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Liebe Demokratie! Kulturstaatsministerin Claudia Roth plädiert für die Vielfalt als eine der Grundbedingungen von Kultur.

© IMAGO/Photopress Müller

11. Kulturpolitischer Bundeskongress in Berlin: Darf's noch etwas mehr von der Teilhabe sein?

Unter dem Titel „Kunst der Demokratie“ trafen sich in Berlin politische Würdenträger und kulturelle Vordenker. Eindrücke vom 11. Kulturpolitischen Bundeskongress.

Laut einer akademischen Weisheit brauchen wir die Begegnung mit anderen Kulturen, um überhaupt zu wissen, dass es so etwas wie „Kultur“ gibt. Die Erfahrung des Anderen erzeugt den Sinn für das Eigene: zum Beispiel die Sonderbarkeiten, um deren willen sich der Tourist am Fuße Neuschwansteins verabredet, um zu Richard Wagners unendlicher Melodie deutschen Filterkaffee zu schlürfen.

Dass das Andere nur solange lustvoll konsumiert werden kann, wie das Eigene als sicher gilt, ist eine der Erkenntnisse, die der 11. Kulturpolitische Bundeskongress in Berlin nahelegen könnte. Über 400 Teilnehmer widmeten sich unter dem Titel „Kunst der Demokratie“ der „Kulturpolitik als Demokratiepolitik“. In 20 verschiedenen Panels und Foren wurden mit 101 Impulsgeber*innen diskursive Tiefbohrungen vollzogen. Und bereits nach dem ersten Tag brachte der junge Leiter des Hamburger Fluctoplasma-Festivals, Dan Thy Nguyen, seinen Befund mit luzidem Lächeln auf den Punkt: „Wir sind hier alle lost. Und vielleicht ist das gar nicht so schlecht“.

Begonnen hatte es mit einer staatstragenden Rede von Claudia Roth. Da schienen die Standards noch für die Ewigkeit geschmiedet. Die Demokratie wurde als „liebe Demokratie“ adressiert; dass „Vielfalt eine Bedingung von Kultur“ sei und daher die gleichberechtigte Teilhabe von Minderheiten gewährleistet werden müsse.

Dem wollte niemand unter den anwesenden Kulturpolitikern widersprechen. Auch nicht, dass man Demokratie nicht verordnen könne, wohl aber fördern. Was also können und wollen wir fördern, fragte die Ministerin und antwortete selbst: „Räume, in denen Diversität möglich ist“. Und dann kam nach kurzem Innehalten die dramaturgische Steilvorlage, die alles Folgende prägen sollte: „Und wie sieht die Ästhetik der Diversität aus? Dazu dann beim nächsten Mal.“ Im Anschluss tanzte der Kongress in seinen Debatten genau um diesen Satz.

Demokratie ist per se anstrengend

Bevor die Podien und Panels in Mosaikteile migrierten, die sich zu einem geordneten Ganzen nicht mehr zusammensetzen ließen, hatte der Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft, Tobias Knoblich, noch mahnende Worte gefunden., Demokratie sei per se anstrengend und in der Spannung zwischen Expertokratie und den Ansprüchen von Bürgerinitiativen hin und her gerissen. Und angesichts der Herausforderungen gesellschaftlicher Transformation wohl manchmal sehr müde.

Offene Gesellschaften sind anfällig für radikale Gegenbewegungen, warnt Aladin El-Mafaalani in seinem Buch "Das Integrationsparadox". 
Offene Gesellschaften sind anfällig für radikale Gegenbewegungen, warnt Aladin El-Mafaalani in seinem Buch "Das Integrationsparadox". 

© imago images / Future Image

Ein „weiter so!“ jedenfalls ginge nicht, und daher sei es nötig, dass es auch für das Feld der Kultur keine Ausreden mehr für ein Aufrechterhalten der scheinbaren Normalität gäbe. Kunst und Kultur von und mit den Menschen seien konsequent zu ermöglichen. Damit hatte der Kongress sein Themenfeld abgesteckt, und es war gewaltig.

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Die Debatten widmeten sich dann den großen Grundsatzfragen: Ist die Demokratie in der Krise – oder eher das Bild derjenigen, die sich als deren Hüter verstehen? Was heißt heute überhaupt „Kultur“, was „Mitwirkung“, und welcher kulturpolitische Auftrag erginge daraus? Und: Welches wäre die Rolle der Künste?

Lustvolle Freude an Paradoxien der Repräsentation

Und dann kamen die Stars. Die Stars sind jung, eloquent und füllen Säle mit Menschen ihres Alters. Sie heißen Max Czollek und Aladin El-Mafaalani und veröffentlichen Bücher wie „Desintegriert Euch!“ oder „Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt“. Das ist unbequem im öffentlich-rechtlichen Diskurs, denn die lustvolle Freude an Paradoxien der Repräsentation, für die es keine Auflösung gibt, ist unverkennbar.

Und wenn der prominente Reform- Bürgermeister Dirk Neubauer hinzufügt: „Das repräsentative System repräsentiert nicht mehr“, dann ist erstmal alles gemeint, von der Politik bis zur öffentlichen Kunstkultur. Dass das all jene Politiker*innen emotionalisiert, die zuhause ihren „Hochkulturcontainer“ zu stehen haben und gleichzeitig den Druck zur Veränderung durch lauter werdende Freie Träger spüren, ist plausibel.

Was tun? Der Vermutung Max Czolleks, dass sich „jenseits von Gewerkschaften und Parteien“ ein neues soziales System entwickle, konnte man beim Besuch der Foren einiges abgewinnen. Dort kreiste vieles um Partizipation, um Kunst und Kultur ohne die Filter von Expertenjurys, im direkten Auftrag diverser Bürger*innen. Wie wäre es, so der Wunsch, mit entsprechenden Infrastrukturen?

So wie der Kongress mit einer Frage begann, endete er auch mit der einer Zuhörerin: „Nach allem, was wir die Tage gehört haben: Ist dieses Kongressformat überhaupt angemessen?“ Das klingt, als bräuchten wir nicht nur Demokratiekünstler*innen, sondern ebenso Kongresskünstler*innen. Das kann durchaus sein, denn ja, wenig vom Eigenen scheint gerade sicher zu sein.

Stefan Rosinski

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