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Kultur: Alles, was schmilzt und schwirrt

ELEKTRO-POP

Einen geeigneteren Ort als die Kulissen der Berliner Volksbühne hätte es nicht geben können für das Konzert des Hamburgers Turner . „Las Vegas“ leuchtete zur Rechten in einem Schaufenster auf, daneben türmten sich Wohncontainer drei Stockwerke hoch, weiße Türen, Einlass nur „privat“ – Relikte aus der zuletzt von Rene Pollesch genutzten Neustadt-Szenerie, mit der die Volksbühne zu Zeiten des Umbaus ihren Bühnenraum bespielt. Zwischen diesen Polen, dem großen Auftritt also und dem Rückzug nach innen, bewegt sich der Elektro-Pop Turners. Er steht hinter seinem Laptop, gelegentlich unterstützt von einem Gitarristen, tanzt ungelenk und fährt per Knopfdruck gleich eine Palette hinreißender Songs ab.

Sie weiden sich im zarten Schmelz melancholischer Melodien, scheuen überbordende Gesten nicht und sind bei aller unbestreitbaren Nostalgie im Grunde ohne Vorbild. Turner hat zwar ein frühes Lied der Eurythmics neu eingespielt, als unverschämte Referenz, da sein „Right by your side" das Original bei weitem übertrifft. Und da sind noch forensische Spuren von Eyeless in Gaza zu entdecken und sicher auch von Japan und den jungen Depeche Mode. Aber was hilft’s? Glanzstücke wie „Quiet Explosions" sind bei aller Retrospektivität aus der Zeit gefallen.

Turner ist ein Liedermacher von einem Format, wie es hierzulande vielleicht sonst nur noch Jochen Distelmeyer von Blumfeld besitzt. Ein Chronist der Gefühle, sympathisch seltsam und in seinen Bühnenansagen vollkommen unverständlich. Dem Computer hat er die Ecken und Kanten genommen, hat ihn rechnen und rechnen lassen, bis der starre Apparat zur Wunschbox wurde, zum Herzschrittmacher. Mit „My Aeroplane Mania" steht Turner schließlich kurz vor dem perfekten Popsong. Nach Las Vegas gehört dieser Eigenbrötler, auf die Showtreppen dieser Welt, nichts weniger als das.

Tobias Rüther

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