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Blick durch die Scheibe. Angela Merkel macht es wie die meisten westlichen Staatschefs: Zur Lage in Ägypten äußert sich die Bundeskanzlerin, wenn überhaupt, nur zurückhaltend.

© AFP

Arabische Welt im Umbruch: Ägypten steht auf, der Westen zaudert

Der Westen ist gegenüber Massenbewegungen in der muslimischen Welt skeptisch geworden. Die Folge ist Zaudern und Unentschlossenheit, dabei wäre es jetzt dringend notwendig, die Nahostpolitik zu überdenken.

Die iranische Revolution, die Hamas-Bewegung oder die Taliban – alles erzeugt im Westen Schreckensbilder von unterdrückten Frauen, von der Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamiyan oder gar Szenen von den fallenden Türmen in New York. Diese Haltung dominiert sowohl die Öffentlichkeit als auch die Nahostpolitik westlicher Regierungen. Hinzu kommen die realpolitischen Interessen der USA und der EU in der Region. Die EU will eine Stabilitätsgarantie im Nahen Osten, um Flüchtlingsströme zu vermeiden, während die USA den Nahost-Frieden für stabile Ölpreise und den Suezkanal-Verkehr brauchen.

Diese Rolle hat bis jetzt Ägypten unter der Führung Mubaraks gespielt. Er erfüllte seine Aufgaben mit Auszeichnung, genoss westliche und israelische Unterstützung. Um die Legitimation seines Staates innenpolitisch zu untermauern, täuschte er demokratische Reformen in Ägypten vor. 30 Jahre lang war sein einziges Ziel, an der Macht zu bleiben. Dafür hat er einen Sicherheitsapparat mit mehr als einer Million Polizisten und hochintelligenten Geheimdiensten aufgebaut. Mithilfe des seit seiner Machtübernahme gültigen Notstandsgesetzes sowie durch Folter und Inhaftierungen ist es seinem korrupten Regime gelungen, politische Gegner zu beseitigen. Mubarak schürte sogar bewusst Gewalt zwischen Moslems und Christen, um die lauernde Gefahr des Islamismus zu unterstreichen und die eiserne Hand zu legitimieren.

Sein wahres Gesicht zeigte der Präsident während der jüngsten „Tage des Zorns“, als er der Polizei am Freitag befahl, auf Demonstranten zu schießen – Hunderte starben, Tausende wurden verletzt und inhaftiert. Am Mittwoch, einen Tag nach der Ankündigung von demokratischen Reformen, ließ Mubarak Zivilpolizisten sowie bezahlte Schlägerbanden die friedlichen Demonstranten angreifen: wieder gab es Tote und Verletzte.

Und die Tage des Zorns finden kein Ende. Vulkanartig ist die seit 30 Jahren angestaute Wut nun ausgebrochen, die Menschen werden so lange auf den Straßen bleiben, solange Mubarak sich nicht verabschiedet. Dennoch bleibt er, vielleicht bis das ganze Land in Schutt und Asche gelegt wird. Die Weltgeschichte kennt viele Beispiele von Diktatoren, die bis zum Tod in ihrem Bunker blieben, weil sie nicht kapitulieren wollten.

Vor diesem Hintergrund wäre es dringend notwendig, dass der Westen seine Nahostpolitik überdenkt, denn die bisherigen politischen Kalküle gehen nicht mehr auf – weil die Massen in der arabischen Welt aufgebrochen sind, um selbst über ihr Schicksal zu entscheiden. Das klingt beängstigend: Warum ist die arabische Welt im Umbruch? Gibt es eine arabische Perestroika? Warum gehen Millionen auf die Straße? Haben sie eine politische Agenda? Wollen sie einen islamischen Staat? Die klassischen analytischen Instrumente reichen nicht aus, um dieses Phänomen zu erklären.

Die Träger dieser Zornesrevolution in Ägypten sind weder islamistisch noch kommunistisch motiviert, sie gehören zu keiner bestimmten Ideologie oder Partei. Vielmehr handelt es sich um die global vernetzte Jugend: Die Facebook-Generation, die aus der virtuellen Welt des Internets in die politische Realität eingetreten ist. Die neuen Kommunikationstechniken machten aus den jungen Menschen politisierte Aktivisten. Eine ihrer Symbolfiguren ist der Blogger Khalid Said aus Alexandria, der Drogenskandale der Polizei ins Netz gestellt hat, mit dem Ergebnis, dass Polizisten ihn aus dem Internetcafé gezerrt und auf offener Straße totgeschlagen haben. Sein Bild mit dem verstümmelten Gesicht wurde im Netz verbreitet. Eine Facebook-Gruppe mit dem Titel „Wir sind alle Khalid Said“ hat mehr als 445 000 Mitglieder.

In Zusammenwirkung mit weiteren Protestbewegungen steigerte sich das revolutionäre Potenzial. Die Gruppe um el Baradei etwa sammelte eine Million Unterschriften für die Veränderung Ägyptens. Die Forderungen der verschiedenen Gruppen sind fast identisch: Sturz des Regimes Mubaraks, Abschaffung des Notstandsgesetzes, die Bildung einer neuen modernen und zivilen Verfassung, freie Wahl für alle Bürger – eigentlich ganz normale und grundlegende Rechte.

Nach dem Erfolg der tunesischen Jasmin-Revolution am 14. Januar war den Ägyptern klar, dass auch sie in der Lage sind, ihr Land zu verändern. Sie haben im Internet den 25. Januar als Protesttag angekündigt, als „Tag des Zorns“. Eine Karikatur mit einem riesigen jungen Mann, der Khaled Said ähnelt, und der Mubarak wie eine lächerliche Puppe am Kragen baumeln lässt, diente als Aufruf für die Demonstrationen. Dieses Bild zeigt die Essenz der Revolution: gegen Folter, Ungerechtigkeit, Depression und Unterdrückung.

Diese neue Bewegung ist eine Chance, nicht nur für die Völker der Region, sonder für die ganze Welt. Die Massen verabschieden sich von islamistischen oder nationalistischen Ideologien und bewegen sich mit riesigen Schritten in Richtung Modernisierung, Säkularisierung und Demokratie. Das versichern die Slogans der Demonstranten. Sie warten nicht mehr auf Reformen von oben oder US-amerikanische Demokratisierungsbemühungen.

Ausgehend von der letzten Rede Mubaraks am Dienstag und der immer noch zurückhaltenden Haltung des Westens ist ein Ende noch nicht absehbar. Zwar hat sich der Ton westlicher Politiker weiter verschärft. Aber es gibt immer noch keine klare Aussage, dass der Mann verloren hat, weil er die Stimme des Volks nicht hört und den historischen Moment nicht verstanden hat. Es gibt immer noch keine klare Botschaft, dass er gehen muss, und endlich für diese Generation Platz machen soll. Die jungen Ägypter wollten eine friedliche Revolution führen, aber Mubarak und seine alte Garde machen daraus ein blutiges Chaos.

Deutsche Politiker beobachten die politischen Parameter des Weißen Hauses und geben leere Äußerungen ab wie „Wir sind besorgt“ oder „Die Ägypter müssen selbst entscheiden, von wem sie regiert werden wollen“. Ist das genug für einen Verbrecher, der Schlägerbanden auf seine Mitbürger hetzt und Schießbefehle auf Demonstranten erteilt? Ist das der Urenkel von Kant und Hegel würdig? Wäre hier nicht eine Chance, zur Demokratisierung der armen Welt beizutragen?

Je länger dieser Prozess der politischen Transformation dauert, um so größer die Wahrscheinlichkeit einer Umkehrung in der Bewegung, wenn etwa die Muslimbrüder die neue zivile Bewegung missbrauchen. Wie sollte sich der Westen dazu positionieren? Will man einen neuen Nahen Osten mit einer selbst gemachten Demokratie und somit weniger Chancen für Terrorismus und gefährliche Ideologien? Oder weiterhin loyale Despoten, die für angebliche Sicherheit und Stabilität sorgen? Dann wird man den Terrorismus weiterhin mit deutschen Truppen in Afghanistan bekämpfen müssen.

Das Problem wird eher sein, dass der Westen diesen historischen Moment verpasst und keine Entscheidungskraft mehr hat. Denn die Massen in Ägypten und in weiteren arabischen Ländern haben längst entschieden. Das Baby „Revolution des Zorns“ wird nicht in der Wiege ersticken, wie viele fürchten – auch ohne Unterstützung des Westens.

Der Autor ist Politologe am Centrum für Nah- und Mittelöstliche Studien an der Universität Marburg.

Atef Botros

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