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Kultur: Allons enfants!

Schöne Menschen und Tiere in hässlicher Zeit: der lehrreiche Kinderfilm „Belle & Sebastian“.

Der jüdische Familienvater holt ein Bündel Scheine aus der Tasche, aber er soll es wieder einstecken, fordert ihn der Fluchthelfer auf. Der Fluchthelfer – wir schreiben das Jahr 1943 – ist Franzose und will sich für gute Taten nicht bezahlen lassen. Das Geld, ermahnt er den Familienvater, werde er noch brauchen, wenn er mit Frau und Kind in der Schweiz angekommen sei.

Nicht nur diese feine Volte gegen die weniger großzügigen Nachbarn zeigt, dass „Belle & Sebastian“ – vordergründig die Geschichte einer Freundschaft zwischen Hund und Kind – sich als Hymne auf die Grande Nation versteht. Alle gehören hier zur Résistance. In dem französischen Alpendorf gibt es keinen einzigen aktiven Kollaborateur und schon gar keine Denunzianten. Eine tapfere alte Frau singt lauthals „Allons enfants“, wenn die Deutschen sie aus dem Haus zerren. Immerhin passiert ihr nichts, selbst die Nazis sind hier relativ nett. So entschuldigt sich Oberleutnant Peter (Andreas Pietschmann) fürsorglich, dass er Lebensmittel beschlagnahmen muss: Befehl ist Befehl. Und seine Untergebenen sind kaum volljährige Trottel.

Man kann dem Regisseur Nicolas Vanier durchaus vorwerfen, er verharmlose – in dieser Adaption des Kinderbuchklassikers von Cécile Aubry – Judenverfolgung und Flüchtlingselend. Gratis-Fluchthilfe inklusive Skiausrüstung, Schutzbrille und eine letzte deftige Mahlzeit am Lagerfeuer, bevor man die Alpen überquert: Das ist etwas viel des Guten, zumal der Film suggeriert, solche Rettungsaktionen seien alltäglich gewesen.

Allerdings setzt „Belle & Sebastian“ konsequent aufs Künstliche, als großes Gefühlskino mit berauschenden Bildern und dem notwendigen Mut zur mitunter belustigenden Unglaubwürdigkeit. Die hoch gewachsene Hündin Belle, wegen ihres schmutzigen Fells von den Dorfbewohnern als Monster geächtet, nimmt ein Bad im Gebirgsbach – und steigt strahlend weiß aus dem Wasser, als sei’s ein Stück aus der Waschmittelreklame. Kein Wunder, dass der Waisenknabe Sebastian (Félix Bossuet) sich in diese verwilderte Hündin verliebt und sie retten will.

Es gibt eine weitere „Belle“ in dem Film: die verführerische Bäckerin Angelina (Margaux Châtelier). Zur Arbeit mit offenem Haar trägt sie ein freizügig offenes Hemdchen, und prompt ist der deutsche Leutnant Feuer und Flamme für sie. Wenn sie die jüdische Familie durch Schnee und Eis zur Grenze geleitet, trägt sie als Einzige weder Schutzbrille noch Wollmütze; das ist zwar bei dem Wetter unpraktisch, sieht allerdings eindeutig schöner aus. Aber wenn man doch zuallererst schöne Menschen und Tiere in schönen Landschaften zeigen will? Immerhin klärt „Belle & Sebastian“ mit seinem Helden auch die ganz kleinen Zuschauer behutsam darüber auf, dass es neben dem Privaten auch das Politische gibt. Und das darf dann schon mal bisschen kitschig sein. Frank Noack

Alhambra, Cinemaxx, Cinestar Tegel, Colosseum, Kulturbrauerei, UCI Friedrichshain, Titania Palast

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