
© dpa/Bilal Hussein
„Wir haben alles verloren“: Erste Vertriebene kehren nach Waffenruhe in den Südlibanon zurück
Tausende Libanesen kehren aktuell in ihre Heimat zurück. Oft sind ihre Häuser völlig zerstört – und dennoch glorifizieren viele die Terrororganisation Hisbollah.
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Umm Mohammed Bseih wollte nicht länger warten: Kaum war die Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz in Kraft, kehrte die 44-Jährige am Mittwoch in ihr Haus im Südlibanon zurück. In der Küche stehen immer noch die vollen Teller auf dem Tisch - so wie die Familie sie bei ihrer hastigen Flucht am 23. September hinterlassen hatte.
„Trotz all der Zerstörung und der Trauer sind wir froh, wieder zu Hause zu sein“, sagt Bseih und beginnt sogleich mit dem Aufräumen. Die Bücher aus dem Regal liegen verstreut auf dem Boden, die Vorhänge sind zerfetzt. Bseih fegt Glassplitter und Mauerbrocken zusammen. „Ich putze die Zimmer, damit wir bleiben können, auch wenn die Fenster zerbrochen sind“, sagt sie. Mehr als zwei Monate war Bseih nicht mehr zu Hause.
Als Israel mit massiven Luftangriffen auf die Hisbollah-Hochburgen im Süden begann, floh die Witwe mit ihren vier Kindern aus dem Dorf Sibkin in der Region Tyrus in die Berge in der Nähe von Beirut. Dort war die Familie in Sicherheit, während die Bomben auf ihre Heimat fielen und israelische Bodentruppen einrückten.
Viele der Häuser in Sibkin und anderen Orten der Region sind zerstört, wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP auf einer von der Hisbollah organisierten Pressetour sehen konnten. Verkohlte Autowracks in den Straßen von Sibkin zeugen von den Angriffen, die Fassade eines Cafés ist weggesprengt. Drinnen hängt das Bild eines Hisbollah-Kämpfers.
Bseih lobt die in der Region allgegenwärtige Terror-Miliz. „Ohne die jungen Leute vom Widerstand wären wir immer noch vertrieben“, sagt sie.
Porträts glorifizieren gefallene Hisbollah-Terroristen
Fast 900.000 Menschen mussten nach Angaben der Vereinten Nationen wegen der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, fast 4000 Menschen wurden den libanesischen Behörden zufolge getötet, der Großteil davon Hisbollah-Kämpfer. Noch sei die Gefahr zu groß, warnt die israelische Armee die Geflüchteten vor einer Rückkehr in den Süden. Bseih und ein paar wenige andere Dorfbewohner wagten es dennoch.
„Es ist, als wären unsere Seelen zurückgekehrt“, sagt die schmale Frau mit dem Kopftuch. Sie wirkt erschöpft und müde, während sie von einem Zimmer zum anderen läuft, um das Ausmaß der Schäden zu ermessen. Traurig blickt sie in den Garten. Dort vergammeln die Walnüsse auf dem Boden. „Hier habe ich mich immer ganz friedlich gefühlt. Unser Leben war völlig anders“, erzählt Bseih von der Zeit vor der Vertreibung.
Auf der Straße ins Nachbardorf Kana ist nichts als Verwüstung zu sehen - und die Porträts getöteter Hisbollah-Kämpfer. „Das Blut der Märtyrer führt zum Sieg“, verkündet ein Plakat der vom Iran unterstützten Miliz. Entlang der Hauptstraße von Kana steht kein einziges Gebäude mehr. Ahmed Hallum irrt zwischen den Ruinen umher. „Niemand kann so viel Zerstörung sehen, ohne zu weinen“, sagt der 55-Jährige.
„Mit so viel Zerstörungen haben wir nicht gerechnet“

© AFP/IBRAHIM AMRO
„Vielleicht kann alles wieder aufgebaut werden - aber warum all diese Zerstörung? Warum wurden Geschäfte und verlassene Häuser angegriffen?“ fragt Hallum sichtlich aufgebracht. Er selbst hatte Glück: Sein Haus und sein Laden in einem nahegelegenen Dorf blieben intakt.
Schon die vorangegangenen Konflikte hatten Kana schwer getroffen: Im Krieg zwischen Israel und der Hisbollah 2006 wurden in dem Ort etwa 50 Menschen getötet. Zehn Jahre zuvor starben 105 Menschen bei einem israelischen Bombenangriff auf Unterkünfte der UN-Blauhelme, in die sich Zivilisten geflüchtet hatten.
In der Nähe eines zerbombten Geschäfts umarmt eine Frau ihre Angehörigen. Alle weinen. „Mit so viel Zerstörungen haben wir nicht gerechnet. Wir wollten diesen Krieg nicht und dachten, er würde sich auf die Gebiete nahe der Grenze beschränken“, sagt die 15-jährige Malak Kleit. „Wir haben alles verloren.“
Das Mädchen mit den blauen Augen träumt davon, Anwältin zu werden. Vor der Flucht besuchte sie eine Oberschule im Dorf. Wegzugehen sei „sehr schmerzhaft“gewesen, sagt sie. „Ich werde nie vergessen, dass wir vertrieben wurden.“ Dann macht Malak sich mit der Mutter auf den Weg zu ihrem Haus - um nachzusehen, ob es noch steht. (AFP)
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