
© © VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Courtesy The Estate of Alina Szapocznikow | Galerie Loevenbruck, Paris | Hauser & Wirth, Foto: Wynrich Zlomke
Alina Szapocznikow in Ravensburg: Eine Künstlerin erkämpft sich nach Krieg und Konzentrationslagern ihren Weg
Lange Zeit zu Unrecht übersehen: Die polnische Bildhauerin Alina Szapocznikow wird jetzt im Kunstmuseum Ravensburg mit einer imposanten Einzelausstellung geehrt.
- Nicole Büsing
- Heiko Klaas
Stand:
„Klassische Bronzen treten zur Seite, um Pfützen von ausgeschüttetem Kunstharz ihren Platz einzuräumen.“ Treffender, als es die „New York Times“ 2012 tat, lässt sich die künstlerische Entwicklung der polnisch-französischen Bildhauerin Alina Szapocznikow kaum beschreiben.
Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich die zeitweise dem sozialistischen Realismus verpflichtete Künstlerin zu einer der innovativsten Bildhauerinnen ihrer Zeit. Eine Karriere, die viel zu früh endete: Szapocznikow starb 1973 mit nur 46 Jahren.
Kennern der Bildhauerei ist sie als experimentierfreudige Pionierin längst vertraut. Zu ihrem Ruf trugen die Lust auf unorthodoxe Materialien und der Mut bei, sich auch an große Dimensionen und existenzielle Fragestellungen heranzuwagen. Beim breiten Publikum ist sie allerdings noch weitgehend unbekannt.
Die Ausstellung „Alina Szapocznikow – Körpersprachen“ im Kunstmuseum Ravensburg dürfte dazu beitragen, dass sich das ändert. Museumsdirektorin Ute Stuffer und Gastkuratorin Ursula Ströbele haben mehr als achtzig Skulpturen, Zeichnungen und Fotografien zusammengetragen.
Ihre Ausstellung vermittelt einen profunden Einblick in Leben und Werk der Holocaust-Überlebenden. Zum positiven Gesamteindruck trägt die elegante Ausstellungsarchitektur mit Raumteilern aus transparenter Gaze bei, welche Durchblicke gleichzeitig versperren und ermöglichen.
Geboren 1926 als Kind eines jüdischen Ärztepaars, erfährt Alina Szapocznikow schon als junges Mädchen die Gräuel der deutschen Besatzung. Ihr Leidensweg führt sie über die Ghettos in Pabianice und Łódź in die Konzentrationslager Auschwitz und Bergen-Belsen und schließlich nach Theresienstadt, wo sie 1945 von der Roten Armee befreit wird.
Die Künstlerin erkämpfte sich ihren Weg
Den erlittenen Traumata zum Trotz, vielleicht aber auch als Akt der Befreiung davon, beginnt sie schon kurz nach dem Krieg ein Kunststudium in Paris. Dort begegnet sie erstmals modernen bildhauerischen Positionen von Alberto Giacometti, Jean Arp oder Henry Moore. Im Alter von 23 muss sie wegen einer schweren Tuberkulose ihr Studium abbrechen und, bedingt durch Geldmangel, zunächst nach Polen zurückkehren.
Zurück im kommunistischen Polen, entstehen zunächst klassisch-figurative Skulpturen, jedoch bereits mit einem Zug ins Rebellische. Der 1956 entstandene lebensgroße Akt „Trudny wiek“ („Schwieriges Alter“) etwa zeigt eine moderne junge Frau mit Pferdeschwanz und selbstbewusst in die Seite gestütztem Arm.
Ich bin davon überzeugt, dass von allen Äußerungen des Vergänglichen der menschliche Körper am verwundbarsten ist, die einzige Quelle aller Freude, allen Leidens und aller Wahrheit.
Alina Szapocznikow
Die Künstlerin beteiligt sich an Wettbewerben für Monumente zu Ehren der Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. Einige Entwürfe sind in Ravensburg zu sehen, darunter eine überdimensionale, deformierte Hand als Denkmal für die Helden des Warschauer Ghettos.
1963 kehrt Szapocznikow nach Paris zurück, wo sie in zweiter Ehe den polnischen Grafiker Roman Cieślewicz heiratet.
Das große Verdienst der Ravensburger Ausstellung besteht darin, Szapocznikows tabufreie Hinwendung zur Ambivalenz des menschlichen Körpers, namentlich auch ihres eigenen, nachzuzeichnen. „Ich bin davon überzeugt, dass von allen Äußerungen des Vergänglichen der menschliche Körper am verwundbarsten ist, die einzige Quelle aller Freude, allen Leidens und aller Wahrheit“, schreibt sie 1972 in einem manifestartigen Aufruf.
In Ravensburg sind jetzt Arbeiten zu sehen, die das erotische Potenzial von Körperfragmenten mit spielerischem Ernst ausloten, etwa eine Reihe sexuell aufgeladener Tischlampen aus farbigem Polyesterharz. Die Künstlerin kombiniert in Fragmente zerlegte Abgüsse von weiblichen Brüsten, Lippenpartien, teils provokant aufgeständert auf phallusförmigen Lampenfüßen zu Leuchtkörpern, die Weibliches und Männliches surreal miteinander verschmelzen.

© Philipp Knop
Aufgrund ihrer ostentativ leichten Konsumierbarkeit hinterfragen diese Arbeiten zugleich die Objektifizierung des meist weiblichen Körpers in Werbung und Unterhaltungsindustrie.
Anhand von Schlüsselwerken beleuchtet die Ausstellung Szapocznikows Hinwendung Anfang der 1960er Jahre in Paris zu flüssigen Kunststoffen wie Polyurethan und Polyesterharz, die sich erst nach der Schüttung aushärten. Die Wandarbeit „Noyée Plongée“ (1968) etwa zeigt den entblößten Oberkörper einer jungen Frau mit lippenstiftroten Brustwarzen.
Das verkleinert dargestellte Körperfragment tritt aus einer an erstarrte Lava erinnernden Masse hervor. Wie so oft arbeitet Alina Szapocznikow auch hier mit dem Wechselspiel aus Attraktion und Abstoßung, Schönheit und Vergänglichkeit.

© Philipp Knop
1969 erfährt die Künstlerin, dass sie an Brustkrebs erkrankt ist. Auch dieser existenziellen Bedrohung verleiht sie skulpturale Präsenz. Es wirkt, als versuche sie die Tödlichkeit dessen, was in ihrem Körper wuchert, zu bannen, indem sie es nach außen verlagert und „begreifbar“ macht.
Dabei entstehen ebenso verstörende wie anrührende Tumor-Skulpturen. Die aus einem oder mehreren Klumpen bestehenden Gebilde erinnern mit ihren zerklüfteten, changierenden Oberflächen an stark vergrößerte medizinische Präparate.
Ein kurzer Dokumentarfilm zeigt die Künstlerin in ihrem Pariser Atelier. Den wenig sensiblen Fragen des männlichen Interviewers nach ihren Erfahrungen in den Konzentrationslagern weicht sie mit bewundernswerter Nonchalance aus. Über Einzelheiten ihres Martyriums hat sie in der Öffentlichkeit nie geredet.
In nur rund zwei Jahrzehnten hat Alina Szapocznikow trotz aller Widrigkeiten ein Werk geschaffen, das heute in einer Reihe mit Bildhauerkolleginnen wie Louise Bourgeois, Eva Hesse oder Hannah Wilke steht.
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