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Konzept für die Documenta 16 in Kassel vorgestellt: Naomi Beckwith sorgt für Aufbruchstimmung
Die Mutmacherin: Nach der turbulenten letzten Ausgabe verspricht die neue Documenta-Chefin klare Linien bei Rassismus und will den Blick gen Süden wie Norden weiten.
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Ginge es nach den Kasselern, dann ist der Erfolg der nächsten Documenta gesichert. Naomi Beckwith gilt bereits als Retterin der umstrittenen Großausstellung. Wie nicht anders zu erwarten, nahm die US-amerikanische Kuratorin bei der Präsentation ihres Konzepts und der Vorsichtsmaßnahmen gegen Antisemitismus ihr Publikum sofort für sich ein.
Erst im Dezember war die stellvertretende Direktorin des New Yorker Guggenheim Museums in Kassel als neue Leiterin vorgestellt worden und auf positive Resonanz gestoßen. Die mittlerweile zweite Berufungskommission hatte mit ihr in erhoffter Rekordzeit also eine gute Wahl getroffen.
Beckwiths nächster Auftritt in Kassel ein Vierteljahr darauf ist Teil des Krisenmanagements und der veränderten Strukturen, um ein Desaster wie beim letzten Mal nicht wieder passieren zu lassen. Das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa hatte mit der Documenta Fifteen 2022 eine schwere Krise ausgelöst, nachdem Werke mit antisemitischen Motiven aufgetaucht waren, für die niemand Verantwortung übernehmen wollte.
Beckwith kündigt „Null Toleranz“ bei Rassismus an
Ihre Nachfolgerin reagiert darauf mit fester Hand: „Meine Aufgabe ist es, einen Rahmen zur Verfügung zu stellen,“ sagte sie nun. Wie schon im Dezember versprach die Kunsthistorikerin, dass sie bei Rassismus und Antisemitismus einen Null-Toleranz-Standpunkt vertrete.

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Wie dies praktisch umgesetzt werden soll, wo die Freiheit der Kunst endet und Diskriminierung beginnt, wird sich allerdings erweisen müssen, wenn die 100-Tage-Ausstellung am 12. Juni 2027 beginnt.
Ähnlich vage blieb Beckwith bei ihrem kuratorischen Konzept. Wie kaum anders zu erwarten, wurde sie wenig konkret, auch wenn ihre Vorbereitungszeit durch die Turbulenzen der letzten Ausgabe um ein Jahr verkürzt ist und sie sehr viel schneller Entscheidungen treffen muss.
Stattdessen berichtete die 49-Jährige aus ihrer Lebens- und Arbeitsbiografie, präsentierte sie sich selbst als Mensch und Macherin, jemand, der Partys und Tanz lieben würde. „Musik spielt eine wichtige Rolle in meinem Denken“, bekannte sie. Das werde sich auch bei der nächsten Documenta erweisen.
Die rund 700 Zuhörer in der Documenta-Halle reagierten auf Beckwiths Vortrag mit anhaltendem Applaus. Ihre Ankündigung, im Sommer aus den Vereinigten Staaten nach Kassel umzuziehen, kam ebenfalls gut an.

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Mit ihren ersten Schritten macht Naomi Beckwith also alles richtig. Sie schenkt den verunsicherten Kasselern Kraft ihrer Persönlichkeit das Vertrauen in die Documenta zurück. Als internationaler Figur und Managerin eines der bedeutendsten zeitgenössischen Museen wird ihr zugetraut, die weltweite Bedeutung des Großereignisses wieder herzustellen. „Meine Familie war Teil der großen schwarzen Community in Chicago“, erzählte sie von sich; die panafrikanische Bewegung habe ihr globales Bewusstsein geprägt.
Unsere unterschiedlichen Identitäten betrachten wir als eine Stärke und nicht als Grund für Spaltung.
Naomi Beckwith, Kuratorin
Anders als das Kuratorenkollektiv Ruangrupa, das den Fokus auf den globalen Süden richtete, sucht die neue Leiterin einen „transkulturellen Austausch“ in alle Richtungen: „Ich versuche die Puzzlesteine verschiedener Visionen vom Norden und Süden zusammenzubringen.“ Auch dies sorgte für Erleichterung, fremdelte Kassel doch mit den aus Asien und Afrika zur letzten Documenta geladenen Künstlerkollektiven, deren Arbeitsweisen vielen verschlossen blieb.
„Was benötigt die Documenta?“ stellte Beckwith als Frage in den Raum und nannte die großen Probleme der Gegenwart: Zwangsmigration, Ressourcenabbau, Einschränkung der Rechte von Minderheiten. Wie alle ihre Vorgänger glaubt auch sie an Impulse durch Künstler. Sie hätten immer Strategien und Räume geschaffen, auch in Zeiten der Krise, so Beckwith. Auf die Documenta käme allerdings eine neue Ära zu, in der sich erweisen müsse, was vom alten Utopismus der Großausstellung noch bliebe.
Mit Beckwith hat eine Mutmacherin die Documenta übernommen. „Unsere Zusammenarbeit mit Künstlern und künstlerischen Teams wird geprägt sein von tiefem gegenseitigem Respekt und einer Haltung des Teilens“, versprach die Kuratorin. „Unsere unterschiedlichen Identitäten betrachten wir als eine Stärke und nicht als Grund für Spaltung.“
Sollte ihr dies gelingen, könnte Kassel sogar Vorbild sein für andere Biennalen und Großausstellungen, die an politischen Bekenntnissen zu zerbrechen drohen.
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