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Deutsches Lieblingsbild. Der Maler schuf den „Feldhasen“ in Aquarell und Deckfarben im Jahr 1502.

©  Albertina, Wien

Albrecht Dürer in Wien: Aufbruch in eine neue Zeit

Die Albertina in Wien zeigt nach 16 Jahren wieder eine Ausstellung zum Gesamtwerk von Albrecht Dürer. Es werden auch neue Erkenntnisse der Forschung vermittelt.

Der 550. Geburtstag von Albrecht Dürer liegt noch zwei Jahre voraus, aber es kann nicht schaden, rechtzeitig mit einer Ausstellung am Markt zu sein. Die Albertina, das mit knapp einer Million Sammlungsstücken so unglaublich reiche Wiener Grafikmuseum mit dem umfassendsten Bestand an Dürer-Grafik überhaupt, könnte gelassen das Jubeljahr abwarten.

Doch der Ehrgeiz seines Direktors Klaus Albrecht Schröder, der nach seinem Amtsantritt das sanft verdämmerte Haus in die Gegenwart katapultiert hat und die Wiedereröffnung vor 16 Jahren mit einer Dürer-Ausstellung zelebrierte, zielt seit jeher auf das ganze Œuvre eines jeweils ausgestellten Künstlers.

Und die Gemälde, die Schröder diesmal auszuleihen vermochte, werden 2021 eher nicht zur Verfügung stehen, wenn die betreffenden Museen naturgemäß ihren eigenen Dürer-Bestand präsentieren wollen.

Um es vorwegzunehmen: Was die Albertina derzeit vorführt, ist schlichtweg spektakulär, und es ist sehr die Frage, ob es überhaupt einem weiteren Museum gelingen wird, solche Meisterwerke wie die „Anbetung der Könige“ aus den Florentiner Uffizien, die „Marter der zehntausend Christen“ aus dem – freilich nahen – Kunsthistorischen Museum Wien oder das Spätwerk des „Heiligen Hieronymus“ aus dem Nationalmuseum Lissabon zusammenzubekommen.

Aber hat die Albertina derlei überhaupt nötig – die nebeneinander an einer Wand das „Große Rasenstück“, den „Feldhasen“ und den „Flügel einer Blauracke“ zeigen kann, allesamt Aquarelle mit Deckfarben von und nach 1500, die eine nie zuvor und nie mehr danach erreichte Wirklichkeitstreue, ja eine dem einmaligen Blick unmögliche Beobachtungsschärfe zeigen?

Überwältigendes Œuvre

So ließe sich weiter jubilieren. Die Frage indessen stellt sich, was der Ertrag einer solchen Best-of-Show sein kann. Dürer ist einer der am besten dokumentierten Künstler der deutschen Renaissance. Sein Œuvre ist überwältigend, trotz schlimmer Verluste wie dem im 18. Jahrhundert in der Münchner Residenz verbrannten Heller-Altar.

Vor allem das zeichnerische und druckgrafische Werk, das dieser Kunstunternehmer in eigener Sache geschaffen hat, ist konkurrenzlos riesig (sorry, Rembrandt!). Dazu hat Dürer vier theoretische Werke höchsten Anspruchs verfasst, und wir sind über sein Tun und Treiben durch eine umfangreiche Korrespondenz und tagebuchartige Aufzeichnungen bestens informiert.

Bestens? Vor ein paar Jahren überraschte das Germanische Nationalmuseum in Dürers Heimatstadt Nürnberg mit der These, der junge Dürer sei 1494/95 gar nicht, wie bis dato als unumstößlich angenommen, bis nach Venedig gekommen, sondern habe in oder hinter Trient Halt gemacht, auf die Nachricht von einer der wiederkehrenden Epidemien in der Lagunenstadt hin.

Als Plausibilitätsnachweis wurde das Fehlen jedweden Landschaftsaquarells südlich von Trient angeführt. Christof Metzger, der Kurator der Wiener Ausstellung, verwirft solchen Zweifel und kann auf einen Brief von der zweiten, bestens belegten Venedig-Fahrt 1506 verweisen, in dem Dürer auf ein „Ding“ rekurriert, das er elf Jahre zuvor in der Lagunenstadt gesehen hatte.

Oft keine Vorstudien nachweisbar

Mit gleicher Verve weist Metzger seinem Dürer die Autorschaft an der elfteiligen Folge von Federzeichnungen der sogenannten „Grünen Passion“ zu, so benannt nach dem verwendeten grünen Papier. Sie wurden gelegentlich der Werkstatt des Meisters zugeschrieben; wohl auch, weil der Zweck des Zyklus unentschlüsselt ist. Als Druckvorlage jedenfalls konnten sie nicht dienen, sodass Metzger den Zyklus nun als autonomes Werk für einen vermögenden Auftraggeber plausibel macht.

Entschieden setzt sich Metzger dafür ein, die genannten Naturstudien als autonome Werke, nämlich als Demonstrationsstücke für die Kunden seiner noch jungen Nürnberger Werkstatt zu verstehen und nicht als Vorstudien für was auch immer.

Ohnehin verblüfft, wie oft gerade keine Vorstudien zu Gemälden nachweisbar sind. Stattdessen gibt es des Öfteren Papierarbeiten, die parallel zur Malerei entstanden sein müssen, dem Grad ihrer eigenen Vollkommenheit halber.

Derlei Fragen von Autorschaft und Herstellungsprozess bewegen die Kunstwissenschaft, kaum jedoch das Publikum. Das wird in Wien einmal mehr überwältigt sein von der Könnerschaft und der thematischen Vielfalt des hier in 200 Beispielen ausgebreiteten Dürerschen Œuvres.

[Wien, Albertina, bis 6. Januar, täglich geöffnet. Katalog (Großformat, 488 S., durchgehend farbig ill.) 34,90 €. – Weitere Informationen unter www.albertina.at]

Manches muss sogar zu kurz kommen, wie die Arbeiten für Kaiser Maximilian zwischen 1512 und dem Tod des Kaisers 1519, die die Albertina bereits vor sieben Jahren ausführlich gewürdigt hat, auch wenn ein weiteres Mal die „Triumphpforte“ zu sehen ist, an der Dürer mitgearbeitet hat. Gänzlich fehlt natürlich das späte Meisterwerk der Doppeltafel der „Vier Apostel“, die Münchens Alte Pinakothek nicht verlassen dürfen.

Die Fülle der grafischen Arbeiten jedoch ist in Wien überwältigend und zeigt einen Künstler, der zwischen seiner spätmittelalterlichen Herkunft, der Begegnung mit der Antike, der Erarbeitung unbedingter Naturwahrheit und schließlich den Glaubenskämpfen einer unruhigen Zeit ein nach allen Seiten offenes und aufnahmebereites Werk schafft, eine einzigartige Synthese aus Nord und Süd, aus Antike und Gegenwart, Rittertum und Humanismus, Frömmigkeit und Reformation.

Die Dürer-Ausstellung von 2003 verzeichnete eine halbe Million Besucher, und weniger werden es auch diesmal kaum werden. Unter den Rekord-Ausstellungen des Herbstes kann allein die Leonardo-Schau des Pariser Louvre ab Ende Oktober gegenhalten – eine Idealkonkurrenz, wenn man so will, zweier Universalkünstler der Renaissance, die je auf ihre Weise den Aufbruch des Abendlandes in ein neues Zeitalter markieren.

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