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Um öffentliches Leben zu regeln: Ukraine richtet Militärkommandantur in Region Kursk ein
Die Staatsführung in Kiew ist mit der Militäroperation auf russischem Boden zufrieden – und betont, dass es keine Gräueltaten gegen Zivilisten geben dürfe.
Stand:
Bei ihrem Vorstoß in die westrussische Region Kursk machen die ukrainischen Streitkräfte nach den Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj „gute Fortschritte“. Die ukrainische Armee erreiche ihre Ziele, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache.
Die Streitkräfte seien angewiesen, bei ihrem Vorgehen humanitäres Recht zu achten, so Selenskyi weiter. „Es ist wichtig, dass die Ukraine nach den Regeln kämpft, und die humanitären Bedürfnisse in diesem Gebiet müssen beachtet werden.“
Die Betonung, dass humanitäres Recht eingehalten werde, geht auf Gräueltaten russischer Truppen bei ihrem Vormarsch auf Kiew vor knapp zweieinhalb Jahren zurück. Im Hauptstadt-Vorort Butscha wurden damals zahlreiche Zivilisten wahllos getötet, ehe das russische Militär in diesem Gebiet den Rückzug antreten musste.
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Bei einer Sitzung der Regierung Selenskyjs wurde nach Angaben der ukrainischen Agentur Unian beschlossen, internationalen Organisationen den Zugang zu den besetzten Gebieten in Westrussland zu erlauben. Zu ihnen gehören demnach das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, die Vereinten Nationen sowie andere Organisationen, die humanitäre Hilfe leisten.
Kiew hat auch vor Ort eine Militärkommandantur für die von ihr kontrollierten Gebiet eingerichtet. Die Kommandantur solle sich um die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung und die vorrangigen Bedürfnisse der Bevölkerung kümmern, sagte Oberbefehlshaber Olexander Syrskyj während einer Sitzung mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Zum Leiter der Kommandantur sei Generalmajor Eduard Moskaljow ernannt worden.
Ukrainische Truppen sollen nur militärische Ziele angreifen
Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak beschrieb in einem Interview des russischen Oppositionsmediums „Meduza“ das Vorgehen bei der Operation: Unter anderem seien die ukrainischen Streitkräfte angewiesen, ausschließlich militärische Ziele anzugreifen und zu zerstören. Im Gegensatz zu den russischen Invasoren werde die Ukraine in besetzten Gebieten keine Statthalter einsetzen.
Der einzige Kontakt zur russischen Zivilbevölkerung sei die Unterstützung mit humanitärer Hilfe. Auch Podoljak betonte, dass es „kein Butscha auf russischem Gebiet“ geben werde.
Die ukrainischen Streitkräfte müssten nun ihre Positionen befestigen, sagte Podoljak weiter. Dies werde der Ukraine erlauben, „den Schauplatz der militärischen Operationen auf russischem Gebiet zu vergrößern“.
Dies würde auch politische Botschaften ermöglichen: „Das Versagen der russischen Verwaltung insgesamt aufzuzeigen, die mangelnde Bereitschaft, Entscheidungen zu treffen, die mangelnde Bereitschaft, zusätzliche Kräfte und Mittel dorthin zu bringen.“ Dementsprechend werde sich der Krieg auf das gesamte russische Staatsgebiet ausweiten, meinte Podoljak.
Schwierige Frontlage rund um den Donbass
Der ukrainische Oberkommandeur Olexander Syrskyj hatte Selenskyj Bericht über die Lage in Kursk und an anderen Frontabschnitten in der Ukraine erstattet. Vor allem im Osten rund um den Donbass waren die ukrainischen Verteidiger schwer in Bedrängnis geraten, da die russische Armee dort den Druck erhöht hatte.
Syrskyj und Selenskyj vereinbarten, dass die dort kämpfenden ukrainischen Truppen zusätzliche Waffensysteme aus den nächsten militärischen Hilfspaketen westlicher Partner erhalten sollten. Ob auch Verstärkungen in die Region beordert würden, wurde – wohl aus taktischen Gründen – nicht erwähnt.
Am Donnerstag gab es entlang einer rund 18 Kilometer langen Front auf russischem Territorium noch immer Gefechte. Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte mit, seine Streitkräfte hätten ukrainische Drohnen über der russischen Oblast Belgorod abgeschossen. Diese grenzt an Kursk und die Ukraine. Zudem hätten russische Bomber vom Typ Suchoi-34 ukrainische Stellungen in Kursk beschossen, erklärte das Ministerium.
Die ukrainischen Streitkräfte sollen in der Region Kursk nach russischen Schätzungen knapp 12.000 Mann stark sein. Unter ihnen seien auch ausländische Söldner, sagte der aus Tschetschenien stammende General Apty Alaudinow, Befehlshaber der in der Ukraine kämpfenden tschetschenischen Streitkräfte und ein Verbündeter von Russlands Präsident Wladimir Putin.
„Man konnte überall polnische, englische und französische Stimmen hören“, behauptete Alaudinow in einem Fernsehinterview, aus dem die Staatsagentur Tass zitierte. Nach seinen Worten seien die meisten Söldner bereits „eliminiert“ worden. Weder seine Angaben noch die der ukrainischen Seite ließen sich unabhängig überprüfen.
Bezirk Gluschkow wird evakuiert – Ausnahmezustand in Belgorod
Angesichts des Vormarsches der ukrainischen Streitkräfte haben die Behörden die Evakuierung des Bezirks Gluschkow in der russischen Grenzregion Kursk angeordnet.
Der amtierende Gouverneur Alexej Smirnow teilt über den Nachrichtendienst Telegram mit, dass die Polizei und andere staatliche Stellen die Evakuierung koordinieren werden. In dem Bezirk, der direkt an die Ukraine grenzt, leben rund 20.000 Menschen.
Das russische Katastrophenschutzministerium hat derweil auch für die Oblast Belgorod den föderalen Ausnahmezustand ausgerufen. Dieser wurde bereits über die angrenzende Oblast Kursk verhängt. Minister Alexander Kurenko erklärt mit Blick auf Belgorod, die Lage dort bleibe komplex und angespannt. „Infolge der Terroranschläge ukrainischer bewaffneter Gruppen in der Oblast Belgorod wurden Wohnhäuser und Infrastruktureinrichtungen beschädigt, es gibt Tote und Verletzte.“
Die Ukraine hatte am Mittwochabend erklärt, ihre grenzüberschreitende Offensive sei seit Tagesbeginn ein bis zwei Kilometer in die Region Kursk vorgedrungen. Zudem hätten ukrainische Truppen die russische Grenzstadt Sudscha von Moskaus Streitkräften befreit. Mindestens 200.000 Menschen wurden bereits aus der Region evakuiert.
Tschetschenen-General Alaudinow, bestreitet laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA hingegen, dass die ukrainischen Truppen Sudscha vollständig kontrollieren. Die dortige Gastransfer- und Messstation dort ist der einzige Einspeisepunkt für russisches Erdgas in das ukrainische Gasfernleitungsnetz und für den Weitertransport nach Europa.
Die Ukraine will nach eigenen Angaben in Kursk eine Pufferzone schaffen. Diese diene dem Zweck, die ukrainischen Gemeinden im Grenzgebiet vor täglichen feindlichen Angriffen zu schützen, sagte Innenminister Ihor Klymenko am Mittwoch.
Selenskyj fordert Freigabe schwerer Waffen
Nach einer Serie ukrainischer Drohnenangriffe gegen russische Militärflugplätze in der Nacht zum Mittwoch richtete Selenskyj einmal mehr einen Appell an die westlichen Partner. „Unsere ukrainischen Drohnen funktionieren genau so, wie sie sollen, aber es gibt Dinge, die man mit Drohnen allein leider nicht machen kann“, sagte er. „Wir brauchen eine weitere Waffe – Raketenwaffen.“
Fast täglich fordert Kiew die westlichen Partner auf, die Erlaubnis zum Einsatz schwerer Langstreckenwaffen gegen militärische und logistische Ziele auf russischem Staatsgebiet zu geben. Die Regierungen Großbritanniens und der USA möchten dem bislang jedoch nicht zustimmen.
Hafen von Odessa mit Rakete angegriffen
Am Abend wurde in mehreren Regionen der Ukraine Luft- und Raketenalarm ausgelöst. Russlands Militär nahm ukrainischen Angaben zufolge die Hafeninfrastruktur von Odessa unter Beschuss. Bei dem Angriff auf die Anlage am Schwarzen Meer seien mindestens zwei Personen verletzt worden, teilen die regionalen Behörden mit.
Bei den Opfern handelt es sich der Generalstaatsanwaltschaft zufolge um einen Hafenmitarbeiter und einen Fahrer von Getreidetransporten. Russland habe bei der Attacke eine ballistische Rakete eingesetzt, ergänzt der zuständige Gouverneur Oleh Kiper. Eine russische Stellungnahme liegt zunächst nicht vor. Auch aus Sumy im Osten wurden Explosionen gemeldet. (dpa, Reuters)
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