
© dpa/Mark Schiefelbein
Unbelegte These zu Paracetamol und Autismus: So kam es zu Trumps skandalumwitterter Pressekonferenz
Bei einer Pressekonferenz hatten Trump und sein Gesundheitsminister einen unbelegten Zusammenhang zwischen Paracetamol und Autismus hergestellt – und damit Fachleute schockiert. Wie es dazu kam.
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Unbewiesene Aussagen sind bei Donald Trump an der Tagesordnung. Am Dienstag war der US-Präsident wieder einmal mit einer These aufgefallen, für die er keinerlei Belege lieferte und die Fachleute über die USA hinaus schockierte.
Trump hatte bei einer Pressekonferenz schwangere Frauen vor der Einnahme des schmerz- und fiebersenkenden Arzneimittels Tylenol gewarnt. Der Republikaner begründete seine Warnung damit, dass es angeblich Autismus auslösen könne. Das Medikament, das den Wirkstoff Acetaminophen enthält, entspricht Paracetamol.
Zahlreiche Fachleute beeilten sich, klarzustellen, dass es für Trumps These keinen nachgewiesenen Zusammenhang gibt. Auch Impfungen verursachten keinen Autismus, sagte WHO-Sprecher Tarik Jasarevic.
Zwar hätten „einige Beobachtungsstudien einen möglichen Zusammenhang zwischen der pränatalen Paracetamol-Exposition und Autismus nahegelegt, aber die Angaben sind widersprüchlich“, betonte Jasarevic. „Mehrere andere Studien haben keinen solchen Zusammenhang nachgewiesen.“ Vor allem eine große schwedische Studie gilt als Beleg für die Sicherheit des Medikaments.
Auch die zuständige amerikanische Fachgesellschaft „The American College of Obstetricians and Gynecologists“ (ACOG) stellte sich in einem Statement klar gegen die Empfehlung der US-Regierung, die auch vom Gesundheitsministerium veröffentlicht wurde. Die Einschätzung ignoriere sämtliche wissenschaftliche Erkenntnisse und vereinfache die vielfältigen und komplexen Ursachen neurologischer Probleme bei Kindern auf gefährliche Weise.
Fachleute beschreiben Autismus (auch Autismus-Spektrum-Störung) als eine Entwicklungsstörung. Als Merkmale gelten Probleme im sozialen Umgang mit anderen Menschen, Kommunikationsschwierigkeiten und Verhaltensweisen, die sich wiederholen.
Wie aber kam es zu der Warnung von Trump und seinem Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr., der als Impfskeptiker ebenfalls immer wieder mit unbelegten Aussagen auffällt? Das hat das „Wall Street Journal“ (WSJ) nun recherchiert.
Demnach hatte das Team von Kennedy Jr. Anfang September beschlossen, den US-Amerikanern mitzuteilen, dass Acetaminophen, der Wirkstoff in Tylenol, eine mögliche Ursache für Autismus sei. Uneinig seien sich die Beamten aber darüber gewesen, wie viel Einfluss sie dem Schmerzmittel beimessen sollten. Zunächst sei geplant gewesen, Acetaminophen als eine mögliche Ursache zu diskutieren, berichtet das „WSJ“ unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen.
Ärzte rieten offenbar zu einem anderen Fokus
Einige Ärzte, die Kennedy mit der Leitung wichtiger Behörden betraut hatte, hätten für einen anderen Fokus bei der Pressekonferenz plädiert. Sie sollen sich laut „WSJ“ dafür starkgemacht haben, das Generikum Leucovorin in den Mittelpunkt zu stellen, weil sie darin ein vielversprechendes Mittel sähen, um Autismus-Symptome zu lindern.
Das Medikament ist chemisch mit Vitamin B9 verwandt und wird bislang vornehmlich dann eingesetzt, wenn Nebenwirkungen einer Chemotherapie vorgebeugt werden sollen. In einigen randomisierten, kontrollierten Studien sei es vorgekommen, dass verschiedene Versionen des Medikaments dazu führten, die Kommunikation und Verhaltenssymptome von manchen Menschen mit Autismus zu verbessern, heißt es weiter. Einige Autismusforscher wiederum hätten die Studien jedoch als zu klein kritisiert und sich dagegen entschieden, eine umfassende Empfehlung für das Medikament auszusprechen.
Nach einem Treffen mit dem CEO des Tylenol-Herstellers Kenvue, Kirk Perry, war Kennedy aber offenbar davon überzeugt, den Schwerpunkt auf Paracetamol zu legen. Er habe es für seine moralische Pflicht gehalten, schnellstmöglich über das angebliche Autismus-Risiko durch die Einnahme von Paracetamol zu informieren, sagten anonyme Quellen dem „WSJ“.
Trump soll sofort begeistert gewesen sein
Trump wiederum sei von Kennedys Plan sofort begeistert gewesen. Der US-Präsident bekundet schließlich seit Jahren großes Interesse an der Erkrankung. Er soll vor allem von der Idee sehr angetan gewesen sein, eine Gelegenheit zu bekommen, einen Grund dafür zu nennen, warum statistisch jedes 31. Kind in den USA eine Autismus-Diagnose bekommt.
Und so kam denn das Mittel Leucovorin in der Pressekonferenz nur ganz kurz am Rande zur Sprache. Trump erwähnte es beiläufig und sagte, dass er sich darüber sehr freue. Kennedy sprach „von einer vielversprechenden Therapie, von der eine große Zahl von Kindern mit Autismus profitieren könnte“. Doch der Fokus lag eindeutig auf der Warnung vor Paracetamol.
Kennedy könnte möglicherweise von Müttern autistischer Kinder beeinflusst worden sein, sagte eine anonyme Quelle dem „WSJ“. Jahrelang habe er immer wieder gehört, dass Tylenol für die Störung verantwortlich gemacht wurde.
Fachverbände, die Geburtshelfer vertreten, empfehlen weiterhin, dass schwangere Frauen Paracetamol zur Behandlung von Schmerzen und Fieber einnehmen sollten.
Auch ein Sprecher des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sagte, dass an Trumps und Kennedys These nichts dran sei. „Solche Aspekte werden selbstverständlich in der gesamten EU gemeinsam durch alle Gesundheits- und Arzneimittelbehörden engmaschig überwacht.“ Die Studienlage bei dem Thema sei eindeutig. Wie auch bei anderen Medikamenten seien alle Risiken in der Packungsbeilage aufgeführt, eine solche Autismus-Warnung sei nicht darunter.
„Tatsache ist, dass über ein Jahrzehnt rigoroser Forschung, die von führenden Medizinern und globalen Gesundheitsbehörden unterstützt wird, bestätigt, dass es keine glaubwürdigen Beweise für einen Zusammenhang zwischen Paracetamol und Autismus gibt“, sagte eine Sprecherin von Kenvue dem „WSJ“. (Tsp, Agenturen)
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