
© REUTERS/Ukrainian Armed Forces/Uncredited
Ukraine-Invasion, Tag 862: Warum der Kampf um Tschassiw Jar strategisch wichtig ist
Zahlreiche Kampfeinheiten der Ukraine sind offenbar unzureichend ausgerüstet. Selenskyj dringt weiter auf mehr Flugabwehrsysteme. Der Nachrichtenüberblick am Abend.
Stand:
Seit Monaten halten die Kämpfe um Tschassiw Jar an, nun mussten die ukrainischen Truppen den östlichen Teil der Kleinstadt aufgeben. Darauf dürfte Kiew mit Sorge blicken, auch wenn der Rückzug aus strategischen Gründen erfolgt sei, wie es hieß. Denn sollte die Stadt an die Russen fallen, würde ihnen das einen strategisch wichtigen Vorteil verschaffen.
Tschassiw Jar liegt auf einer Anhöhe und gilt als Tor zu den Teilen in der Region Donezk, die sich noch in ukrainischer Hand befinden, heißt es etwa in einer Analyse des US-Senders CNN. Von der Stadt aus überblicke man die tiefer gelegenen Gebiete in Richtung der größeren Städte Kramatorsk und Slowjansk und in Richtung der Region Dnipropetrowsk.
Auch sollen sich die russischen Kräfte auf eine strategisch wichtige Straße zubewegen, die Bachmut, das sich in russischer Hand befindet, mit Kostjantyniwka und Pokrowsk verbindet, wie der Sender unter Berufung auf die ukrainische Überwachungsgruppe DeepState schreibt. Diese Straße sei eine wichtige Versorgungslinie für das ukrainische Militär.
„Die Einnahme von Tschassiw Jar würde es den Russen ermöglichen, mehr Drohnen und Artillerie in das Gebiet zu bringen, und es würde ihnen eine vorteilhafte Position verschaffen, um Boden- und Drohnenangriffe auf ukrainische Truppen durchzuführen“, sagte Verteidigungsanalyst Konrad Muzyka CNN.

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Die ukrainische Website „Kyiv Independent“ hatte schon im April über die strategische Bedeutung der Kleinstadt, die vor dem Krieg an die 12.000 Einwohner hatte und nun nur noch ein paar hundert, geschrieben. Damals hatten die Russen Awdijiwka erobert und Tschassiw Jar bereits ins Visier genommen.
Die Einnahme der Stadt, so hieß es in dem Artikel, würde es Russland erleichtern, eine breitere Offensive in der Region Donezk zu starten. Nicht nur, dass man von den Hügeln aus die Region besser überblicken kann, sondern diese dienen auch als natürliche Verteidigungsanlage.
Das ukrainische Militär habe die Kleinstadt als Umgruppierungszentrum und Feuerunterstützungsbasis genutzt. So habe sie eine wichtige Rolle beim Kampf um Bachmut gespielt. Sollte Russland Tschassiw Jar einnehmen, dann erhalte sie auch die Feuerkontrolle über wichtige ukrainische Nachschubwege in der Region – was die letzten ukrainischen Hochburgen in der Region ernsthaft gefährden könnte.
Die wichtigsten Nachrichten im Überblick:
- Zahlreiche Kampfeinheiten der Ukraine sind offenbar unzureichend bewaffnet und ausgerüstet, da sich die Lieferung westlicher Unterstützung verzögert. Das sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag in einem Interview mit „Bloomberg“. „Wir haben 14 Brigaden, die nicht über die Waffen verfügen, die bereits genehmigt wurden“, so Selenskyj. Mehr in unserem Newsblog.
- Im Fall des in Russland inhaftierten Franzosen Laurent Vinatier ist in einem Berufungsverfahren ein Antrag auf Hausarrest abgelehnt worden. Das Gericht in Moskau hielt an einer vorhergegangenen Entscheidung fest, wonach Vinatier mindestens bis zum 5. August in Untersuchungshaft bleiben muss.
- Kremlchef Wladimir Putin hat vor mehreren Staatschefs die Bereitschaft Russlands zu Friedensverhandlungen in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine betont. Beim Gipfel der für Sicherheitsfragen gegründeten Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit sagte Putin, dass Russland stets für eine politisch-diplomatische Lösung des Konflikts eingetreten sei.
- Indiens Ministerpräsident Narendra Modi reist Anfang nächster Woche zu Gesprächen mit Präsident Wladimir Putin nach Russland. Putin und Modi würden bei den Beratungen die Aussichten für den weiteren Ausbau der bilateralen Beziehungen sowie internationale und regionale Fragen erörtern, teilt das russische Präsidialamt mit.
- Lettland hat in dieser Woche wieder mehr versuchte irreguläre Einreisen an seiner Grenze zu Belarus erfasst. Grenzschutz-Chef Guntis Pujats sagte im Fernsehen, es habe es seit Montag 160 solcher Versuche gegeben. Damit seien in diesem Jahr insgesamt 2770 Migranten daran gehindert worden, aus Belarus kommend illegal die grüne EU-Grenze zu überqueren.
- Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mahnt eine weitere Unterstützung der Ukraine durch die Nato an. „Russland wird auf absehbare Zeit die größte Bedrohung für unsere Sicherheit und Freiheit in Europa bleiben“, sagt Baerbock in einer Bundestagsdebatte zum anstehenden Nato-Gipfel kommende Woche in Washington. Der Westen müsse dagegen angehen, um Freiheit und Demokratie zu verteidigen.
- Das autoritär geführte Belarus ist offiziell neues Mitglied der für internationale Sicherheitsfragen gegründeten Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO). Der russische Präsident Wladimir Putin, Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping und andere Staatenführer unterzeichneten beim SCO-Gipfel in Astana die Dokumente zur Aufnahme von Belarus.
- Die Ukraine hat nach eigenen Angaben einen russischen Drohnenangriff in der Nacht weitgehend abgewehrt. Die Luftabwehr habe 21 von 22 Angriffsdrohnen abgeschossen, teilt die Luftwaffe mit. Sie seien über sechs Regionen in der Nord- und Zentralukraine zerstört worden.
- Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dringt weiter auf mehr Flugabwehrsysteme für den Schutz seines Landes. Er verwies dabei auf den jüngsten russischen Raketenangriff auf die Großstadt Dnipro, bei dem fünf Menschen getötet und über 50 weitere verletzt wurden. Dabei seien auch Wohngebäude und ein Krankenhaus beschädigt worden.
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