Kultur: „Acht Fräcke mit Kerlen drin“
Königin des Durchhaltens und des morbiden Leids: Neues zum 100. Geburtstag der Ufa-Schauspielerin Zarah Leander
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Skandalös: die Dame ist in Nachtclubs aufgetreten. „Faktisch, ich habe getingelt“, wirft sie den Kriegerwitwen und Honoratiorengattinnen an den Kopf, die sich schon das Maul über sie zerrissen haben. Sie beugt sich dabei ein wenig herab, ihr Dekolletee kommt prächtig zur Geltung. Dann beginnt sie zur Pianobegleitung zu singen: „Eine Frau wird erst schön durch die Liebe / Ganz allein nur durch die Liebe / Erst beim Küssen beginnt sie zu blühen / Und zu blühen heißt wild wie ein Feuer beginnt sie zu sprühen.“ Eine Hymne auf die sexuelle Selbstbestimmung. Als der letzte Ton verklungen ist, rauscht sie von dannen, eine indignierte Abendgesellschaft von Kleinstadtspießern zurücklassend.
Die Szene aus dem 1938 entstandenen Film „Heimat“ wirkt wie ein Kommentar zu Zarah Leanders Rolle im Film des Dritten Reichs. Die Schwedin entsprach in keiner Weise dem von den Nationalsozilisten propagierten Frauenbild der ungeschminkten, blonden Erbguthüterin, sie brachte einen Hauch mondäner Verruchtheit in ein Land, das sich in Selbstvergötzung und Fremdenhass eingekapselt hatte. Mit tiefer, erotisch lodernder Stimme sang sie Schlager, die mit ihren angejazzten Rhythmen und doppelbödigen Texten den Hedonismus der Weimarer Republik weiterzutragen scheinen: „Eine Frau von heute zieht ein schönes Kleid immer gerne an / Doch genauso gern zieht sie’s aus“, „Man fürchtet, ich könnte die behüteten Neffen im Spielsalon oder Himmelbett treffen – Yes Sir“, „Kann denn Liebe Sünde sein? / Darf denn niemand wissen, wenn man einmal alles vergisst vor Glück?“
Einmal alles vergessen. Zarah Leander stieg im Zweiten Weltkrieg zur beliebtesten Schauspielerin der Deutschen auf, auch deshalb, weil die Zuschauer in ihren Filmen von einem Dasein ohne Bomben und Lebensmittelkarten träumen konnten. „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“, der Hit aus dem Film „Die große Liebe“, hat das Zeug zur Durchhaltenummer. Die Zeilen sind dem homosexuellen Texter Bruno Balz in der Gestapo-Haft eingefallen. Von Hingebung und Verzicht erzählen Leanders Melodramen, doch unter den Gefühlsaufwallungen tritt die NS-Ideologie mitunter überraschend offen zutage. In „Heimat“ spielt die Leander eine gefeierte Sängerin, die für ein Konzert aus Amerika in ihre wilhelminische Heimatstadt zurückkehrt. „Es handelt sich um eine Amerikanerin, die für die Oper geht“, empört sich ein Kapellmeister. „Aber zu Bach gehört doch eine deutsche Sängerin!“ Auch „Der Weg ins Freie“ ist ein um das Schicksal einer Opernsängerin gestrickter Kostümschinken, nebenbei liefert er die antisemitische Karikatur lüsterner, geldgeiler jüdischer Konzertagenten. Und „Die große Liebe“ handelt von einer Passion, die immer wieder vom Krieg unterbrochen wird. Leander lernt im Luftschutzkeller einen von Viktor Staal gespielten Fliegeroffizier kennen, ihre Hochzeit muss mehrfach verschoben werden, weil er an die Front gerufen wird. Knapp 28 Millionen Zuschauer sehen „Die große Liebe“, es ist der kommerziell erfolgreichste deutsche Film der Kriegsjahre. Die Leander, clever gemanagt von ihrem zweiten Ehemann Vidar Forsell, kassiert pro Rolle eine halbe Million Reichsmark. Ähnlich hohe Gagen erreicht ansonsten nur noch Hans Albers.
Sie sei eine „politische Analphabetin“ gewesen und habe sich in Deutschland manchmal wie eine „lebende Reklamepuppe“ gefühlt, rechtfertigt sich Zarah Leander nach dem Krieg für ihre Erfolge im Nationalsozialismus. Schon im Herbst 1943, nach zehn Filmen in Deutschland, kehrte die Diva nach Schweden zurück. Ihre Villa in Berlin-Dahlem war von Bomben getroffen worden, die von Goebbels angebotene deutsche Staatsbürgerschaft hatte sie abgelehnt. In Schweden wird sie angefeindet, beim Rundfunk landen ihre Platten in einem mit einem Totenkopf verzierten „Giftschrank“. Ein Foto aus dem Mai 1941 gilt als Beweisstück des Landesverrats. Es zeigt Leander inmitten von deutschen Soldaten im besetzten Paris, Postkarten signierend. Sie habe aber auch französischen Polizisten Autogramme gegeben, versichert die Angegriffene.
In ihren Melodramen erscheint die Leander als Königin des Leidens und Ausharrens. Oft steht sie statuarisch neben Fenstern, manchmal weint sie auf dem Sofa, die Wange ans Polster gepresst. Ihre Dialogzeilen seufzt und haucht sie, als ob sie unter dauernder Migräne leide. Etwas von der Distanziertheit des Rollenfaches scheint die Schauspielerin in das wirkliche Leben mitgenommen zu haben. Als sie 1939 zum Wunschkonzert des „Großdeutschen Rundfunks“ eingeladen wird, will sie erst kurz vor dem Auftritt begriffen haben, dass dies eine Propagandasendung für deutsche Frontsoldaten ist. Sie tritt in einem schwarzen Abendkleid vor Hakenkreuzfahnen auf. „Aber was ist das für ein weißes Tuch, das sie in der Hand hält? Will sie damit etwas demonstrieren? Ein Zeichen ihrer schwedischen Neutralität abgeben?“, fragt die Autorin Jutta Jacobi in einer zu Leanders 100. Geburtstag erschienenen, leider etwas bruchstückhaft gebliebenen Biografie.
Zarah Leander, am 15. März 1907 in Karlstad geboren, war schon in ihrer schwedischen Heimat ein Star, sie profilierte sich mit Greta-Garbo-Persiflagen und einem Spottlied über Hitlers Deutschland: „Ich stehe im Schatten eines Stiefels.“ Nach dem Krieg gelang ihr ein Comeback, noch bis wenige Jahre vor ihrem Tod im Juni 1981 tingelte sie mit ihren Songs durch Kurhäuser und Fernsehstudios, zuletzt schreckte sie auch vor Kaffeefahrten nicht zurück. Doch am heftigsten gefeiert wurde sie, Goebbels’ ideale Lückenbüßerin für die nach Hollywood emigrierte Marlene Dietrich, während des „Dritten Reichs“. An die Euphorie bei der Berliner Premiere ihres ersten Ufa-Films „Zu neuen Ufern“ im Jahr 1937 hat sie sich noch als 65-jährige Memoirenschreiberin gerne erinnert: „Massenhaft Menschen. Scheinwerfer wie auf einer Eishockeybahn. Polizeieskorte auf Motorrädern. Dann im offenen Wagen die Diva und ihre Ehrengarde: acht Fräcke mit Kerlen drin. Oh, war das großartig, fast hätte man glauben können, dass etwas wirklich Wichtiges vor sich ging.“
Großartige Zeiten. Ein paar Jahre später, 1944, verliebt sich der Häftling Jorge Semprún im KZ Buchenwald in die Leander und ihre Stimme. In seinem Buch „Was für ein schöner Sonntag“ berichtet er: „Die Lautsprecher verbreiteten leise Musik. Der SS-Mann auf dem Wachturm musste eine Schwäche für die Lieder von Zarah Leander haben. Er spielte unentwegt Platten von ihr. Alle Lautsprecher des Lagers verbreiteten die tiefe, zuweilen metallisch vibrierende Stimme, diese Stimme, die nur von Liebe spricht.“ Wenn die Leander raunt, „Ich stehe im Regen und warte auf dich“, kann die Sehnsucht einem auch heute noch durch Mark und Bein fahren.
Die Biografie „Zarah Leander. Das Leben einer Diva“ (287 S., 22 €) ist bei Hoffmann und Campe erschienen. Das Label Bear Family hat die Box „Kann denn Liebe Sünde sein“ mit acht CDs mit Aufnahmen aus den Jahren 1936 bis 1977 wiederaufgelegt. Leanders Film „Premiere“ (Österreich 1936) startet heute bundesweit in 50 Kinos, in Berlin im Filmkunst 66 und den Hackeschen Höfen, Informationen unter www.delicatessen.org. Das Schwule Museum Berlin, Mehringdamm 61, eröffnet heute um 19 Uhr eine Leander-Ausstellung, die bis 28. Mai zu sehen ist, Mi-Mo 14–18, Sa 14-19 Uhr.
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