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Selbstverwaltet und emotional. Das Freiburger Originalklang-Ensemble erfindet sich immer wieder neu.

© Annelies van der Vegt

30 Jahre Freiburger Barockorchester: Musiker, die plötzlich fliegen

Von der Musikhochschule in die Champions League: Das Freiburger Barockorchester feiert sein 30-jähriges Bestehen.

Die Streicher des Freiburger Barockorchesters spielen bis auf die beiden Cellisten im Stehen. Die Energie des Ensembles überträgt sich sofort auf das Publikum. Mit einem Kopfnicken gibt Kristian Bezuidenhout am Hammerflügel den Einsatz in Carl Philipp Emanuel Bachs Klavierkonzert Nr. 1 in C-Dur.

Die Intensität des Spiels verwundert, denn das Gehörte erklingt nicht im Konzert, sondern in einer öffentlichen Probe im Freiburger Ensemblehaus. Und warum musiziert jede und jeder bei diesem Durchlauf mit solcher Leidenschaft? „Weil wir einfach nicht anders können. Zurücklehnen kann man sich bei uns nicht – auch nicht in der Probe“, erklärt die Geigerin Petra Müllejans, die zu den Gründungsmitgliedern gehört. „Wegen dieses unbedingten Ausdruckswillens sind wir Musiker geworden! Wahrscheinlich waren wir schon als Kinder so und haben zum Glück dieses Ventil gefunden.“

Vor mehr als dreißig Jahren begann dieses Klangabenteuer im Dunstkreis der Freiburger Musikhochschule: „Es gab wirklich die vielzitierte Silvesternacht 1985, als sich einige Studenten von Rainer Kussmaul und Ulrich Koch trafen, um auf Barockinstrumenten und Darmsaiten zu musizieren“, erzählt Petra Müllejans. Die langjährige künstlerische Leiterin des Orchesters, die ihr Amt, das sie gemeinsam mit Gottfried von der Goltz ausführte, im letzten Sommer an Kristian Bezuidenhout weitergab, erzählt von basisdemokratischen Strukturen, uferlosen Proben und einem großen Idealismus, der sich bis heute gehalten habe. „Die Anfangsjahre waren nicht leicht. Man wurde belächelt. Auch die Stadt Freiburg hatte zunächst kaum Interesse an dieser freien Formation. Finanziell musste sich jeder mit anderen Engagements oder Instrumentalunterricht über Wasser halten.“

1992 ist das FBO in Spanien, England und den USA zu hören

Dennoch ging es erstaunlich schnell bergauf mit dem neugierigen, vitalen Ensemble. Nach dem ersten öffentlichen Konzert unter dem Namen „Freiburger Barockorchester“ am 8. November 1987 im badischen Lahr kam durch das Gründungsmitglied Thomas Hengelbrock schon ein Jahr später eine Zusammenarbeit mit dem RIAS-Kammerchor zustande. Engagements beim wichtigen Alte-Musik-Festival Utrecht und dem Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Wettbewerb in Hamburg machten die Freiburger überregional bekannt. 1992 ist das FBO erstmals in Spanien, England und den USA zu hören.

Auch als Opernorchester erspielt sich das Ensemble unter Dirigenten wie Ivor Bolton und René Jacobs einen erstklassigen Ruf. Mit der 1996 installierten Konzertreihe im damals neu gebauten Freiburger Konzerthaus, die drei Jahre später auch nach Stuttgart und Berlin exportiert wird, sichert sich das Originalklang-Ensemble ein großes Stammpublikum.

Seit 2012 hat das Orchester gemeinsam mit dem befreundeten, auf Neue Musik spezialisierten Ensemble Recherche seinen Sitz im Freiburger Osten. Hier im Ensemblehaus finden die Proben und Aufnahmen statt. Auch die Büroräume und das Notenarchiv befinden sich in dem dunklen Betongebäude – kurze Wege garantieren eine schnelle und direkte Kommunikation.

Das Orchester spielt in zwei Produktionen der Staatsoper

Heute spielt das FBO 80 bis 100 Konzerte pro Saison und sitzt bei durchschnittlich zwei Opernproduktionen im Jahr im Orchestergraben. Als Gesellschafter sind die 28 nach Tagessätzen bezahlten Musiker selbst für den Erfolg des Orchesters verantwortlich. Ein achtköpfiges Management-Team um den Intendanten Hans-Georg Kaiser sorgt für professionelle Rahmenbedingungen. „Wir sind seit Beginn als GbR organisiert, weil diese eine einfache Art der Zusammenarbeit von Gleichen ermöglicht“, erklärt Kaiser. „Großes Manko ist, dass die derzeit 28 Gesellschafter in vollem Umfang persönlich haften. Am Anfang war das kein Problem, aber für ein Unternehmen mit einem Umsatz von 4 Millionen Euro ist das keine geeignete Rechtsform. Deshalb prüfen wir verschiedene Stiftungsmodelle und sind auch im Gespräch mit Stadt und Land.“

Auch musikalisch gibt es mit dem neuen künstlerischen Leiter Kristian Bezuidenhout Veränderungen: „Ich möchte mehr barockes Repertoire vom Cembalo aus machen. Bach, Händel, Purcell und noch frühere Sachen – auch mit Gesang. Das Ganze wird in eine eher kammermusikalische Richtung gehen.“ Am Freiburger Barockorchester schätzt der Südafrikaner die klangfarbliche Raffinesse und enorme Präsenz: „Die Musikerinnen und Musiker sind, unabhängig von der Besetzung, plötzlich in der Lage zu fliegen, loszulassen und in die Atmosphäre und Emotion des betreffenden Stücks einzutauchen“, schwärmt Bezuidenhout.

Die kommende Berliner Saison besteht nicht nur aus den sieben Abonnement- Konzerten in der Philharmonie und im Kammermusiksaal mit Beethovens „Missa solemnis“ unter René Jacobs am 13. Mai 2019 als Höhepunkt, sondern das Orchester ist auch in zwei verschiedenen Produktionen in der Staatsoper Unter den Linden zu erleben. Neben Claudio Monteverdis „L'Orfeo“ in der Choreografie von Sasha Waltz im November 2018 wurde das FBO auch für die Neuproduktion von Jean-Philippe Rameaus „Hypollyte et Aricie“ (Premiere am 25. Nov.) engagiert. Für dieses spezielle französische Repertoire hat sich Dirigent Simon Rattle die Freiburger nämlich ausdrücklich gewünscht.

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