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Ukraine setzt Hoffnungen in geleaktes Telefonat: „Die unverhohlene Russlandnähe Witkoffs wird für alle sichtbar“
Der enge Austausch zwischen den USA und dem Kreml überrascht in Kyjiw kaum jemanden. Doch einige Experten sehen in den neusten Enthüllungen auch eine Chance für ihr Land
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Das geleakte Telefonat zwischen dem US-Gesandten Steve Witkoff und dem russischen Berater Juri Uschakow sorgt auch Tage nach seiner Veröffentlichung für Aufregung. Wirklich überrascht haben die Inhalte in der Ukraine allerdings wenige – es bestätigte lediglich ein offenes Geheimnis: dass Witkoff in diesem Prozess rund um den umstrittenen 28-Punkte-Friedensplan klar auf der Seite Moskaus steht.
„Witkoff hat nie verheimlicht, dass er Putin respektiert. Zugleich weiß er, dass sein Chef, Donald Trump, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland verbessern möchte – und dass die Ukraine-Frage dabei stört“, sagte der ukrainische Außenpolitik-Analyst Witalij Portnykow auf seinem Youtube-Kanal.
Noch schärfer formuliert es der Soldat Serhij Martenko auf Facebook: „Der Inhalt des Gesprächs bestätigt einmal mehr die absolute Unmoral, die das Team von Präsident Trump in die amerikanische Politik gebracht hat. Und es zeigt, wie seine Administration das ukrainische Volk und unsere Opfer im Krieg wirklich sieht.“
Die Russen torpedieren den Friedensprozess jetzt schlicht.
Ihor Tschaljenko, Leiter des Zentrums für Analyse und Strategien
Dabei zweifelt kaum jemand daran, dass die Feder für den Friedensplan nicht in Washington, sondern in Moskau geführt wurde. Das legt unter anderem eine linguistische Analyse nahe, die der britische „Guardian“ durchgeführt hat. Demnach enthält der Text auffallend viel russische Verwaltungssprache, die offenbar nur unbeholfen ins Englische übertragen wurde.
In Kyjiw richtet sich der Blick inzwischen auf eine andere Frage: Wer steht hinter den Leaks – und warum genau jetzt? Das Gespräch selbst ist laut Bloomberg immerhin schon am 14. Oktober geführt worden. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung jetzt wirkt also kaum zufällig. Gerade erst war es der ukrainischen Delegation mit europäischer Unterstützung in Genf gelungen, den ursprünglichen Friedensplan-Entwurf einzukürzen und mehrere Passagen zu entschärfen.
Ihor Tschaljenko, Leiter des Zentrums für Analyse und Strategien, vermutet russische Quellen hinter dem Leak. „Die Russen torpedieren den Friedensprozess jetzt schlicht, weil sie von der neuen Dynamik überrascht wurden. Sie hatten nicht erwartet, dass die Ukraine in den Gesprächen mit den USA und den Europäern so konstruktiv auftreten und ein solches Tempo vorlegen kann“, schreibt er auf Facebook.
Einige andere ukrainische Experten glauben hingegen, dass die Quelle eine hochrangige Person der US-Regierung sein könnte: „Der Leak zeigt, dass jemand sehr Einflussreiches in den Vereinigten Staaten die ständigen Versuche, mit Russland zu flirten, und die diplomatischen Eigeninitiativen der Trump-Familie gründlich satthat“, schreibt Petro Oleschtschuk vom Thinktank „Vereinigte Ukraine“ auf Facebook. Deshalb habe US-Außenminister Marco Rubio die Sache in die Hand genommen. Rubio gilt innerhalb der US-Administration als einer der wenigen, die noch der Ukraine nahestehen.
Könnte er das Telefonat durchgestochen haben, um dem prorussischen Kurs Trumps zu schaden? Der Politologe Mychajlo Prytula hält das im Gespräch mit dem Tagesspiegel für denkbar. „Rubios Handschrift ist hier eindeutig zu erkennen. Klassisches State-Department-Vorgehen: leise und präzise landen die Transkripte auf dem Tisch – und plötzlich wird klar, wer hier der professionelle Diplomat ist und wer in Florida Neubauten verkauft.“

© dpa/Martial Trezzini
Tatsächlich sehen einige Beobachter in den Leaks auch eine Chance für die Ukraine: Die Dynamik, die zuletzt klar zu Ungunsten Kyjiws verlief, könnte sich nun wieder verlangsamen – oder sogar drehen. „Wenn die Russen sich jetzt aus dem Gesprächskanal verabschieden, wird das alles für eine Weile zum Erliegen kommen“, sagte der Politologe Maksym Nestwytailow im Interview mit dem Radiosender NV. „Für uns bedeutet das anderthalb bis zwei Monate, um uns im Arbeitsmodus auf mögliche reale Verhandlungen vorzubereiten.“
Auch die sichtbaren Spannungen im Trump-Team könnten Kyjiw eher nutzen als schaden, sagt der Politologe Maksym Kostezkyj im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Die für uns offensichtliche, unverhohlene Russlandnähe Witkoffs wird nun auch für alle anderen sichtbar.“
Zudem könne das geleakte Telefonat einen neuen Konflikt innerhalb des Trump-Teams auslösen „und den amerikanischen Präsidenten dazu zwingen, einen Teil seiner Energie auf interne Probleme zu lenken“. Das, so der Politologe, verschaffe der Ukraine zumindest eine kurze Atempause.
Noch weiter geht Wiktor Schlynchak, Direktor des Instituts für Weltpolitik. Für ihn markiert die Veröffentlichung des Gesprächs einen Wendepunkt im bislang undurchsichtigen diplomatischen Prozess. „Inoffizielle Kontakte werden eingefroren, Witkoff dürfte aus der Delegation ausscheiden, und die gesamte Gesprächsarchitektur wird neu geordnet“, schreibt er bei Facebook. „Damit rückt die Ukraine wieder in das Zentrum des Prozesses – und hat sogar die Möglichkeit, die Initiative selbst zu übernehmen.“
Wie realistisch diese Einschätzung ist, bleibt aber unklar. Hinweise darauf, dass sich Trump tatsächlich von Witkoff abwendet, gibt es bislang nicht.
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