
© dpa / KIRSTY WIGGLESWORTH
Ukraine-Invasion Tag 881: Die ukrainischen Strafgefangenen, die nun gegen Russland kämpfen
Russisches Parlament verbietet Soldaten Handygebrauch in Kampfgebieten. Ukraine verlängert Kriegsrecht um weitere drei Monate. Der Nachrichtenüberblick am Abend.
Stand:
wegen ihrer Rekrutierungsprobleme hatte die Ukraine damit begonnen, auch Strafgefangene zur Armee zuzulassen und diese somit vorzeitig aus der Haft zu entlassen. Der britische „Guardian“ hat sie in ihrem Ausbildungscamp in der Region Saporischschja besucht (Quelle hier).
Die Reporter trafen dort unter anderem Wolodymyr Prysiazhniuk, der einst zu acht Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt worden war und sich im Rahmen des neuen Gesetzes freiwillig zur Armee meldete. Er ist einer von 3800 Häftlingen, die nun für den Krieg gegen Russland ausgebildet werden. Vergewaltigern, Massenmördern oder Menschen, die Verbrechen gegen die nationale Sicherheit begangen haben, ist dieser Weg aber versperrt.
Für Prysiazhniuk war es, so erklärte er den Journalisten, die richtige Entscheidung: „Die Leute begannen sofort, mich mit Respekt zu behandeln“, sagte er. „Wenn man im Gefängnis sitzt, ist man ein Nichts. Jetzt bin ich wieder ein Mensch.“ Ob er Angst habe vor dem Tod? „Niemand kann vorhersagen, was passieren wird. Man muss hoffen, dass es gut geht.“
Ein anderer ist Wladyslaw Wassyljew, der wegen Diebstahls zu fünf Jahren Haft verurteilt worden war. Drei hat er abgesessen, dann ging er zur Armee. „Ich bin stolz auf mich. Ich spüre ein neues Selbstvertrauen“, sagte er dem „Guardian“. „Wenn ich nicht überlebe, können meine Kinder wenigstens stolz auf mich sein. Ich will sie und mein Land verteidigen.“
Doch nicht alle finden die neue Regelung für Gefangene gut – vor allem nicht Prysiazhniuks Frau. Sie glaubt, dass er nicht aus dem Krieg zurückkommt. Denn die Haftstrafen der neuen Rekruten werden zwar nach einem Jahr getilgt, aber sie müssen auf unbestimmte Zeit weiterkämpfen. Desertieren sie, bekommen sie nochmal fünf bis zehn Jahre auf ihre ursprüngliche Strafe aufgebrummt.
Im Laufe des Sommers sollen die Rekruten an die Front geschickt werden, um als Angriffseinheiten russische Stellungen zu stürmen. Ausbilder Denis Krawtschenko räumt ein, dass es dabei unweigerlich zu Verlusten kommen werde.
Die wichtigsten Nachrichten des Tages im Überblick:
- Nach dem Willen des russischen Parlaments sollen Soldaten, die in Kampfgebieten Handys mit Lokalisierungsfunktionen benutzen, bis zu zehn Tage in Haft genommen werden können. Dies meldet die russische Nachrichtenagentur Tass. Der Gebrauch der Mobiltelefone soll als schweres Disziplinarvergehen eingestuft werden. Mehr in unserem Newsblog.
- Ein Gericht in Moskau hat am Dienstag den russischen Journalisten Michail Sygar in Abwesenheit zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er Falschinformationen über die russische Armee verbreitet haben soll. Die Anklage gegen Sygar geht auf einen Instagram-Beitrag zurück, den er im April 2022 verfasst hatte.
- Neue Sanktionen der Ukraine gegen den russischen Ölkonzern Lukoil sorgen in der EU für Ärger. Die Europäische Kommission teilte in Brüssel mit, dass sie einen Beschwerdebrief der Außenminister Ungarns und der Slowakei erhalten habe. Darin geht es demnach um negative Auswirkungen der Kiewer Entscheidung, den Transport von Lukoil-Öl über ukrainisches Staatsgebiet zu verbieten.
- Russland untersagt im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine 15 weiteren britischen Staatsbürgern die Einreise. Grund dafür seien anti-russische öffentliche Äußerungen oder ihre Rolle bei der Ausbildung oder Bewaffnung der ukrainischen Streitkräfte, teilt das Außenministerium in Moskau mit.
- Russland beschuldigt den deutsch-russischen Anwalt German Moyzhes des Hochverrats. Er habe Russen geholfen, europäische Aufenthaltsgenehmigungen zu bekommen, berichtet die staatliche Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf Justizbehörden. Er befinde sich derzeit in Untersuchungshaft in einem Moskauer Gefängnis.
- Das ukrainische Parlament hat das geltende Kriegsrecht und die Mobilmachung erwartungsgemäß um weitere drei Monate bis Anfang November verlängert. Für die von Präsident Wolodymyr Selenskyj eingebrachten Gesetze stimmte jeweils eine deutliche Mehrheit, meldeten ukrainische Medien unter Berufung auf Parlamentsabgeordnete.
- Russland will juristisch dagegen vorgehen, dass die EU mit Zinsen aus eingefrorenem russischen Vermögen Militärhilfe für die Ukraine finanziert. Kremlsprecher Dmitri Peskow bezeichnete die Pläne als Diebstahl. „Dieses Geld ist nicht nur im Wesentlichen gestohlen, sondern wird auch für den Kauf von Waffen ausgegeben.“
- Derzeit sind „höchstwahrscheinlich mehr als 30.000 Angehörige der russischen Nationalgarde (Rosgvardiya) in der Ukraine stationiert“, teilte der britische Geheimdienst am Montagmorgen auf X mit. Jedoch sei nur ein kleiner Teil der Truppe in Kämpfe an der Front verwickelt, der Großteil der Nationalgardisten „führt mit ziemlicher Sicherheit Sicherheitsoperationen im rückwärtigen Bereich durch“, heißt es dort.
- Durch russische Luftangriffe sind nach ukrainischen Angaben wichtige Infrastruktureinrichtungen in der Region Sumy im Nordosten der Ukraine beschädigt worden. Verletzte habe es nicht gegeben, teilt die Militärverwaltung der Region auf der Messenger-App Telegram mit.
- Russland hat nach eigenen Angaben in der Nacht zu Dienstag erneut 25 ukrainische Drohnen über grenznahen russischen Regionen und der Halbinsel Krim abgefangen. Bei einem Drohnenangriff auf einen Hafen in der südrussischen Stadt Krasnodar kam nach Behördenangaben ein Mensch ums Leben.
- In ihrem Bemühen nach internationaler Unterstützung und Stärkung ihrer Sicherheit bereitet die Ukraine weitere Sicherheitsabkommen mit ihren Unterstützern vor. Ohne konkrete Namen von Staaten zu nennen, sprach Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner allabendlichen Videobotschaft von vier neuen Abkommen.
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