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Kultur: Alle Macht der Jugend

Demokratisierung von innen? Irans Reformer und Konservative liegen im Clinch

Parlamentarier im Sitzstreik. Ein Präsident, der mit Rücktritt droht. Eine Friedensnobelpreisträgerin, Schirin Ebadi, die das begrüßt: Die Auseinandersetzung zwischen Irans Reformern und Konservativen spitzt sich zu in diesen Tagen vor der Wahl am 20. Februar. Dabei haben viele unter Irans Reformern und Intellektuellen eigentlich resigniert. Die Hoffnung auf eine Reform von innen ist geschwunden, die Entfremdung zwischen Politik und Bevölkerung wird immer größer. Deutlich wurde dies auch anlässlich des Erdbebens von Bam, dem etwa 45000 Menschen zum Opfer fielen. Warum musste es soweit kommen, fragte der angesehene Intellektuelle Masud Behnud und warf den Herrschenden vor, das Land auszubluten. „Eigentlich ist Iran ein reiches Land. Aber es herrschen Misswirtschaft und Korruption. Deshalb bauen die Menschen mit den allerbilligsten Materialien, die ihnen beim kleinsten Erdstoß auf den Kopf fallen.“

Vor ein paar Jahren war die Stimmung noch anders. Als Mohammad Chatami im Mai 1997 zum Präsidenten gewählt wurde, sprach der Schriftsteller Huschang Golschiri von einer zweiten Revolution. Wie unzählige Andere sah er in Chatami einen Hoffnungsträger: „Unser Volk, Männer und Frauen, Jungen und Mädchen, haben Nein gesagt zu den Helfern der Partei Gottes und zum konservativen Wächterrat. Sie haben Ja zur Freiheit gesagt. Deshalb glaube ich, dass dies der Anfang einer zweiten Revolution ist. Vielleicht wird der Fehler korrigiert, den die Führer der Islamischen Republik in den vergangenen 18 Jahren begangen haben, eine Freiheit in Fesseln anzustreben.“

Der damalige Wahlsieg mit 70 Prozent der Stimmen kam einem Erdrutsch gleich. Nach Chatamis Amtsantritt wehte in Iran ein merklich liberalerer Wind: Das Kulturministerium lockerte die Buchzensur, Zeitungen, die offen Kritik übten, erhielten Lizenzen. kritisierten. Eine davon nannte sich die „Erste Zeitung der zivilen Gesellschaft“. Auch im Alltag gab es Anzeichen für einen Wandel: Das Kopftuch rutschte weiter nach hinten, die Jugendlichen wurden mutiger, hielten Händchen auf der Straße, feierten lautere Parties. Dennoch blieben grundlegende rechtliche Reformen aus. Zwar stellen die Reformer seit August 2000 die Mehrheit im Parlament, sie konnten aber wegen der Macht des Wächterrats kaum eines ihrer über 50 Gesetze durchbringen. 90 Prozent aller Gesetze, die das Parlament einbrachte, wurden vom Wächterrat als verfassungsfeindlich abgelehnt.

Inzwischen sind viele verzweifelt. Im Sommer 2002 waren rund 90 Prozent der Bevölkerung mit der islamischen Republik unzufrieden; an eine Reform von innen glaubt inzwischen niemand mehr. Es herrscht Politikverdrossenheit: An den Kommunalwahlen im Februar letzten Jahres beteiligten sich nur noch 14 Prozent der Wahlberechtigten. Die Konservativen gewannen haushoch: Nur sie konnten ihre Anhängerschaft mobilisieren.

Ebadi: Bitte nicht einmischen!

Auch die Reformpolitiker selbst geben ihrer Resignation immer deutlicher Ausdruck: In einer von 148 Parlamentariern unterschriebenen Erklärung bezeichneten sie im Juni 2003 den Anspruch des Revolutionsführers Chamenei, in Gottes Namen zu regieren und daher unfehlbar zu sein, als „Ketzerei“. Das Volk habe das Recht, die Handlungen seiner Führer zu überwachen, zu kritisieren und sie abzusetzen. Die Einsetzung einer „göttlichen und absoluten Macht“ und die damit verbundene Einschüchterung bedeute eine „Unterdrückung der menschlichen Würde“. Und kurz zuvor hatten 135 Parlamentarier in einem Protestbrief an den Revolutionsführer beklagt, dass einige Gruppen den Reformprozess zu stoppen versuchten, indem sie Attentate auf Regimekritiker verübten, Demonstrationen und Proteste niederschlügen, Zeitungen verbieten ließen und Intellektuelle und Journalisten inhaftierten.

Inzwischen sprechen sich viele offen dafür aus, dass die USA den Druck auf Iran erhöhen sollen – und sei es militärisch. Seit den Misserfolgen der Amerikaner im Irak sind diese Stimmen zwar leiser geworden, aber es gibt sie noch. Die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi warnt vor dieser Haltung: Veränderungen ließen sich nicht von außen herbeibomben. Trotz der Rückschläge im Reformprozess bleibt sie optimistisch: „Der Kampf muss im Inneren des Landes und der Gesellschaft geführt werden. Jede Einmischung erschwert dieses Ringen nur. Kein Staat hat das Recht, einem anderen seinen Willen aufzuzwingen, und wäre es, um das Gute durchzusetzen. Meistens kommt das Gegenteil dabei heraus.“ Ebadi ist überzeugt, dass die Konservativen den Demokratisierungsprozess auf die Dauer nicht aufhalten können.

Das Spektrum derer, die Reformen wollen, ist breit: Da sind revolutionsmüde Linksislamisten, Anhänger des mystischen Islams, rebellische Theologen, Intellektuelle und Künstler sowie die Technokraten innerhalb des Regimes, die aus wirtschaftlichen Gründen für eine Öffnung plädieren. Aber auch der Klerus in Qom, wo sich immer mehr Geistliche gegen eine politische Lesart des Islam stellen, will Reform. Und nicht zuletzt sind es die Frauen, die entgegen allen westlichen Klischees in der iranischen Gesellschaft sehr präsent und angesichts der verordneten Ungleichheit entschlossen sind, ihr Leben selbst zu bestimmen.

Der größte Wille zum Aufbruch aber kommt von den Jugendlichen. Iran ist ein außerordentlich junges Land, 70 Prozent der Iraner sind jünger als 30. Sie verbinden wenig mit der Revolution, sehen sich stattdessen Arbeitslosigkeit, dem Mangel an Ausbildungsplätzen, Korruption und beständiger Gängelung ausgesetzt. Gleichzeitig ist die Alphabetisierungsrate deutlich gestiegen und damit die Möglichkeit, sich Zugang zu politischen Informationen zu verschaffen.

Auch die verheerende wirtschaftliche Lage macht grundlegende Reformen notwendig: Rechnet man die verdeckte Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung ein, lag die Arbeitslosigkeit 2002 bei 50 Prozent. Sogar die iranische Handelskammer gibt zu, dass 40 Prozent aller Iraner unterhalb der Armutsgrenze leben, ausländische Diplomaten schätzen die Zahl auf über 60 Prozent.

Aus all diesen Gründen begrüßen viele Intellektuelle den aktuellen Sitzstreik der rund 80 Parlamentsmitglieder, denen der konservative Wächterrat die Zulassung zu den Wahlen am 20. Februar verweigert hat. Unter den Ausgeschlossenen ist auch die Enkelin von Staatsgründer Khomeini und Schwägerin des amtierenden Präsidenten. Und nicht nur Chatami ließ durchblicken, dass er zu gehen bereit sei, eine ganze Reihe seiner Minister hat bereits den Rücktritt eingereicht. Schirin Ebadi glaubt, mit einem Rücktritt könne der gescheiterte Präsident wenigstens ein Zeichen setzen.

Dafür mag es bereits zu spät sein. Für die politische Stimmung in der Bevölkerung ist es jedenfalls bezeichnend, dass der Ausschluss der Reformpolitiker keine Proteste oder gar Demonstrationen auslöste. 350 Intellektuelle haben angekündigt, sich den Streikenden anzuschließen. Aber es bleibt fraglich, ob dies die Iraner animieren wird, an den Wahlen teilzunehmen, wenn ihre Kandidaten doch noch zugelassen werden.

Katajun Amirpur

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