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Ohne eingefrorene russische Vermögen: EU einigt sich auf 90-Milliarden-Kredit für die Ukraine
Die EU hat der Ukraine versprochen, sie bis mindestens Ende 2027 finanziell über Wasser zu halten. Doch die Frage des Wie sorgte für viel böses Blut. Nun gibt es einen Deal.
Stand:
Die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder haben sich im Ringen um die künftige Finanzierung der Ukraine auf einen Kompromiss verständigt. Wie Bundeskanzler Friedrich Merz nach dem EU-Gipfel in Brüssel ankündigte, erhält die Ukraine von der EU einen zinslosen Kredit über 90 Milliarden Euro. Falls Russland für Kriegsschäden keine Entschädigung leistet, sollen in der EU eingefrorene russische Vermögenswerte für die Rückzahlung herangezogen werden.
Rund 17 Stunden bis 2:55 Uhr in der Nacht tagten die EU-Chefs in Brüssel, bis es zu dem Kompromiss kam. Die 90 Milliarden Euro werden finanziert, indem die EU an den Finanzmärkten Anleihen ausgibt. Die Zinsen dafür werden aus dem EU-Haushalt beglichen.
Das Geld reicht Merz zufolge aus, um den militärischen Bedarf und den Bedarf beim Haushalt der Ukraine für die nächsten zwei Jahre zu decken. „Dieses Signal ist entscheidend, um den Krieg zu beenden, denn Putin wird erst einlenken, wenn er begreift, dass sich sein Krieg nicht lohnen wird“, sagte er. Die in der EU eingefrorenen russischen Vermögenswerte würden eingefroren bleiben, bis Russland die Ukraine entschädigt habe.
„Wir gehen sozusagen ins Obligo. Damit werden aber die nationalen Haushalte nicht belastet, sondern das geht alles über die EU“, betonte Merz. Aber auch diese werde letztlich nicht belastet: „Dieses Darlehen wird eben besichert durch die russischen Vermögenswerte und auch über die russischen Vermögenswerte zurückgezahlt“, sagte er.
Keine direkte Nutzung von russischen Vermögen
Man habe mit dem Beschluss nur die Reihenfolge der Finanzierung vertauscht, fügte der Kanzler hinzu. Die von ihm vorgeschlagene direkte Nutzung der russischen Staatsvermögen habe sich in den sechsstündigen Beratungen in Brüssel als zu kompliziert erwiesen, räumte er ein. Allerdings sei das Ziel erreicht worden, dass Russland für diesen Krieg zahlen müsse.
Kurios: Am Ende setzte sich damit ein Vorschlag durch, den der belgische Premier Bart de Wever schon länger favorisiert hatte, der aber anfangs kaum Unterstützung fand. „Natürlich hat es einigen Leuten nicht gefallen … sie wollen Putin bestrafen, indem sie ihm sein Geld wegnehmen“, sagte De Wever nach dem Treffen und bezog sich dabei auf den ursprünglichen Plan, Russlands Vermögenswerte zu nutzen. Aber: Politik sei „keine emotionale Angelegenheit“ und „die Vernunft hat gesiegt“. Unterstützung bekam De Wever von der italienischen Regierungschefin Georgia Meloni.
Ungarn, die Slowakei und Tschechien werden sich nicht an dem Kompromiss für Ukraine-Hilfen beteiligen. Der als moskaunah geltende ungarische Ministerpräsident Viktor Orban kritisierte die Entscheidung. Das Geld sei verloren, sagte er.
Mit dem Kompromiss wird der von Bundeskanzler Merz bevorzugte Plan zur direkten Nutzung von in der EU festgesetztem russischen Staatsvermögen fallen gelassen. Dieser sah vor, vor allem in Belgien festgesetzte Gelder der Zentralbank für Darlehen in Höhe von bis zu 210 Milliarden Euro an die Ukraine zu verwenden. 90 Milliarden Euro davon sollten bis Ende 2027 fließen.
Italien und Frankreich blockierten Lösung mit russischen Vermögen
Eine Umsetzung dieses Planes zur Nutzung des russischen Staatsvermögens scheiterte neben Belgien und Italien nach Angaben von Diplomaten auch an Frankreich. Paris, Rom und Brüssel waren demnach nicht bereit, die notwendigen Mittel für den von Belgiens Regierungschef Bart De Wever geforderten Schutzmechanismus bereitzustellen. Er wollte garantiert bekommen, dass alle Risiken, die sich aus der Nutzung der russischen Gelder ergeben könnten, vollständig gemeinschaftlich abgesichert werden.
Die belgische Regierung sah unter anderem die Gefahr, dass Russland Vergeltung gegen europäische Privatpersonen und Unternehmen übt und etwa Enteignungen in Russland vornimmt. Vor allem fürchtet sie dabei auch um die Existenz des Finanzinstituts Euroclear, das den Großteil der in der EU festgesetzten russischen Vermögenswerte verwaltet.
De Wever spielte die Differenzen in den Diskussionen in Brüssel herunter. „Chaos und Spaltung“ seien vermieden worden, sagte er am frühen Freitagmorgen. „Wir sind geeint geblieben.“
Russland lobt EU-Kompromiss
Euroclear mit Sitz in Brüssel beschert dem belgischen Staat jährlich hohe Steuereinnahmen. Als Risiko wurde weiterhin genannt, dass ein Schiedsgericht das Vorgehen als illegale Enteignung werten und internationale Anleger das Vertrauen in den europäischen Finanzmarkt verlieren könnten.
Russland sieht den Kompromiss der EU-Länder zur Finanzierung der Ukraine positiv. „Gesetz und gesunder Menschenverstand haben vorerst gesiegt“, schrieb der russische Chefunterhändler Kirill Dmitrijew auf der Plattform Telegram. Der Brüsseler Beschluss sei ein gewaltiger Schlag „für die Kriegstreiber“, zu denen er unter anderem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Kanzler Friedrich Merz zählt. „Einige wenige Stimmen der Vernunft innerhalb der EU haben bislang verhindert, dass die russischen Reserven illegal zur Finanzierung der Ukraine verwendet werden.“
Russland hatte stets vor einem „Diebstahl“ seines Staatsvermögens gewarnt und damit gedroht, im Gegenzug auch westliches Geld – vor allem von Privatinvestoren und Unternehmen – für seine Zwecke zu verwenden. (Tsp, Reuters, dpa)
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