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US-Angestellte berichten vom Shutdown: „Eine Atempause von dem bedrohlichen Arbeitsumfeld”
Seit elf Tagen sind die USA im Shutdown – öffentliche Angestellte werden nicht bezahlt. Drei von ihnen aus dem Gesundheitssektor haben dem Tagesspiegel erzählt, wie sie diese Zeit erleben.
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Es sind Hunderttausende. Seit dem Shutdown der Regierung bleiben den öffentlichen Angestellten in den USA zwei Optionen: unbezahlt weiterarbeiten oder unbezahlt freigestellt sein. Geld gibt es erst, wenn die Haushaltsblockade beendet ist. Und das auch nur vielleicht, wie US-Präsident Donald Trump jüngst drohte.
Seit Beginn seiner zweiten Amtszeit im Januar kommen Amerikas Staatsbedienstete nicht zur Ruhe. Erst die Kürzungen und Massenentlassungen durch die von Tesla-Milliardär Elon Musk geführte Einsparungsbehörde „Department of Government Efficiency“ (Doge), der Shutdown – und nun hat der Präsident seine Drohung aus der vergangenen Woche wahr gemacht und weitere öffentliche Angestellte entlassen.
Wie gehen die Menschen damit um?
Der Tagesspiegel hat drei freigestellte Mitarbeiter der National Institutes of Health, der US-Gesundheitsbehörde, gesprochen. In persönlichen Protokollen berichten sie vom Shutdown – und davon, wie durch Donald Trump und dessen Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. alles anders geworden ist. Über ihre Erfahrungen erzählen sie als Privatpersonen, nicht im Namen der Behörde. Ihre Namen wurden aus Sicherheitsgründen verkürzt.
Was passiert, ist klassisch autoritär
Wissen und Erfahrung werden einfach weggeworfen.
S.C., 51 Jahre, forscht zum Thema Falschinformationen im Gesundheitswesen
„Das ist nicht mein erster Shutdown, aber er fühlt sich anders an. Seit neun Monaten fühle ich mich körperlich und psychisch um zehn Jahre gealtert. Die Freistellung ist wie eine Atempause von dem bedrohlichen und zermürbenden Arbeitsumfeld. Ich bin privilegiert – wir haben zwei Einkommen, keine akute Existenzangst, zumindest für eine Zeit.
Viele Kollegen sind in einer anderen Lage. Seit Januar werden wir ständig bedroht. Zuerst haben sie unsere täglichen Abläufe gestoppt oder sich eingemischt, dann kamen Entlassungen. In China gibt es die Redewendung: ,Man tötet das Huhn, um den Affen zu erschrecken.’ Man statuiert ein Exempel.
Seit Monaten liegen 90 Prozent meiner Arbeit still. Ich habe zu Fake News geforscht, war oft international eingeladen, um über Projekte zu sprechen. Jetzt wurde alles verboten oder abgesagt – „kein Budget, keine Freigabe der Folien.“ Es fühlt sich an wie eine Geiselnahme: Wenn Milizen dein Haus übernehmen, bestimmen sie neue Regeln. Früher sollte ich sicherstellen, dass Forschung solide und strenger Peer-Review unterzogen wurde. Heute verhindern Richtlinien genau das. Wissen und Erfahrung werden einfach weggeworfen. Als wären wir nur eine Zeile in einer Excel-Tabelle.

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Unter Kollegen herrschen Selbstzweifel, der Zusammenhalt ist weg. Weil ich offen benenne, was passiert, meiden mich manche – das tut weh, aber ich sehe es als Kollateralschaden.
Lange sagten wir uns: Wenn wir bleiben, können wir wenigstens Widerstand gegen Willkür und politischen Einfluss leisten. Aber irgendwann fragt man sich: Täuschen wir uns da selbst? Ich bin in Taiwan aufgewachsen, in der Demokratiebewegung der späten 1980er. Deshalb reagiere ich so empfindlich auf Autokratie – ich kenne den Unterschied. Wer Demokratie für selbstverständlich hält, ist unvorbereitet, wenn sie bedroht wird. Meine Arbeit basiert inzwischen weniger auf Fakten als darauf, was man noch sagen darf – das ist klassisch autoritär.“
Staatsdiener aus Überzeugung
Er will, dass wir traumatisiert sind – das hat er öffentlich gesagt.
S. K., 63 Jahre, leitet ein Team, das untersucht, wie Kommunikation und Führung die Qualität der Krebsbehandlung beeinflussen
„Im Shutdown gehe ich viel mit meiner Hündin spazieren. Das lenkt ab – und sie freut sich, dass ich zu Hause bin. Doch im Laufe des Tages hält man inne und fragt sich: Was passiert als Nächstes?
Seit Januar ist es eine Achterbahn der Gefühle. Ich versuche, den Einschüchterungen keinen Glauben zu schenken und zu hoffen, dass sich die Menschen wieder für Krebsforschung interessieren.
Projekte, für die ich verantwortlich bin, wurden gestrichen. Ich musste Forschenden sagen: Die neue Regierung will das nicht mehr finanzieren. Das ist so ineffizient – wenn jemand drei Jahre an einem Projekt gearbeitet hat und man es beendet, spart man nicht zwei Jahre, man verliert drei.

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Ich denke darüber nach, das Land zu verlassen. Könnte ich anderswo einen Job finden? Ich könnte auch in den Ruhestand gehen – sofern sie mir die Rente nicht wegnehmen. In den USA bedeutet Jobverlust oft auch Verlust der Krankenversicherung – für ganze Familien. Viele meiner Kollegen sind die Hauptverdiener, für sie ist das existenziell.
In den vergangenen Monaten haben wir im Büro sehr viel Zeit damit verbracht, zu verstehen, wie wir uns gegenseitig unterstützen können, all das auszuhalten. Es fühlt sich wie ein notwendiger Kampf an, damit Russell Vought [Donald Trumps Budgetverantwortlicher, Anm. d. Red.] nicht gewinnt. Er will, dass wir traumatisiert sind – das hat er öffentlich gesagt. Also kämpfen wir. Wir sind ein starkes Team. Die Zerstörung des NIH ist Teil einer größeren Zerstörung der Wissenschaft. Es geht weit über unsere Jobs hinaus.
Wir alle sind Staatsdiener aus Überzeugung, wollen unserem Land dienen, nicht Geld verdienen. Uns wie Feinde zu behandeln, ist schwer zu ertragen. Man erwartet nicht, dass die eigene Führung einen angreift.“
Ein Job bis zur Rente
Diese Regierung hat die Behörden praktisch schon seit Januar lahmgelegt.
S.P., Ende 50, sorgt dafür, dass Forschungsförderung transparent und wissenschaftlich fundiert vergeben wird
„Ich bin immer davon ausgegangen, dass ich diesen Job bis zur Rente mache. Ich arbeite gerne im Namen der amerikanischen Gesundheit. Doch inzwischen lebt man unter ständiger Bedrohung, den Job zu verlieren.
Ein Shutdown ist immer frustrierend – Arbeit bleibt liegen, das Gehalt fehlt. Ich kann das vielleicht länger aushalten als Kolleg:innen am Anfang ihrer Karriere. Aber diesmal ist es anders: Diese Regierung hat die Behörden praktisch schon seit Januar lahmgelegt, Tausende entlassen. Wer bleibt, muss Programme beenden, die der Gesundheit der Bevölkerung zugutekommen.
Früher hielten sich Regierungen – ob demokratisch oder republikanisch – an Gesetze. Jetzt werden Behörden gehindert, rechtmäßig bewilligte Mittel auszugeben. Besonders besorgt bin ich über die Wissenschaft.
Die staatliche Forschungsunterstützung wurde massiv eingeschränkt, was weniger Innovationen im Gesundheitswesen, weniger Forschung über Krankheiten, weniger neue Behandlungsmöglichkeiten bedeutet – etwas, was uns alle langfristig treffen wird, nicht nur in den USA, sondern weltweit. Ich hatte vor sechzehn Jahren Darmkrebs, meine Überlebenschance lag bei siebzig Prozent. Ich bin noch hier – dank der Forschung. Wer sie stoppt, verändert die Zukunft – und nimmt kommenden Generationen von Patienten neue Therapien.“
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