitere Milliarden – und wie Putins Krieg armen Russen hilft. Der Überblick am Abend.

Stand:

Bis vor einigen Jahren war Peter Ruzawin ein aufstrebender Stern am Himmel der unabhängigen russischen Medienwelt. Mit 18 begann er als Reporter bei TV Rain, später wurde er Moderator. Als Podcaster berichtete er dann über russische Gefängnisse und den Krieg in der Ukraine. Heute, mit 34, ist er Unteroffizier – in ukrainischer Uniform. Er dient in einer Drohneneinheit in Charkiw. „Ich schätze mich glücklich“, sagte er M. Gessen.

Gessen ist russisch-amerikanischer Nationalität und journalistisch unter anderem für die „New York Times“ tätig. Bei einem Besuch in Charkiw trafen sich die beiden, die sich schon früher als Journalisten kannten, und Gessen hat Ruzawins Geschichte eindrucksvoll aufgeschrieben (Quelle hier).

Ruzawin kam erstmals im Sommer 2023 auf die Idee, sich freiwillig zu melden. Damals war er mit seiner Frau, der bekannten ukrainischen Journalistin Natalija Humenjuk, in den Karpaten Wandern. Einige Wochen später erzählte er Gessen von seiner Entscheidung und begründete sie wie folgt: „Was bringt es, noch eine weitere Geschichte über den Krieg zu schreiben?“

„Da ich selbst schon mehrere geschrieben hatte, wusste ich, was er meinte“, schreibt Gessen. Viele andere Journalisten wüssten das auch. Egal, wie sehr man sich auch bemühte, die Geschichten wiederholten sich. „Die Menschen beginnen, sie zu ignorieren oder, wie Susan Sontag einmal schrieb, sie nur zu lesen, um sich selbst zu versichern, dass sie ,nicht mitschuldig sind an dem, was das Leid verursacht‘.“

Da Ruzawin und Humenjuk seit 2017 verheiratet sind, verbrachte Ruzawin schon vor Beginn des russischen Angriffskriegs die meiste Zeit in der Ukraine. Nach Kriegsbeginn war er der einzige russische Journalist, der dauerhaft vor Ort war. Humenjuk startete ein Projekt, das Kriegsverbrechen journalistisch dokumentierte. Beide verbrachten das erste Kriegsjahr damit, durch das Land zu reisen, schreibt Gessen: „Und dann überwältigte Ruzawin das Gefühl der Sinnlosigkeit, Aggression mit Journalismus bekämpfen zu wollen.“

Gessen habe zwar Verständnis dafür empfunden, sei aber auch überrascht gewesen: Ruzawin sei ein außerordentlich talentierter und mutiger Journalist, aber von schmächtigem Körperbau und keineswegs kampferprobt.

Ruzawin habe sich mit der gleichen Frage gequält: „Wer kann einen größeren Beitrag leisten: Ruzawin, der ukrainische Soldat, oder Ruzawin, der russische Journalist?“ Für einen Journalisten sei es schwer, seinen Einfluss zu messen, aber die Armee habe einen sehr einfachen Maßstab: die Anzahl der „Kills“, also der Tötungen, sei es von russischen Soldaten oder deren Waffen. Nach diesem Maßstab habe Ruzawin offenbar ganz gut abgeschnitten. „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Ruzavin, der ukrainische Soldat, einen größeren Beitrag leisten kann“, sagte er Gessen.

Außerdem habe Ruzawin eine einfache Rechnung gemacht: Wladimir Putin werde noch mindestens 15 Jahre an der Macht bleiben, und so lange werde auch der Krieg weitergehen. Krieg ist jetzt das Leben. „Und Ruzawin lebt dieses Leben auf eine Weise, die selbst in den besten Zeiten selten ist: mit dem täglichen Gefühl, genau dort zu sein, wo er sein sollte, und genau das zu tun, was er tun sollte“, schreibt Gessen. „Kein Wunder, dass er sich selbst als glücklich bezeichnet.“

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) hat der Ukraine bei einem Besuch in Kiew die weitere Unterstützung Deutschlands mit Milliardenbeträgen zugesichert. „Wir werden die Ukraine jährlich mit neun Milliarden unterstützen“, sagte er am Montag in der ukrainischen Hauptstadt. Mehr im Newsblog.
  • US-Vize JD Vance hat am Sonntag Kremlchef Wladimir Putin gelobt – und US-Bodentruppen in der Ukraine ausgeschlossen. Zugleich schwindet die Hoffnung auf schnelle Verhandlungen. Mehr hier.
  • Die ukrainischen Streitkräfte haben nach eigenen Angaben erneut Geländegewinne im Donbass erzielt. Zunächst berichtete Armeechef Olexander Syrskyj, dass in der Region Donezk drei von russischen Einheiten besetzte Ortschaften zurückerobert worden seien. Mehr hier.
  • Hunderte Menschen haben in Berlin mit einem Marsch an den Unabhängigkeitstag der Ukraine erinnert. Unter dem Motto „Future Needs Remembrance“ versammelten sich nach Polizeiangaben zunächst rund 1500 Menschen am Breitscheidplatz. Mehr hier.
  • Polens rechtskonservativer Präsident Karol Nawrocki hat mit seinem Veto einen Gesetzentwurf zur Verlängerung der Sozialleistungen für ukrainische Geflüchtete gestoppt. Er sei überzeugt, dass nur diejenigen Flüchtlinge diese Leistungen erhalten sollen, die in Polen Arbeit hätten, begründete Nawrocki seine Entscheidung. Mehr im Newsblog.
  • Die Besatzungsbehörden in Donezk haben die Häfen Mariupol und Berdjansk in die Liste der für ausländische Schiffe geöffneten Häfen aufgenommen. Die Anordnung wurde vom russischen Premierminister Michail Mischustin unterzeichnet, berichtet das Zentrum für Transportstrategien der Ukraine.
  • Im von Russland besetzten Teil des Gebiets Luhansk soll ab 2026 ein neues Schulfach eingeführt werden: die „spirituell-moralische Kultur der Russischen Föderation“. Das kündigte der Leiter der ukrainischen Militärverwaltung von Luhansk, Oleksij Charchenko, während eines Briefings für ukrainische Medien an. 
  • In Russland ist der stellvertretende Gouverneur der an die Ukraine grenzenden Region Kursk festgenommen worden. Wladimir Basarow werde die Veruntreuung von einer Milliarde Rubel (rund 10,6 Millionen Euro) vorgeworfen, die für den Bau von Verteidigungsanlagen bestimmt gewesen seien, meldet die staatliche Nachrichtenagentur Tass.
  • Russland hat bei neuerlichen nächtlichen Drohnenangriffen auf die Ukraine insbesondere die Grenzregion Sumy unter Beschuss genommen. Durch die Attacken sei ein Mensch getötet und neun weitere seien verletzt worden, schrieb der Gouverneur von Sumy, Oleh Hryhorow, bei Telegram.

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